Der Mensch und seine Grammatik. Simon Kasper
Zeit vor 1343 im Zisterzienserkloster St. Marien in Altenzelle bei Nossen und trägt sprachlich (ost)mitteldeutsches Gepräge. „Zu der byblien ist dise ubirtragunge in daz mittelste dutsch mit einualdigen slechtin worten uz gedruckit. zů glicheit des einvalidgen textes.“6 Was den Text der Evangelien betrifft, so enthält die Handschrift den „mitteldeutschenMittelhochdeutsch“ Text, nicht aber den der Vorlage, die sie möglichst genau wiedergeben will.7 Sowohl der Evangelientext als auch die Anwesenheit der ebenfalls übersetzten Vorreden des Hieronymus zeigen uns aber, dass die Vorlage aus der Vulgata-Tradition stammen muss. Dass die Vorlage lateinisch war, bezeugt auch der Text. „Dise dutunge des latines in daz dutsche ist gemachit. Mathie von beheim dem clusenere zů Halle.“8 Anders als der Titel suggeriert, entstand das „Evangelienbuch“ also auch nicht durch, sondern für den Haller Klausner Matthias von Beheim. Worin seine Funktion bestand, wissen wir nicht. Wahrscheinlich war an der Niederschrift nur ein Schreiber beteiligt. Die Übersetzung wird laut Bechstein über die vier Evangelien hinweg „besser“, das heißt sie reicht von anfänglich sklavischer Orientierung an der lateinischen Syntax vor allem in den Vorreden bis hin zur Anmutung als „deutsches Buch“ im Johannesevangelium.9 Anders als Bechstein angenommen hatte, steht das Werk nicht ohne Vorbild da. Es scheint sich passagenweise an einer EvangelienharmonieEvangelienharmonie orientiert zu haben, die über die Grenzen des deutschsprachigen Gebiets verbreitet war.10 Die übersetzungstechnisch „besseren“ Passagen könnten auch diesem Vorbild geschuldet sein. Bechsteins edierter Text unterscheidet sich äußerlich recht stark von dem der Handschrift. Für eine grammatische Analyse ist dabei primär die modifizierte Interpunktion von Relevanz, die Bechstein nach philologischer Manier des 19. Jahrhunderts nicht unangetastet lassen wollte. Meine Unterteilung in (Teil-)Sätze wird ihr aber weitgehend entsprechen.11 Schon die Handschrift weist fortlaufenden Text auf und es musste, anders als beim althochdeutschen „Tatian“, bei der Verteilung des Textes auf den verfügbaren Raum keine Rücksicht auf Blatt-, Zeilenenden oder Ähnliches genommen werden. Die Edition musste daher auch keine Rücksicht darauf nehmen und auch ich werde bei Sprachbeispielen aus dem „Evangelienbuch“ unberücksichtigt lassen, wie die entsprechende Stelle in der Handschrift über Zeilen und Blätter verteilt ist. Dies gilt, mit Ausnahme des „Tatian“, auch für alle weiteren Bibelübersetzungen.
Die altenglischenAltenglisch Evangelien sind in acht Handschriften überliefert, von denen sechs vollständig sind.12 Von diesen wurden zwei dem kentischen Dialekt des Altenglischen zugeordnet.13 Die Handschrift im Corpus Christi College Cambridge (CCCC) Nummer 140 ist wie die übrigen westsächsischer Provenienz. Daraus leitet sich die Bezeichnung westsächsische oder „Wessex GospelsWessex Gospels“ ab.14 CCCC 140 liegt als Text der Edition von Liuzza und damit auch meiner Analyse zugrunde.15 Die Evangelien in diesem Textzeugen stellen eine Abschrift dar, die wohl in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts angefertigt wurde und kurz danach in Bath aufbewahrt wurde. An der Abschrift waren vier Schreiber beteiligt (aber nicht unbedingt vier Übersetzer), deren jeder sich (fast)16 genau einem Evangelium gewidmet hat.17 Die Vorlage dieser Gospels wird, insbesondere was das Matthäusevangelium betrifft, der irisch-bretonischen Bibeltradition zugeordnet. Weniger deutlich zeigt sich eine solche Vorlage in den Evangelien Markus’ und Lukas’, am wenigsten im Johannesevangelium.18 Obwohl nichts über die Leserschaft des Werks bekannt ist, scheint es ein reges Interesse an seiner Verbreitung und Verwendung gegeben zu haben. Die Hinweise über seine Funktion sind aber „in quälender Weise mehrdeutig“.19 Ob es lediglich dazu diente, den vielen nicht lateinfirmen Geistlichen in einsamer Lektüre beim Verständnis der lateinischen Bibel zu helfen, ob es als pastoraler Schulungstext verwendet wurde oder gar in der Liturgie rezitiert wurde, – für all das gibt es Hinweise, aber keine, die unwidersprochen geblieben sind.20 Liuzza hat sich bemüht, möglichst wenig in den Text der Handschrift CCCC 140 einzugreifen. Die Interpunktion wurde belassen, Abkürzungen ausgeschrieben, Korrekturen auf Basis anderer Handschriften gekennzeichnet, Varianten aus anderen Handschriften angemerkt, mit Ausnahme „bloß“ orthographischer Varianten. Dass diese damit nicht mehr nachvollziehbar sind, obwohl sie auch von dialektologischem Interesse sein können, wurde dabei in Kauf genommen. Die Korrekturen werden in meine Analyse einfließen, die Varianten nicht. Auch das betrifft alle Editionen.
Die Wycliffe-BibelWycliffe-Bibel zu edieren ist eine undankbare Aufgabe, denn ihre Überlieferungsgeschichte ist unübersichtlich und unbewältigt. 250 Handschriften sind bekannt und es ist gewiss, dass viel mehr existier(t)en. Bekannt ist ebenfalls, dass John Wycliffe schon seit der Mitte des 14. Jahrhunderts Passagen der Bibel kommentiert und in diesem Zuge auch übersetzt hatte und dass diese Übersetzungen teilweise Eingang in eine frühere Version der mittelenglischenMittelenglisch Bibel fanden.21 Diese frühere Version war aber bereits das Werk mehrerer Beteiligter. Wie die meisten hier behandelten Texte ist die Wycliffe-Bibel das Produkt echter Projektarbeit. Es gab einen Projektleiter, den Theologen und Kirchenreformer Wycliffe, dem vor allem Konzeption und Verantwortung oblagen, und eine Schar Mitarbeiter, die sich um die Umsetzung, also vor allem das Übersetzen und das Schreiben kümmerte.22 Da dieses Unterfangen reformerischer Natur war, war es auch verboten.23 Das führte dazu, dass in den Handschriften keine Namen auftauchen, wodurch die Zuweisung von Arbeitsschritten zu Einzelpersonen kaum zu bewerkstelligen ist.24 Schon die bekannten frühen Versionen der Wycliffe-Bibel weisen in unterschiedlichem Grade Revisionsbemühungen auf, die zu einer späteren Version führten. Diese Bemühungen erstreckten sich über den Tod Wycliffes zur Jahreswende 1384/1385 hinaus und wurden von dessen Schüler John Purvey weiter vorangetrieben. (Es handelte sich um ein Projekt mit vielen Johns.) Die eher frühen Versionen zeichnen sich dabei eher durch eine „close, literal, and sometimes rather unpolished form“ aus, während die eher späteren „a little less literal, […] more smooth and flowing“ anmuten und „in more idiomatic and less laboured English“ verfasst sind.25 Obwohl reformerischen Charakters und dafür von der Orthodoxie verdammt, hatte die Wycliffe-Bibel für ein Werk vor dem Buchdruck doch beträchtliche Verbreitung. Sie reichte bis in aristokratische Laienkreise, die ein allgemeiner Prolog sogar anspricht.26 Zu dem Anspruch auf Breitenwirkung – zumindest in Bezug auf die spätere Version – passt, dass die Wycliffe-Bibel keinem mittelenglischen Dialektverband eindeutig zuordenbar ist. Vielmehr dominieren überregional geläufige Formen, die am ehesten dem Midland, vielleicht dem Central Midland entsprechen.27 Diese Varietät verlor am Ende des 15. Jahrhunderts ihre überregionale Bedeutung. Eine einheitliche lateinische Vorlage hat es nicht gegeben.28 Die zahlreichen Übersetzer hatten anscheinend verschiedene zur Hand und verwendeten diese auch. Ich werde mich auf die Edition von Forshall und Madden aus dem Jahr 1850 stützen. Diese Edition bietet den Text der früheren Version in der linken Spalte einer Seite, den Text der späteren Version rechts daneben, außerdem den allgemeinen Prolog. Die spätere Version in der Edition basiert auf der Handschrift MS 1 C VIII aus der Royal Library des British Museum. Sie entstand um die Wende zum 15. Jahrhundert und sie werde ich analysieren.29 Die Herausgeber zogen zahlreiche Handschriften zum Vergleich heran. Auch wenn ihr Verfahren nicht in allen Aspekten ganz transparent war, ist diese Edition immer noch diejenige, die zum Studium empfohlen wird, insbesondere, was unsere spätere Version betrifft.30
Während in England bis in Wycliffes und in Deutschland bis in Luthers Tage kaum eine Laiin mit englischer beziehungsweise deutscher Muttersprache einen Bibeltext in ihrer eigenen Sprache zu hören, geschweige denn zu lesen bekam – wenn sie denn lesen konnte –, änderte sich dies sowohl in England als auch in Deutschland infolge des Buchdrucks. Eine erste gedruckte englische Bibel erschien 1526 in der Übersetzung von Tyndale. Da dieser sich mit Luther gemein machte und seine Übersetzung nicht legal war, wurden nicht nur die Übersetzungsexemplare, sondern auch ihr geistiger Vater dem Feuer anheimgegeben. Eine von der – zu diesem Zeitpunkt dann anglikanischen – Kirche autorisierte englische Bibel erschien 1611 mit der „King James-Bibel“. In Deutschland verhalf dagegen eine Allianz aus Druckerkunst und politisch-territorial durchgesetzter Reformation der volkssprachlichen Bibel zum Durchbruch.31 Nun wurde die frühneuhochdeutscheFrühneuhochdeutsch „Biblia“ oder „Luther-Bibel“ gedruckt, vervielfältigt, verbreitet und ihr Besitz und Gebrauch waren juristisch-politisch gedeckt. Infolge der Reformation – und wohlgemerkt anders als zuvor – wurden Messen in reformierten Ländern bald auch in deutscher Sprache gehalten. Die katholische Kirche zog im Rahmen des Trienter Konzils diesbezüglich aber notgedrungen bald nach.
Ich werde keine jüngere englische Bibelübersetzung als die des Teams Wycliffe mehr analysieren.