Don't tell me to relax. Ralph De La Rosa
Art und Weise, wie wir innere Gespräche führen, zu verändern, wodurch wir auch in der Außenwelt anders wirken. Ein solches Prozess-Paradigma ist in Übereinstimmung damit, wie in einigen Praktiken des Tibetischen Buddhismus an Gefühle herangegangen wird (das betrifft vor allem Mahamudra-Praktiken, die auf Erfahrungen basieren, und einige Formen der Meditation, die insbesondere in der Kagyü- und Nyingma-Linie vorkommen); es wird auch von vielen renommierten amerikanischen Lehrenden des Theravada-Buddhismus, wie TARA BRACH und JACK KORNFIELD, gelehrt. Teilweise liegt das daran, dass das Paradigma des emotionalen Prozesses oft die Tür zu einer direkten Erfahrung unserer tieferen Natur öffnet – zu einer Energie des Selbstmitgefühls, die es ermöglicht, dass wir mit der »Sei die Veränderung«-Aufforderung bei uns selbst anfangen, im menschlichen Herzen, dort, wo Gerechtigkeit beginnt und endet.
WIR MÜSSEN MITGEFÜHL UND NEUGIER IN UNSERE EMPÖRUNG UND SORGE EINBRINGEN.
Das statische Gefühlsparadigma hat uns gelehrt, dass sich Gefühle gegenseitig ausschließen, das heißt: Wenn ich Mitgefühl empfinde, empfinde ich keine Wut; wenn mich das Auslöschen menschlichen Lebens bestürzt, bleibt in mir kein Raum mehr für Freude oder Dankbarkeit. Glücklicherweise ist das falsch. Unsere synaptischen Netzwerke haben jede Menge »Betriebskapazität«, sodass unsere sogenannten positiven und negativen Gefühle nebeneinander existieren können. In Wirklichkeit können wir sehr wohl Mitgefühl mit Wut verbinden. Wir können auch Neugier einsetzen, um unsere Angst zu klären, und wir können Empathie in jeden beliebigen Grad emotionalen Reagierens hineinmischen. Dies in Echtzeit zu praktizieren, mag komplex und schwierig klingen, aber ich arbeite schon lange genug mit einer solchen Art emotionaler Alchimie, um zu wissen: Es braucht nur Übung und Anleitung. Deswegen (du erinnerst dich?) ist dieses Buch dazu da, dir zu helfen.
WIR MÜSSEN PENDELN.
Ein Pendel schwingt von einer Seite des Kreises zur anderen und hat am Ende die gesamte Kreisfläche durchquert. Das kann uns als Vorbild für unser Leben dienen. Eine Form, solches Pendeln zu praktizieren, besteht darin, psycho-emotionale Brücken zwischen stärkeren Teilen unserer selbst und den tiefer verwundeten, heftiger reagierenden Teilen zu bauen (zum Beispiel Mitgefühl in unsere Wut einzubringen, wie oben beschrieben). Das ist Pendeln im unmittelbaren Sinne, so können wir es sofort praktizieren. Das Konzept des Pendelns kann aber auch in einem weiteren Sinne auf unser Leben und unser Umfeld angewandt werden. Zu manchen Zeiten müssen wir den ganzen Weg bis zur schwierigeren Seite des Spektrums zurücklegen (zum Beispiel bei innerer Trauma-Arbeit und Heilung, bei der Arbeit von Aktivist*innen im Außen, bei schwierigen Gesprächen mit anderen, wenn wir uns »die harten« Fragen stellen oder wenn wir unser Verhalten ändern, um unser Leben mit unseren Werten in Einklang zu bringen); zu anderen Zeiten wiederum müssen wir all das so weit wie möglich loslassen und auf die andere Seite schwingen (zum Beispiel wenn wir einfache Freuden genießen, wie die warme Sonne oder einen guten Song; wenn wir echte Selbstliebe und tiefe Selbstfürsorge üben, uns von Perfektionismus und Sorgen befreien und uns an unserem chaotischen, problematischen Leben freuen, so wie es ist). Wie die Erde um die Sonne kreist, müssen auch wir die Jahreszeiten in unserem Leben zulassen und würdigen. Es gibt eine Zeit des Aufblühens, eine Zeit der Winterruhe und eine Zeit der Veränderungen und der Ungewissheit.
IN MEINEM LETZTEN BUCH, Monkey Mind: Was dein Verstand dir sagen will, habe ich den Begriff der radikalen Nicht-Pathologie eingeführt. Radikale Nicht-Pathologie ist die Antithese zu dem medizinischen Modell, das von der konventionellen Psychologie und sogar von einigen Anhängern der östlichen Spiritualität aufgegriffen wurde. Das medizinische Modell wurzelt in der Vorstellung, dass eine Krankheit zugrunde liegt, wenn jemand ein Symptom hat: Etwas stimmt nicht mit der Person und sollte in Ordnung gebracht werden. Ein nicht-pathologisches Modell wurzelt hingegen in der Vorstellung, dass mit niemandem von uns etwas nicht stimmt.
Gemäß der Nicht-Pathologie sind Symptome, selbst leidvolle, ein Beweis für unser angeborenes Streben nach Gesundheit und Wohlbefinden. Fieber zum Beispiel bedeutet nichts weiter, als dass dein Körper Viren oder Bakterien aus dir »herauskocht«. Das Symptom des Fiebers ist kein Anzeichen dafür, dass dein Körper ein grundsätzliches Problem hat. Vielmehr ist es ein Beweis für seine innewohnende Intelligenz, sein Reaktionsvermögen, seine Resilienz und sein zuverlässiges Streben nach Gesundheit; darum radikale Nicht-Pathologie: die verwegene Vorstellung, dass unser Heilsein als Mensch Vorrang vor allem anderen hat. Das Grundlegende ist unsere Ausstrahlung, unser »Glanz« (tib. Ziji), und Schwierigkeiten in unserem Leben sind viel bedeutungsvoller, als wir meinen. Schwierigkeiten im Leben sind Alarmglocken, die uns wecken und unsere Motivation anstacheln, einen stimmigeren Weg zu finden. Sie sind deshalb kostbar.
Dieses Buch legt den Fokus weiterhin auf radikale Nicht-Pathologie und bettet sie in ein Empowerment-Modell ein: in die wahre Einsicht, dass die Weisheit, Klarheit und Freiheit unseres tieferen Wesens nicht darauf warten müssen, dass irgendjemand oder irgendetwas anderes daherkommt. Wir können anfangen zuzulassen, dass unsere weisere Wesensart jetzt, inmitten des Durcheinanders, zutage tritt. Wir können anfangen, die Verantwortung für unser Leben und unser Handeln zu übernehmen, ungeachtet dessen, was auf uns zukommt. Das müssen wir. Wir können es uns nicht leisten, fortwährend in einem Modus des Reagierens zu leben. Das Modell »Ich tue das, was ich tue, weil du das getan hast, was du getan hast«* ist so kindisch, kindischer geht’s nicht. Das ist das Burn-out-Modell, das statische Modell, das »Leg-dir-ein-dickes-Fell-über-dem-Herzen-zu«-Modell. Das können wir besser.
Unsere innewohnende Kraft ist die größte Ressource, die wir haben. Dies war FREDERICK DOUGLASS bekannt, als er schrieb: »Ich betete zwanzig Jahre lang, erhielt aber keine Antwort, bis ich mit den Füßen betete.« Auch JAMES BALDWIN wusste dies, als er schrieb: »Freiheit kann niemandem gegeben werden; Freiheit ist etwas, das Menschen sich nehmen, und Menschen sind so frei, wie sie es sein wollen.« VIKTOR FRANKL wusste es, als er schrieb, dass »man dem Menschen … alles nehmen kann, nur nicht die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen«.
Ein solches echtes Empowerment, eine solche Ermächtigung, wird offenbar nur auf eine Art erreicht, die der Intuition zuwiderläuft – indem wir kommunizieren, wenn wir lieber still wären; indem wir bewusster werden, wenn wir lieber als Schlafwandler durch die Welt gehen würden; indem wir die Verletzlichkeit der Verbundenheit wählen, wenn es einfacher wäre, abgeschottet zu bleiben; indem wir tiefer nach neuen, weiterentwickelten Wegen suchen; indem wir Anteil nehmen.
Nun, da haben wir einen Begriff: Anteil nehmen. In einer Zeit, in der die vorherrschende Maxime – »Give no fucks« oder auch »Das geht mir am Arsch vorbei« lautet – so aufreizend bildliche Ausdrücke, dass sie Buchtitel inspiriert haben –, gestatte man mir bitte, genau die gegenteilige Auffassung zu vertreten: dass die Dinge uns weniger denn je am Arsch vorbeigehen können und sollten. Die Energie des Anteilnehmens ist gleichbedeutend mit Empowerment. Die Welt mag uns frustrieren, verletzen und unterdrücken und uns zu der Annahme verleiten, die Lösung bestünde darin, uns einen Dreck darum zu scheren – to give no fucks –, aber mach dir einmal bewusst, wie reaktionär diese Haltung ist. Es ist dieses überholte Modell des »Ich tue das, was ich tue, weil du das getan hast, was du getan hast«, das dem Empowerment entgegensteht und uns entmachtet. Anteil nehmen angesichts dessen, was auch immer getan wurde oder geschehen ist, was auch immer für ein Durcheinander angerichtet wurde – das ist eine echte Entscheidung, eine Entscheidung, die keiner automatischen Reaktion entspringt, eine unerhörte Entscheidung, eine selbstbestimmte Entscheidung, eine Entscheidung, die Empowerment bedeutet.
»Die Energie der Anteilnahme« ist kein Gefasel; sie ist nichts Fadenscheiniges, nichts Schwaches. Sie ist – der Intuition zuwiderlaufend – ein Ausdruck von Stärke. Sich um etwas zu scheren bedeutet auch, sich zu empören. Es erfordert Mut. Es erfordert, dass wir aus dem Nest unserer Komfortzone herausspringen. Wir wollen das Gefühl haben, dass jemand Anteil nimmt – dass wir wichtig sind, respektiert werden, Gehör finden, dass man uns versteht, auf uns Rücksicht nimmt und dass unsere Bemühungen zählen –, und das