Politische Justiz. Otto Kirchheimer

Politische Justiz - Otto Kirchheimer


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Rechte gegen einzelstaatliche Übergriffe) aufheben; die Gesetzgebende Versammlung von Kentucky habe »unter Außerachtlassung aller Gesetze und in äußerster Mißachtung des verfassungsmäßigen Rechtes freier Menschen, ihre Herrscher zu wählen«, gehandelt.17 Allerdings war Harlan selbst ein prominenter republikanischer Ex-Politiker aus Kentucky; vorher hatte er freilich als fanatischer »Konservativer« in den Reihen der Republikaner die Rechte der Gliedstaaten gegen Eingriffe des Bundes verteidigt und 1865 sogar eine wütende Pressekampagne gegen den Dreizehnten Verfassungszusatz (Abschaffung der Sklaverei) lanciert, weil er einen »flagranten Einbruch in das Recht der Selbstverwaltung« darstelle.18 Dieser nicht ganz konsequente Jurist konnte sich indes gegen seine Kollegen nicht durchsetzen. Die Demokraten hatten die erste Runde gewonnen.

      Dass man Schüsse abfeuerte, um einen Menschen zu töten, war nach dem Sittenkodex, der im 19. Jahrhundert in Kentucky galt, weder außergewöhnlich noch besonders aufregend. Die Ermordung Goebels fiel nur insofern aus dem Rahmen, als sie die einzigartige Gelegenheit bot, einer der führenden Parteien ein Mordkomplott in die Schuhe zu schieben.

      Die Anklagebehörde hatte einen Beamten des Staatsrechnungshofs namens Henry E. Youtsey aufgestöbert, der als Mitverschworener dabei gewesen sein wollte, als aus den Amtsräumen des Staatssekretärs auf Goebel geschossen wurde. Als den eigentlichen Täter bezeichnete Youtsey einen gewissen James B. Howard, der mit den Leuten aus den Bergen nach Frankfort gekommen war. Der Attentatsplan sollte in mehreren Besprechungen ausgeheckt worden sein, an denen auch Gouverneur Taylor und Staatssekretär Powers aktiv teilgenommen hätten. In weiteren nicht minder fragwürdigen Zeugenaussagen wurde eine ganze Anzahl Funktionäre und politisch tätiger Anwälte aus den Reihen der republikanischen Parteiorganisation belastet.

      Die Erzählungen der Zeugen fügten sich nur zu genau in die Pläne des demokratischen Parteiapparats ein. Zwar hatte Taylor nach der Entscheidung des Obersten Gerichts den Kampf um das Amt des Gouverneurs aufgegeben und war nach Indianapolis geflohen, und der Staat Indiana verweigerte seine Auslieferung mit der Begründung, in Kentucky werde die Justiz in den Dienst der Politik gestellt. Powers aber war festgenommen worden, als er sich zur Flucht rüstete. Dass die führenden Republikaner versucht hatten, sich einem Gerichtsverfahren durch die Flucht zu entziehen, wurde als Eingeständnis ihrer Schuld ausgelegt und in alle Welt hinausposaunt. Und dass Powers bei seiner Verhaftung außerdem noch eine von Taylor unterzeichnete Begnadigungsurkunde im Hinblick auf angebliche Beteiligung am Goebel-Mord mit sich führte, schien ihn nicht zu entlasten, sondern erst recht zu belasten.


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