Dr. Brinkmeier Staffel 3 – Arztroman. Sissi Merz

Dr. Brinkmeier Staffel 3 – Arztroman - Sissi Merz


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hier gewesen bin. Aber ich habe keine Ahnung, warum. Und woher ich gekommen bin oder wohin ich unterwegs war.«

      »Machen Sie sich nix draus, es wird schon werden«, meinte Lissy optimistisch. Sie warf dem jungen Mann einen fragenden Blick zu. »Genießen Sie lieber die schöne Umgebung. Oder gefällt es Ihnen nimmer in Wildenberg?«

      »Doch, schon. Aber es bedrückt mich, dass ich mich einfach an nix erinnern kann. Es ist wie verhext.«

      »Sie dürfen net ständig darüber nachdenken. Der Doktor hat doch gesagt, dass es von selbst kommen muss, gelt?«

      »Ja, mag sein, aber… Vorsicht!« Er hatte gesehen, dass Lissy unachtsam auf einen etwas dickeren Stein getreten war. Sie bemerkte es zu spät, knickte um und wäre gestürzt, hätte ihr Begleiter sie nicht aufgefangen. Während sie in seine Arme rutschte, hatte er plötzlich ein Bild ganz deutlich vor Augen: Er stand in einer Gruppe von Jugendlichen, unterhielt sich mit einem etwas älteren Jungen, weiter hinten wurde Ball gespielt. Lärm und Gelächter erinnerte an einen Schulhof in der Pause. Dann war das Bild fort, wie ein flüchtiger Reflex in einer nassen Fensterscheibe. Und er schaute in das verlegen wirkende Gesicht von Lissy, die bat: »Sie können mich ruhig loslassen, es ist fei nix passiert. Geht es Ihnen gut? Sie sind so blass.«

      »Danke, alles in Ordnung. Hoffentlich hast dir den Fuß net verknackst. Tut was weh?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Nix, Sie haben mich ja aufgefangen.« Einen Moment lang schauten sie einander noch in die Augen, waren sich ganz nah. Heimlich wünschte Lissy sich, dass der junge Mann ihr ein Busserl schenken würde. Aber er gab sie zu ihrer Enttäuschung gleich wieder frei.

      Auf dem Rückweg zur Hütte schwiegen sie beide. Bevor Lissy aber ins Tal absteigen konnte, fragte er sie: »Was hältst davon, wenn ich bei euch auf dem Hof wohnen würde? Die Frau Brinkmeier hat es mir angeboten. Wäre dir das recht?«

      »Mir? Aber das ist doch unwichtig. Wenn Sie es gern möchten, ziehen Sie nur um. Hier heroben kann man ja auf die Dauer net wohnen, mit dem Plumpsklo und allem…«

      »Das macht mir eigentlich nix aus. Es ist nur die Stille nachts, die ist fast ein bissel unheimlich.« Er lächelte ihr jungenhaft zu. »Vielleicht nehme ich das Angebot an und ziehe ins Tal. Dann könnten wir mehr Zeit miteinander verbringen.«

      Lissy erwiderte sein Lächeln scheu. »Das wäre schön…«

      *

      »Das ist eine schlimme Geschichte. Hast denn schon was Neues erfahren?« Anna Stadler füllte noch einmal die Tassen mit Kaffee und legte ihrem Gast ein Stück Kuchen vor. Max bedankte sich.

      »Leider nein. Ich hab’ daran gedacht, mal nach der Frau Neumann zu schauen. Wenn sie erfährt, was in der Schule los ist, wird ihr das sehr schaden in ihrem Zustand.«

      »Mei, was so ein dummes verliebtes Madel anrichten kann…« Die hübsche Apothekerin machte ein nachdenkliches Gesicht. »Oder denkst, es könnte doch was dran sein an ihren Anschuldigungen?«

      »Ich weiß es leider net. Vom Verstand her würde ich sagen, nein. Es gibt keinerlei Beweise und es spricht eigentlich alles dagegen. Diese Peggy hat sich lange mit einem Polizeipsychologen unterhalten, und der ist der Auffassung, dass sie net missbraucht worden ist. Aber sie hat eine rege Fantasie und einen starken Willen. Das ist machmal eine gefährliche Mischung.«

      Anna nickte. »Man macht sich gar keine Gedanken darüber, was alles passieren kann. Ich hoffe nur, die Frau Neumann muss net darunter leiden. Sie ist eine nette Person.«

      »Vielleicht sollte man mal mit der Zimmergenossin von dieser Peggy reden. Das Madel macht einen ganz vernünftigen Eindruck. Könnte doch sein, dass sie etwas weiß…«

      Während Max Brinkmeier mit Anna Stadler zusammensaß und sich Gedanken machte, wie er zur Aufklärung dieser unangenehmen Sache beitragen könnte, lag Sabine Neumann im Bett. Sie konnte sich nicht entspannen, hatte ständig Schmerzen. Seit Christian ihr erzählt hatte, was in der Schule gegen ihn im Gange war, hatte sie keine ruhige Minute mehr. Zuerst war sie nur erschrocken gewesen, hatte ihren Mann bedauert. Nun aber kamen die Zweifel. Sie fragte sich, was vorgefallen war zwischen Christian und dem Mädchen. Im Grunde traute sie ihrem Mann keine Schlechtigkeit zu. Doch es musste ja einen Grund dafür geben, dass diese Peggy sich so benahm. Sabine verspürte eine bohrende Angst. Sollte ihr kleines Paradies, ihr Lebensglück jetzt zerstört werden? Sie hatte unterschwellig immer mit so etwas gerechnet…

      »Liebes, wie geht es dir?« Christian trat an ihr Bett, setzte sich. Er wirkte abgespannt und niedergeschlagen. Sabine legte eine Hand auf seinen Arm und konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen kamen. Als er sie aber in den Arm nehmen wollte, wehrte sie ihn ab.

      Der junge Mann stutzte, denn das war noch nie passiert. »Was hast? Du glaubst doch net…«

      »Bitte, Chris, lass uns net davon reden. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Es ist wie ein schlechter Traum«, murmelte sie mit erstickter Stimme.

      »Meinst, für mich nicht? Dieses Mädchen schreckt vor nichts zurück. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, mich zu verführen. Und als ich sie abgewiesen habe, da hat sie sich eine teuflische Lüge ausgedacht. Es ist praktisch unmöglich, ihr das zu beweisen.« Er lachte hart auf. »Sie war schlau genug, nicht von einer Vergewaltigung zu reden, denn die hätte man ja nachweisen können. Statt dessen hat sie sich kleine miese Schweinereien ausgedacht, um mich in den Dreck zu ziehen.« Er vergrub das Gesicht in den Händen und murmelte matt: »Es ist nicht zu fassen, wie leicht einer daherkommen und dein Leben zerstören kann. Und es gibt nix, was man dagegen tun kann…«

      Sabine legte eine Hand auf die ihres Mannes und bat: »Sei mir net bös’. Du weißt, dass ich dir vertraue. Aber wenn so ein schlimmes Gerede aufkommt, muss man doch erst mal damit fertig werden. Bitte, Chris, du darfst jetzt net aufgeben. Wie hast für diese Stelle gekämpft, wie lange hast darauf warten müssen. Du darfst nicht zulassen, dass jetzt alles zerstört wird.« Sie biss sich auf die Lippen und drehte sich auf die Seite. Ein leises Stöhnen entrang sich ihr, das den jungen Mann aufmerksam machte.

      »Sabine, was hast? Schmerzen? Sag doch was!«

      Sie nickte nur, ihr Gesicht war bleich und angespannt, Schweißperlen traten ihr auf die Stirn, als sie ihn mit spröder Stimme bat: »Ruf den Doktor Brinkmeier. Ich halte es nimmer aus. Bitte, Chris, beeil dich!«

      »Ja, ja, sofort.« Er wurde unvermittelt von einer tiefen, schrecklichen Angst gepackt. Mühsam nahm er sich zusammen, stolperte in die Diele und griff nach dem Telefon. Max Brinkmeier war nicht daheim, aber sein Vater versprach, ihn sofort zu benachrichtigen. Und es dauerte nur wenige Minuten, bis der junge Landarzt vor dem Haus der Neumanns hielt. Er schnappte sich seinen Notfallkoffer und eilte auf den Lehrer zu, der bereits wartend an der Haustür stand.

      »Beeilen Sie sich, Doktor, es geht meiner Frau sehr schlecht. Die Aufregung hat ihr so geschadet, ich wünschte, ich hätte ihr das ersparen können.«

      Max verzichtete auf eine Erwiderung, er betrat das Schlafzimmer und kümmerte sich um die junge Frau, die verkrümmt und stöhnend im Bett lag. Es dauerte nicht lange, dann wandte er sich an Christian Neumann und wies diesen knapp an: »Rufen Sie im Spital an, die sollen einen Hubschrauber schicken. Sieht nach einer Fehlgeburt aus, ich kann hier aber nichts tun.«

      »Mein Gott…« Christian verließ eilig die Stube. Dr. Brinkmeier stabilisierte die Patientin, die nicht ganz bei Bewusstsein war. Er tat alles, um den Abgang des Fötus zu verhindern, war sich aber nicht sicher, dass dies wirklich helfen würde.

      Endlich landete der Hubschrauber auf dem freien Feld hinter dem Garten der Neumanns. In Windeseile wurde Sabine abstransportiert. Christian wollte mitfliegen, doch das war nicht möglich. Also schlug Max Brinkmeier ihm vor: »Fahren wir zusammen in die Stadt. In Ihrem Zustand werden Sie noch einen Unfall bauen. Kommen Sie, ich bringe Sie hin.«

      Er nickte. »Danke.« Wie ein Häuflein Elend saß der junge Mann dann neben dem Landarzt und brachte kein Wort heraus. Christian fühlte sich schuldig, obwohl er es nicht war. Und er betete im stillen, dass Sabine das Kind nicht verlieren würde.

      Max


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