Dr. Brinkmeier Staffel 3 – Arztroman. Sissi Merz
nicht viel sagen.
»Das Mädchen ist siebzehn und heißt Peggy Andersen. Bisher ist es nicht auffällig geworden. Seit ein paar Tagen klagt es aber andauernd über Übelkeit und diverse Schmerzen, die sich nun dramatisch verschlechtert haben.«
»Gibt es einen Verdacht, was Drogen angeht?«
»Nichts. Peggys Zimmergenossin schwört, dass das Mädchen noch nie etwas genommen und auch keinen Alkohol getrunken hat.«
»Jungs? Vielleicht eine ungewollte Schwangerschaft?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Wie Sie wissen, ist das hier ein reines Mädcheninternat. Die Schülerinnen sind während des Schuljahres ziemlich abgeschottet. Da gibt es eigentlich kaum eine Möglichkeit für eine heimliche Liebelei.«
»Hm, dann müssen wir herausfinden, was dahintersteckt. Hier?«
Die Mutter Oberin nickte und öffnete die Tür, nachdem sie kurz angeklopft hatte. Susanne Fey saß auf ihrem Bett und las. Als der Doktor den Raum betrat, stand sie auf und blickte ein wenig verschüchtert auf die Mutter Oberin.
Diese wollte wissen: »Wie geht es Peggy?«
»Sie schläft. Aber sie hat bis eben herum gejammert. Sie muss schlimme Schmerzen haben.«
»So? Dann könnte sie aber kaum so ruhig schlafen.« Max schickte das Mädchen hinaus, dann untersuchte er die Schülerin, die nun langsam zu sich kam. Der erfahrene Mediziner hatte sofort den Eindruck, dass Peggy nur Theater spielte. Sie hatte keine wirklichen Symptome, klagte nur über ein diffuses Unwohlsein, das vermutlich bloß in ihrer Fantasie existierte. Als Dr. Brinkmeier sie fragte, ob sie einen Freund habe, begann sie plötzlich haltlos zu weinen. Schwester Maria-Roberta hob leicht irritiert die Augenbrauen und versicherte: »Es gibt keinen Grund, sich zu schämen. Du weißt doch, dass der Doktor für alles Verständnis hat. Und er wird es keinem weitererzählen.«
»Aber es ist doch ganz anders!« Peggy stöhnte auf. »Es ist alles so schrecklich, ich will nicht mehr leben. Was er mir angetan hat, das kann ich nicht vergessen. Es war so gemein und widerlich…«
Die Nonne tauschte einen alarmierten Blick mit dem jungen
Landarzt, dieser bat behutsam: »Erzähl uns nur, was geschehen ist, Peggy. Wir wollen dir helfen, du kannst uns vertrauen. Und du musst dich nicht schämen, da hat die Mutter Oberin recht. Also, wer hat dir etwas angetan und was?«
»Ich…, ich kann es nicht aussprechen!« Sie schlug die Hände vors Gesicht und greinte wie ein kleines Kind.
»Bist du mit einem Mann beisammen gewesen?«, fragte die Mutter Oberin nun direkt. »Jetzt rede, Peggy, es hat keinen Sinn, wennst nur heulst. Hat dir einer Gewalt angetan?«
Die Schülerin zögerte kurz, dann nickte sie.
»Und wer war es? Jemand aus dem Dorf, ein Bursch oder…«
»Es war der Neumann!«, rief sie da verzweifelt. »Er hat mich überall angefasst. Und dann hat er mich gezwungen…« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann’s nicht sagen! Es war so eklig!«
Maria-Roberta wirkte konsterniert. Sie schaute die Schülerin nun sehr ernst an und mahnte sie: »Du weißt, dass du eben eine schwere Beschuldigung erhoben hast. Wenn sie nicht der Wahrheit entspricht, wird das ernsthafte Konsequenzen für dich haben. Und du solltest dir auch im klaren darüber sein, dass du damit das Leben eines Menschen zerstören kannst. Also, stimmt das, was du gerade gesagt hast? Hat Christian Neumann dich sexuell missbraucht? Ich kann es dir nicht ersparen, dass du alles aussprichst, was er getan hat. Denn wenn es wahr ist, dann wird diese Sache ein Fall für die Polizei.«
»Ich… habe die Wahrheit gesagt«, behauptete Peggy leise.
Die Mutter Oberin atmete tief durch. »Nun gut, du wirst eine ärztliche Untersuchung über dich ergehen lassen. Und dann musst du vor der Polizei alles noch einmal genau erzählen…«
»Davor habe ich keine Angst«, bekräftigte das Mädchen. »Aber ich habe Angst vor ihm, dass er mir etwas antut, weil ich nicht geschwiegen habe, wie er es verlangt hat…«
»Du musst dich nicht fürchten, ich rede mit dem Direktor. Du wirst vom Unterricht bei Herrn Neumann bis auf weiteres befreit.« Die Mutter Oberin wandte sich an Max Brinkmeier. »Wie lange muss Peggy das Bett hüten?«
»Ein paar Tage werden genügen«, murmelte er automatisch. Die ganze Geschichte erschien ihm suspekt. Nachdem er zusammen mit Maria-Roberta das Zimmer verlassen hatte, sagte er: »Ich kann mir nicht helfen, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass das Mädchen lügt.«
Die Nonne musterte ihn verständnislos. »Wie kommen Sie zu der Einschätzung, Herr Doktor? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Peggy sich eine so schlimme Geschichte nur ausgedacht hat. Und welchen Grund sollte es dafür geben?«
»Nun, das weiß ich nicht. Vielleicht will sie sich an dem Lehrer für eine vermeintliche Ungerechtigkeit rächen. Oder sie möchte mit dieser Geschichte einen Jungen decken, mit dem sie intim war. Es gibt viele Möglichkeiten. Krank ist Peggy jedenfalls nicht. Ihre Schmerzen sind eingebildet oder erfunden. Und ich werde den Verdacht nicht los, dass die Anschuldigungen gegen diesen Lehrer aus der Luft gegriffen sind.«
»Das wäre allerdings arg. Trotzdem muss ich der Sache nachgehen, ich kann das nicht einfach ignorieren. Wenn das Mädchen die Wahrheit gesagt hat, würde ich einem Verbrechen Vorschub leisten, und das geht nun wirklich nicht.«
»Kann ich dabei sein, wenn Sie mit dem Lehrer reden?«
Die Mutter Oberin zögerte kurz, dann nickte sie. »Kommen Sie, wir müssen zuerst den Direktor informieren.«
Dieser zeigte sich ebenso betroffen wie ungläubig. »Neumann soll eine Schülerin missbraucht haben? So ein Unsinn. Der Mann ist integer, ich verbürge mich für ihn.
Er ist glücklich verheiratet und wird bald Vater. Das ganze ist absurd!«
»Mir gefällt die Sache auch nicht, aber Peggy Andersen hat schwere Anschuldigungen gegen Herrn Neumann erhoben. Und dem muss ich nachgehen, das verstehen Sie doch, Herr Doktor Binder?«
»Ja, natürlich. Warten Sie einen Moment, ich glaube, der Kollege sollte noch im Haus sein.« Direktor Binder schaute ins Vorzimmer und bat seine Sekretärin, den Lehrer zu rufen.
Christian Neumann hatte keine Ahnung, was ihn erwartete, als er das Büro des Schulleiters betrat. Dieser kam sofort zur Sache. »Sie kennen die Schülerin Peggy Andersen?«
Er nickte. »Sie ist in meiner Klasse.«
»Besteht ein Kontakt zwischen Ihnen und dem Mädchen, der über das rein Schulische hinausgeht?«
Der junge Mann zögerte. »Was wollen Sie damit andeuten?«
»Nichts. Ich habe Ihnen eine Frage gestellt und erwarte eine ehrliche Antwort. Also?«
»Ich habe nichts mit dem Mädchen zu schaffen. Wenn Peggy das behauptet, dann lügt sie.«
»Wie kommen Sie darauf, dass das Mädchen so etwas behauptet?« Der Direktor musterte sein Gegenüber streng. »Nun?«
Christian musste sich überwinden, es war ihm peinlich, darüber zu reden. Aber da Peggy offenbar vorhatte, sich an ihm zu rächen, konnte er nun keine Rücksicht mehr nehmen. »Peggy hat mir Avancen gemacht, sie ist ziemlich frühreif und hat ein richtiges Theater aufgeführt. Ich habe mehrere Male versucht, sie in ihre Schranken zu verweisen, doch ohne Erfolg.«
»Und wie haben sich diese Avancen geäußert?«
»Sie hat mir aufgelauert, sich an mich rangemacht, wie man so schön sagt. Sie hat gedroht, sich etwas anzutun, wenn ich ihre Gefühle nicht erwidere. Ich habe das Ganze für eine unausgegorene
Teenagerfantasie gehalten. Als es nicht aufhörte, habe ich ihr sehr deutlich die Meinung gesagt. Seither hat sie mich in Ruhe gelassen. Aber offenbar sinnt sie auf Rache, nicht wahr? Sonst wäre ich ja jetzt nicht hier.«
Direktor Binder wirkte erleichtert. »Damit wäre die Sache