Dr. Brinkmeier Staffel 3 – Arztroman. Sissi Merz
noch geblieben. »Ich bring’ morgen Rasierzeug mit. Brauchen Sie sonst noch was?«
»Ich weiß net, trotzdem danke.«
»Gut, dann geh ich jetzt. Also, bis morgen.«
»Du, Lissy, würdest mir noch eine Frage beantworten? Wieso bist eben net weggelaufen, als wir diese Knarre gefunden haben? Es schaut doch akkurat so aus, als hätte ich was zu verbergen.«
Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln, als sie versicherte: »Sie sind ganz bestimmt kein schlechter Mensch. Sie haben nämlich gute Augen. Lachen Sie mich nur aus, aber ich hab’ dafür einen Blick. Und mir war gleich klar, dass ich Ihnen vertrauen kann.« Sie errötete ein wenig, als er ihr Lächeln erwiderte. »Dann bis morgen!« Weg war sie.
Der junge Mann setzte sich an den Tisch, um sein Abendessen zu verzehren. Dabei fiel ihm auf, wie still es war. Am Tag gab es immer Geräusche, da zwitscherten die Vögel, Kühe auf der nahen Alm muhten oder ein Flugzeug brummte am Himmel vorbei. Nun aber war es ganz ruhig. Der Abend hatte gleichsam ein dunkles Tuch des Schweigens über die Alm gebreitet. Der einsame Mann in der kleinen Hütte hatte dabei ein wenig den Eindruck, als sei er der einzige Mensch auf der Welt. Immer wieder wanderte sein Blick auf die Waffe, die er auf den Tisch gelegt hatte. Sie erschien ihm wie der Schüssel zu seinem Geheimnis. Oder täuschte er sich? Alles war ungewiss, nur eines wusste er genau: Er konnte den Menschen, die ihm geholfen hatten, vertrauen. Und vielleicht würde er es mit ihrer Unterstützung sogar schaffen, endlich das Dunkel zu durchdringen, das sich über seine Vergangenheit gebreitet hatte. Ganz egal, was dann zum Vorschein kam…
*
Tina Brinkmeier war gerade beim Einkochen, als Anna Stadler vorbeischaute. Es war Samstagnachmittag, die hübsche Apothekerin hatte ein wenig Freizeit, die sie für das Projekt »Almkäse« verwenden wollte. Tina stöhnte, als Anna erschien: »Hast keinen guten Zeitpunkt erwischt, Anna. Ich steck’ mitten in der Arbeit und komm’ heut gewiss net hier weg.«
»Soll ich dir helfen? Dann geht es geschwinder.«
Die junge Bäuerin lächelte schmal. »Das würde auch nix nützen. Ich fürchte, fürs erste müssen wir unseren Plan auf Eis legen, Anna. Das Almhüttel steht uns sozusagen net zur Verfügung.«
»Was soll jetzt das heißen?« wunderte die blonde Apothekerin sich ehrlich. »Ist es am End’ wirklich zusammengekracht?«
Tina füllte das letzte Glas mit Herzkirschen und schloss den Einkocher. Dann goss sie Kaffee in zwei Tassen und bot Anna von dem Kirschstrudel an, den sie am Morgen gebacken hatte.
»Hm, sehr lecker! Aber jetzt sag, was droben los war. Kriegt man das Hüttel wieder hin, oder muss ein neues gebaut werden?«
»Mei, Anna, das Hüttel ist schon in Ordnung, da liegt net das Problem. Es geht um was anderes… Schau, als ich das erste Mal auffi gestiegen bin, da hab’ ich sozusagen einen Logiergast dort angetroffen. Es handelt sich um einen jungen Kraxler, der abgestürzt ist und dabei sein Gedächtnis verloren hat.«
Anna machte große Augen. »Einen Mann mit Amnesie? Das klingt ja wie im Roman. Und was hast gemacht?«
»Ich hab’ mich eine Weile mit ihm unterhalten und meine, dass er ein recht netter Mensch ist. Deshalb habe ich ihm erlaubt, eine Zeitlang im Hüttel zu bleiben und sich von seinem Unfall zu erholen.«
»Weiß der Max Bescheid? Der Mann muss doch behandelt werden.«
»Das will er net. Er schämt sich, weil er net sagen kann, wer er ist und woher er kommt. Und wir wissen doch beide, dass es bei Amnesie keine wirklich wirksame Behandlung gibt.«
»Mei, Tina, das klingt ein bissel seltsam. Ich will dir ja keine Angst machen, aber hast vielleicht gehört, dass hier in der Gegend ein Bankräuber untergetaucht sein soll? Und wenn der Mann ohne Gedächtnis dir nur etwas vorgespielt hat? Wenn er ein Versteck sucht, weil er… der Bankräuber ist?«
»Meinst, daran hätte ich net auch schon gedacht? Aber ich habe einfach den Eindruck, dass man ihm trauen kann. Warte, ich ruf die Lissy. Sie kümmert sich um ihn.«
»Hast sonst keinen eingeweiht? Auch den Lukas nicht?«
Tina schüttelte den Kopf. »Der hätte wahrscheinlich gleich den Anderl Stumpf informiert. Und das will ich net.«
»Also, ich weiß net. Das ist ein gefährliches Spiel, das du da spielst. Und es könnte durchaus ins Auge gehen…«
»Ja, es könnte aber auch gut gehen. Und ich mag es net, wenn man einen Menschen ohne Beweise verdächtigt. Lissy, komm einmal in die Kuchel!«
Die junge Magd erschien sogleich und wollte wissen, was sie helfen könne. »Du sollst uns mal was sagen. Hat der Mann droben im Hüttel sich in den letzten Tagen irgendwie komisch benommen? Wir denken da an den Banküberfall in Berchtesgaden.«
Lissy errötete ein wenig, als sie behauptete: »Er hat sich sehr nett mir gegenüber benommen. Und ich bin sicher, dass er ein guter Mensch ist, er kann gar kein Bankräuber sein.«
»Und wie kommst zu der Überzeugung?«
Lissy lächelte verschämt. »Weil er gute Augen hat, er kann einem nicht belügen, ohne dass man es merkt. Er ist ehrlich.«
Anna lächelte ein wenig. »Das klingt so, als ob du ihn magst.«
»Ich finde ihn nett«, wich die Magd aus. »War das alles?«
»Net ganz.« Tina schaute Lissy streng an. »Du hast unsere Frage net beantwortet. Ist dir also was aufgefallen oder net?«
»Ja, also… Da war schon was. Am ersten Abend hat er nämlich nach Rasierzeug gesucht. Und dabei ist eine Pistole aus seinem Rucksack gefallen.«
Die junge Bäuerin riss erstaunt die Augen auf, während Anna mahnte: »Das hättest aber gleich sagen müssen. Dann ist er es bestimmt, der Gesuchte, meine ich. Und wir müssen sofort dem Stumpf Bescheid sagen, sonst machen wir uns ja mitschuldig.«
»Na, das hat nix zu sagen! Er kann ja gar net mit der Waffe umgehen. Und wenn er der Bankräuber wäre, hätte er sie doch gewiss vor mir versteckt. Ich glaube nicht, dass er was damit zu tun hat.«
»Und woher soll dann die Waffe kommen?« Tina schüttelte leicht den Kopf. »Hätte ich das gewusst… Wie konntest nur so leichtsinnig sein, Lissy? Was alles hätte passieren können…«
»Gar nix, weil der Mann dort droben kein Krimineller ist. Bitt’ schön, Bäuerin, hab’ halt ein Vertrauen. Ich bin ganz sicher, dass er mit der hässlichen Sach’ nix zu tun hat!«
»Aber die Waffe…«
»Die kann er doch gefunden haben. Oder er hat sie dem echten Bankräuber abgenommen, bevor er den Unfall hatte.« Lissy riss die Augen auf. »So ist es bestimmt auch zu dem Sturz gekommen. Am End’ hat er mit dem Bankräuber gekämpft, nachdem er ihn im Gebirge gestellt hat. Gewiss ist er ein Polizist, aber kein gewöhnlicher. So einer für die schwierigen Fälle…«
»Mei, Lissy, du guckst zu viele Krimis«, warf Tina der Magd da vor. »Jetzt geh wieder an deine Arbeit.«
»Ist schon recht. Aber, gelt, Bäuerin, du wirst ihn net verraten. Er muss die Gelegenheit kriegen, sich zu erinnern. Erst dann wird sich alles aufklären, da bin ich ganz sicher!«
»Und was sollen wir jetzt machen?«, fragte Tina die Besucherin, nachdem Lissy die Küche verlassen hatte. »Ich weiß mir keinen Rat. Falls er der Bankräuber ist, wäre es unsere Pflicht, die Polizei zu verständigen. Und wenn net, bringen wir ihn vielleicht in große Schwierigkeiten, obwohl er unschuldig ist. Das ist wirklich keine leichte Entscheidung.«
Anna musste nicht lange überlegen. »Wenn es dir recht ist, rede ich mit dem Max. Er kann uns bestimmt einen Rat geben.«
»Ja, das wird das Beste sein.« Tina lächelte der Freundin zu. »Nimmst ihm ein Stückerl Kirschstrudel mit, den mag er…«
Dr. Max Brinkmeier freute sich immer, Anna Stadler zu sehen. Und als sie mit frisch gebackenem Kuchen im Doktorhaus erschien, meinte er schmunzelnd: