Nachspielzeit. Dana Müller-Braun

Nachspielzeit - Dana Müller-Braun


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will ihr gerade sagen, dass ich es nicht kann. Nein, ich will es ihr ins Gesicht brüllen, weil ich wieder einmal von dieser kaum zu bändigenden Wut überrannt werde, als mein Handy klingelt. Ich stöhne genervt, nehme es aus meiner Tasche und starre auf den Namen, der dort grell blinkt. Lydia. Was? Irritiert nehme ich das Gespräch an. Jules verfolgt jeden meiner Schritte von ihr weg.

      „Was gibt’s, Goldlöckchen?“, frage ich in das Handy und ernte ein Stöhnen.

      „Ich brauche deine Hilfe“, raunt sie, als könne sie nicht offen sprechen.

      „Ach, schon wieder?“

      „Sei bloß still, Sev! Sonst erinnere ich dich daran, wer vor zwei Monaten in der Scheißtürkei festgenommen wurde, weil er da illegale Wetten abgeschlossen hat, und mich angebettelt hat, ihm zu helfen.“

      „Muss ein draufgängerischer Kerl gewesen sein“, lache ich und spüre immer noch Jules Blicke in meinem Rücken.

      „Severin! Komm bitte zum Stadion.“

      „Und warum?“ Sie weiß genau, dass ich diesen Ort nie wieder betreten will.

      „Weil ich deine Hilfe brauche, verdammt. Wie beschränkt kann man eigentlich sein?“

      Ich grinse, was sie natürlich nicht sehen kann. Aber ich liebe es einfach zu sehr, Lydia auf die Palme zu bringen.

      „Ich habe hier eine Frau gefunden. Auf dem Klo. Verletzt. Und das, was sie erzählt hat, klingt verdächtig nach deiner beschissenen App.“

      „Meiner App?“, frage ich zornig, fange mich aber wieder und nicke schwer atmend. „Bin unterwegs.“

      „Sag am Eingang deinen Namen.“

      „Soll ich auch erwähnen, dass die Pressesprecherin die Presse reinlässt?“

      Ein Klicken verrät mir, dass sie nicht weiter mit mir reden will. Wahrscheinlich sogar verständlich.

      „Ich muss los“, werfe ich Jules zu, die verärgert den Kopf schüttelt, und scheuche Tim vor mir her.

      „Bis heute Abend, Babe“, raune ich Jules noch mit einem Zwinkern zu. Sie antwortet mit einer nicht so freundlichen Geste.

      „Was ist jetzt schon wieder?“, keucht Tim, als wir endlich bei seinem Auto ankommen.

      „Gib mir die Schlüssel, so wie du atmest, stirbst du jede Sekunde und ich direkt mit dir, wenn du hinterm Lenkrad sitzt.“

      „Ha, ha“, macht der, überreicht mir aber sofort seinen Schlüssel.

      Als wir endlich am Stadion ankommen, mustert mich der Ordner, als sei ich ein verblödeter Fan, der den Anpfiff verpasst hat.

      „Severin Klemm“, nuschle ich. „Lydia Heller erwartet mich in ihrem Büro in der Geschäftsstelle.“ Der Ordner hebt nur seine Brauen und dann das Funkgerät an seinen Mund, bis er mich endlich durchlässt.

      Es ist inzwischen zehn nach sieben. Zwei Stunden nach Spielende. An den Getränke- und Fressständen wird zusammengepackt und nur oben im VIP-Bereich zeigt die Beleuchtung, dass die Reichen und Schönen mal wieder den Hals nicht voll kriegen. Ich stelle Tims Auto auf dem Zufahrtsweg zum Stadion an der Seite ab. Weit genug weg von dem Ort, an dem mein Leben sich auf herzzerfetzende Art verändert hat. So schnell, dass ich es kaum begreifen konnte und noch immer nicht kann. In die Tiefgarage hätten mich keine zehn Pferde gebracht. Die erst recht nicht. Aber mit Sicherheit auch keine zehn leichtbekleideten Damen.

      Wir steigen aus und laufen los.

      Tim meckert hinter mir immer wieder, dass dieser Weg viel länger ist, was ich aber geflissentlich ignoriere. Mein Herz pocht unerbittlich gegen meine Brust. Warum auch immer. Ich habe Lydia, seit sie mich aus der Türkei geholt hat, nicht mehr gesehen. Vielleicht liegt es daran.

      Als wir endlich am Nordost-Eingang ankommen, entdecke ich sie rauchend vor der Rampe. Unruhig kaut sie auf ihrer Lippe herum. So wie immer.

      „Severin!“, stößt sie hervor, als sie mich entdeckt und auf mich zukommt. Fast so, als wäre ich ihr Retter in der Not. Aber was genau soll ich hier? Und wie soll ich ihr helfen?

      „Ich habe im VIP-Bereich auf der Toilette eine Frau gefunden, die offenbar Ärger mit einem Kerl hatte“, flüstert sie beinahe verschwörerisch. „Und das, was sie über das Spielchen, das er mit ihr gespielt hat, erzählen konnte, ist …“

      „Stopp“, unterbreche ich sie und lege den Kopf schief, bevor ich meine Hände sanft auf ihre schmalen Schultern lege.

      „Was für ein Spiel?“

      „Er“, beginnt sie völlig durcheinander. „Er hat auf die Tore gewettet. Der Einsatz war ein Kuss und Geld.“

      „Und wie passt das mit mir zusammen?“

      „Du weißt alles über diese App.“

      „Lyd“, versuche ich, sie zurück in die Realität zu holen. „Die Spieler müssen Fragen zur Eintracht beantworten und Aufgaben erledigen, bevor sie die Antwort nennen dürfen. Sie wetten nicht um Küsse.“

      „Sie wetten in der App aber auch um Tore.“

      „Ich glaube, dass du einfach gerne eine Antwort für das hättest, was hier passiert ist, aber … die kann ich dir nicht geben.“

      Sie atmet tief ein und nickt dann resigniert. „Würdest du dir wenigstens alles noch einmal anhören und versuchen, eine Verbindung herzustellen?“

      „Natürlich“, gebe ich ruhig und heiser zurück und mustere ihre großen blauen Augen, die sich ein wenig entspannen.

      „Kann ich sie sehen?“

      Lyd beißt sich erneut unruhig auf der Lippe herum und nickt dann. „Sie ist in meinem Büro.“

      „In deinem Büro?“ Ich sehe sie skeptisch an.

      „Ich wollte, dass du mit ihr sprichst, bevor wir die Polizei hinzuziehen.“

      „In Ordnung, bring mich zu ihr.“

      Wir gehen die Rampe hinter der mächtigen Kurve hoch und ich bemühe mich, nicht richtig hinzusehen. Mich nicht diesem Gefühl hinzugeben, das in mir wächst und wächst. Angst, Panik, aber vor allem Trauer und Schmerz. Ich verbinde das Stadion nicht nur mit den Toten, die ich gesehen habe, oder dem Angriff des Mörders. Nein, ich verbinde es auch mit meiner Jugend. Mit einer Freundschaft zu Mic, die genau hier unterhalb der Fankurve geendet hat, genauso wie sein Leben.

      Ich bin froh, als wir hinter der Tür zu den Geschäftsräumen verschwinden und in dem ausladenden Büro stehen, von dem man hinab auf den Rasen sehen kann.

      „Das sind Freunde“, sagt Lydia behutsam zu der Frau, die zusammengekauert auf einem der Stühle sitzt und ängstlich nickt.

       Okay, Severin. Jetzt bloß nicht taktlos sein.

      „Ich bin Severin. Lydia hat mir erzählt, dass … jemand mit Ihnen gewettet hat.“

      Sie sieht zu Lydia, doch dann nickt sie, als diese ihr ein Lächeln schenkt.

      „Wie lief die Wette ab?“

      „Er bot mir Geld für jedes Tor, das für die Bayern fällt, und wollte einen Kuss für jedes Tor, das die Eintracht schießt.“ Sie klingt ängstlich und doch besitzt ihre Stimme eine gewisse Stärke, die ich so nicht erwartet habe. Tim und ich stehen immer noch an der Tür, um ihr nicht zu nahe zu treten, während Lydia ihr Wasser reicht.

      „Hat er eine App erwähnt?“

      Sie wirft mir einen irritierten Blick zu.

      „Eine App? Denkst du, dass das nur ein dummes Spiel war?“, schnaubt sie und deutet auf die Wunde an ihrem Kopf. „Sieht das hier nach einem Spiel aus?!“

      Ich hebe beschwichtigend meine Hände und trete noch einen Schritt zurück.

      „Auf keinen Fall. Es gibt nur eine App, in der man


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