Don't tell me to relax. Ralph De La Rosa

Don't tell me to relax - Ralph De La Rosa


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ohne wirklichen Informationswert, dem wir ausgesetzt sind, kann es schwerfallen, den Lärm auszublenden und uns auf die bestehende Ungerechtigkeit auf der Welt und in unserem eigenen Hinterhof – vielleicht sogar besonders auf Letztere – zu konzentrieren.

      Mit Blick auf das Pulverfass einer globalen Krise könnten wir vielleicht vermuten, so etwas wie emotionale Intelligenz, neuropsychologische Erkenntnisse und Meditation sei abwegig. Es mag den Anschein haben, dass wir uns nur auf konkrete Lösungen und Handlungen konzentrieren sollten. Wer Zweifel daran hegt, dass Praktiken, die eher auf das Innere ausgerichtet sind, sozialen Wandel unterstützen, liegt nicht unbedingt falsch. Denn der Kapitalismus hat die Meditations- und Wellness-Kultur für sich vereinnahmt. Das ist nicht nur entmutigend, sondern führt auch dazu, dass solche inneren Techniken allzu oft ausgerechnet denen nicht zugänglich sind, die sie am meisten brauchen. Was ursprünglich als Mittel gedacht war, um alle fühlenden Wesen aus den Bränden herauszuholen, ist in vielen Bereichen auf eine Strategie zur weiteren Optimierung von Privilegien reduziert worden. Meditation kann von unserer allumfassenden Neigung benutzt werden, uns angesichts von Schwierigkeiten zu betäuben und zu zerstreuen, und das ist bereits geschehen. Sie kann eingesetzt werden, um das Gefühl der Dringlichkeit angesichts unserer globalen Krisen – der gegenwärtigen und der noch bevorstehenden – zu unterdrücken, und auch das ist bereits geschehen. Das, was einen Ozean der Barmherzigkeit hervorbringen könnte, wird auf eine kultivierte Form des Erholungsschläfchens reduziert.

      Solche Tendenzen können jedoch der an sich integren Praxis nichts von ihrem Wert nehmen (und, wo wir schon einmal dabei sind: Ebenso wenig können das die schändlichen Skandale, die sich in den letzten Jahren bei einigen bekannteren spirituellen Lehrern abgespielt haben). Meditation ist ein Mittel, das unbeugsames Mitgefühl und den ehrlichen Wunsch, füreinander da zu sein, zutage fördern kann. Nichts ändert daran etwas, und es gibt Tausende spirituelle Gemeinschaften und weltliche Orte der Achtsamkeit, die den wahren Geist, die wahre Absicht der Praxis fördern. Doch selbst in solchen Gruppen ist unter den Praktizierenden oft die vorherrschende Überzeugung anzutreffen, spirituelle Praxis und Politik sollten wenig miteinander zu tun haben – eine Überzeugung, die so stark ausgeprägt ist, dass sie viele solche Gemeinschaften dazu veranlasst hat, Diskussionen »politischer« Themen in ihren Praxisräumen mit einem formellen oder informellen Tabu zu belegen.

      Genau solche Situationen haben den Titel dieses Buches inspiriert. Ich betrachte »Don’t tell me to relax« – »Sag mir nicht, ›Entspann dich!‹« – als ein Mantra der Selbstermächtigung. Es steht für unsere Bereitschaft, uns mit dem auseinanderzusetzen, was unserer angeborenen Würde als Menschen und das Überleben der Menschheit zerfrisst – sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne. So gesehen, könnte dieses Buch ebenso gut den Titel »Don’t tell me how to feel« – »Sag mir nicht, wie ich mich fühlen soll« – tragen. Es geht hier nicht um die Frage, ob man sich entspannen soll oder nicht – das hängt letztendlich ganz von der jeweiligen Situation ab –, sondern um unser angeborenes Recht, angesichts von Entmenschlichung Gefühle zu haben und sie auszudrücken. Andere drängen uns vielleicht, unsere Wut durch »zivilisiertes Benehmen« zu kanalisieren, oder sie bezeichnen uns als »gestört« oder »verwirrt«, weil wir wegen etwas, mit dem wir konfrontiert sind, verletzt, wütend oder verängstigt sind. Wenn einem gesagt wird, man solle andere Gefühle haben, dann wird genau dadurch der Verletzung noch eine Beleidigung hinzugefügt. Es ist wirklich paradox, wenn man Wut über zugefügtes Leid und Gräueltaten zum Ausdruck bringt, und andere sich dann aber nicht am Leid und an den Gräueltaten stören, sondern an unserer Wut. In diesem Buch geht es darum, wie wir das Salz aus solchen Wunden herauswaschen können.

      Und – es gibt da einen Haken.

      DIE ARBEIT MIT TRAUMATISIERTEN KINDERN und Familien überforderte mich anfangs. Obwohl ich mir immer wieder in Erinnerung rief, »Ich bin hier nicht derjenige, der einen schlechten Tag hat«, hätten doch die Berührungspunkte meiner Arbeit mit Massenarmut, sexuellem Missbrauch, körperlicher Misshandlung und systemischem Missbrauch durch die Familiengerichte selbst schon ausgereicht, um jede(n) zu brechen. Während meiner ersten Arbeitstage in der klinischen Betreuung von Menschen in krisenhaften Lebenslagen war ich fortwährend bedrückt und das sah man auch. Eines Tages hielt mich eine leitende Angestellte aus der Verwaltung in der Halle an und versuchte mich unaufgefordert aufzumuntern: »Keine Sorge, bald haben Sie sich ein dickes Fell zugelegt, dann wird es besser.« Ich wies auf meine Brust, auf mein Herz, und erwiderte: »Nein, danke. Hier drin ist mein Kompass. Ohne das Ding wäre ich aufgeschmissen.« Obwohl ich immer noch mit der Frage rang, wie ich all das durchstehen sollte, wusste ich, dass die Antwort darauf nicht »Leg dir ein dickeres Fell zu« lauten konnte. Ein dickes Fell ist schließlich etwas, das uns unempfindlich macht. Und im Prozess mitfühlenden Handelns unempfindlich zu werden, ergibt einfach keinen Sinn.

      Als ich die Antwort dann fand, war sie das genaue Gegenteil eines dicken Fells: Die Situation besserte sich, als ich mir erlaubte, noch empfindsamer zu werden, noch mehr als zuvor mit meinen Emotionen und Reaktionen verbunden zu sein – und sogar zuzulassen, dass die quälenden Situationen, die ich miterlebte, mir einen Tritt in den Hintern verpassten. Ich musste aufhören zu denken, dass meine Gefühle anders sein sollten, und mir erlauben, das, womit ich es zu tun hatte, wirklich und wahrhaftig zu spüren. Das war Schritt eins, der wiederum die Tür zu Schritt zwei öffnete. Nachdem ich meinen Widerstand gegen sogenannte negative Gefühle beiseitegeschoben hatte, konnte ich mich mitfühlend um die verletzten, gequälten Teile in mir selbst kümmern und diesen Teilen helfen zu heilen. So konnte ich die Gefühle haben, die ich ganz natürlich empfand, und zulassen, dass sie Selbstmitgefühl in mir aufkommen ließen (was dann wiederum meine Fähigkeit zum Mitgefühl für andere erhöhte). Diese beiden Schritte bildeten einen tragfähigen Weg durch den Wald, einen resilienten Weg, der nicht nur frei von Abgestumpftheit war, sondern auch für unerwartetes Wachstum in meinem Leben sorgte. Solches Selbstmitgefühl macht einen Großteil dessen aus, worum es in diesem Buch geht. Natürlich kann das so aussehen, dass wir Pausen einlegen, das Leben feiern und besser für uns selbst sorgen, um die Situation abzumildern – Dinge, die wir inzwischen wohl alle können. Aber ich werde Gründe dafür vorbringen, dass wir zudem auch eine tiefergehende Medizin benötigen. Über das Aushalten von Emotionen und über Selbstfürsorge hinaus brauchen wir Prozesse, die unsere Gefühle und natürlichen Reaktionen verwandeln: Prozesse, die das in unseren Gefühlen unterschwellig vorhandene transformative Potenzial aufdecken und zu dauerhaften Veränderungen


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