Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis. Walter G. Pfaus
wie abgesprochen“, versicherte der Mann. „Es war kein Problem, das Schloss der zum Garten führenden Tür zu knacken. Sie können sie nicht verfehlen. Es führen ein paar Stufen zu ihr hoch. Dahinter liegt die Küche.“
Sayers straffte sich.
„Okay“, sagte er und hob das Kinn. „An die Arbeit!“
Er ging an dem Haus vorbei, in dem Kimball wohnte, und bog in die Querstraße ein. Sayers überkletterte den niedrigen Zaun, überquerte eine Rasenfläche, stieg über eine Hecke, und stand dann im Garten von Horace Kimball. Sayers näherte sich der Rückfront des schmalen, alten Reihenhauses und vergewisserte sich, dass die Tür, die die Küche des Hauses mit dem Garten verband, nur angelehnt war. Er schob sie zurück und betrat den dunklen Raum.
Er blieb stehen. Er hörte Musik. Sie kam aus dem Wohnzimmer.
Corelli.
Sayers legte den Kopf zur Seite und lauschte mit geschlossenen Augen. Er liebte Barockmusik, deshalb störte es ihn, dass ein Mann wie Horace Kimball die gleiche Neigung hatte.
Sayers gab sich einen Ruck. Er tastete sich zur Tür, öffnete sie, betrat die Diele und stoppte, als die Musik abbrach. Ein kurzes, trockenes Husten wurde laut. Ihm war anzuhören, dass es von einem älteren Mann erzeugt wurde.
Sayers streckte die Hand aus. Er bewegte sich behutsam vorwärts. Seine ausgestreckten Finger berührten glatte Tapete. Sie tasteten darüber hinweg und erreichten einen Türrahmen, dann die Klinke der dazugehörigen Tür. Er drückte sie herab.
Er blinzelte wie geblendet, als er die Tür mit einem Ruck öffnete und von dem hellen Licht getroffen wurde, das den Raum erhellte.
Horace Kimball saß in einem ledernen Ohrensessel. Von dem pensionierten Staatsanwalt war nur der obere Teil des Schädels zu sehen. Ein paar schüttere Haarsträhnen, die quer über die glänzende Kopfhaut gekämmt waren.
Kimball saß im exakt vorgeschriebenen Abstand vor den Lautsprechern der Stereoanlage, deren automatischer Plattenspieler sich in diesem Moment anschickte, ein weiteres Musikstück abzutasten.
Fred Sayers ging an Kimball vorbei und betätigte die Stoptaste des Plattenspielers, dann wandte er sich um.
Horace Kimball saß wie erstarrt, mit großen, ungewöhnlich hellen Augen, die unter buschigen, grauen Brauen lagen. Sein Gesicht wirkte wie gegerbt. Die Haut war trocken und faltig. Horace Kimball sah älter aus, als er war, dennoch machte er keinen hinfälligen oder gar kranken Eindruck. Im Gegenteil. Er wirkte vital, aber auch beherrscht. Er bot das Bild eines Mannes, der mit sich in Frieden lebt und gelernt hat, jede Situation zu meistern.
„Wer, zum Teufel, sind Sie?“, fragte er. Seine Hände umspannten die Armlehnen des Sessels. Die Knöchel traten weiß und spitz hervor.
„Ich bin Ihr Henker, Kimball“, sagte Fred Sayers und ließ sich in einen Sessel fallen. „Ich nehme an, Bount Reiniger hat Sie von meiner Mission unterrichtet.“
„Er hat mir gesagt, dass zwischen dem Tod von Derek Dark und Leo Conroy offenbar Zusammenhänge bestehen, und dass es zweckmäßig für mich sei, darüber nachzudenken, wie ich einem ähnlichen Schicksal entgehen könnte, aber ich war nicht bereit, mir diesen Unsinn anzuhören. Ich glaube einfach nicht, dass es Menschen gibt, die so etwas zu tun vermögen.“
„Sehen Sie mich an!“, sagte Fred Sayers mit kalter, leiser Stimme. „Ich bin gekommen, um Ihre Zweifel zu beseitigen.“
„Sie sehen aus wie ein vernünftiger Mann“, meinte Kimball, der keine Furcht zeigte. „Mit vernünftigen Leuten kann man reden. Lassen Sie sich von mir sagen, dass es dumm und ungehörig ist, in fremder Leute Wohnungen einzudringen und sie auf diese Weise zu erschrecken ...“
„Ich will Sie nicht erschrecken, Kimball, ich bin gekommen, um Sie zu töten“, sagte Sayers.
„Ich bin ein alter Mann. Ich habe keinen Grund den Tod zu fürchten.“
„Respekt“, sagte Sayers spöttisch. „Sie beweisen Haltung. Bis jetzt jedenfalls. Ich bin neugierig, was geschehen wird, wenn wir Ihnen den Kopf scheren und Sie auf dem Stuhl festschnallen.“
„Das können Sie mit mir nicht machen“, murmelte Kimball.
Sayers zeigte seine festen, weißen Zähne.
„Wollen Sie mich daran hindern?“
„Sie selbst werden dafür sorgen, dass dieses makabere Spiel sofort abgebrochen wird.“
„Was, wenn ich fragen darf, sollte mich wohl bewegen, Ihrer Aufforderung Folge zu leisten?“
„Der Verstand. Der letzte Funken Menschlichkeit, der auch in Ihnen vorhanden sein muss. Mord ist kein Instrument zur Befriedigung persönlicher Rachegelüste. Wenn Ihr Hass erst einmal verpufft ist, wird Sie die Reue quälen ... aber dann ist es unter Umständen zu spät dafür.“
„Zu spät für Reue? Offen gestanden mache ich mir darüber keine Gedanken.“
„Wer sind Sie überhaupt?“
„Ich habe einmal in dieser Stadt gelebt. Als Junge. Ich hatte keine Eltern, aber einen Menschen, dem es gelang, sie mir zu ersetzen. Dieser Mensch wurde von Leuten Ihres Schlages getötet. Ich bin zurückgekommen, um sein Ende zu rächen.“
„Sie sprechen von Gilbert Osborne, nehme ich an. Er war ein Mörder.“
„Nein, das war er nicht ... und Sie wissen es!“
„Der Prozess ist formaljuristisch unanfechtbar verlaufen“, sagte Kimball.
„Sie müssen gewusst haben, dass Conroy von dem alten Craig geschmiert wurde und mit seiner Falschaussage das Todesurteil sicherte“, sagte Sayers.
„Wenn es so war, wie Sie sagen, wüsste ich gern, woher ich damals Kenntnis von der Lage erhalten haben sollte“, meinte Kimball mit mildem Spott.
„Sie kannten Craig. Sie kannten Conroy. Sie kannten sogar Gilbert Osborne. Sie wären ein verdammt schlechter Menschenkenner gewesen, wenn Sie das grausame Spiel nicht durchschaut hätten“, sagte Sayers.
„Die sogenannte Menschenkenntnis pflegt auf emotionalen Werten zu basieren“, meinte Kimball geringschätzig. „Für einen Juristen sind diese Dinge ohne Bedeutung.“
„Sie haben es mit zu verantworten, dass ein Unschuldiger auf dem elektrischen Stuhl endete.“
„Es war meine Pflicht, die vorliegenden Beweise zu würdigen“, meinte Horace Kimball. „Das habe ich getan. Nach ihrem eingehenden Studium war ich gezwungen, die Todesstrafe zu beantragen.“
„Ihnen kann nicht entgangen sein, dass in dem Prozess mit gezinkten Karten gespielt wurde.“
„Trifft es zu, dass Sie Martin Cervanto töteten?“
„Ja.“
„Was ist mit Leo?“
„Er war dazu bestimmt, das Schicksal des Henkers zu teilen, aber sein Herz machte nicht mit. Es versagte, als ich ihn aus dem Haus zu holen versuchte.“
„Demnach sind Sie ein Doppelmörder.“
„War Cervanto ein Mörder?“
„Nein.“
„Er hat Menschen getötet.“
„Er hat es im Auftrag des Gesetzgebers getan.“
„Lassen Sie uns keine juristischen Spitzfindigkeiten austauschen“, sagte Sayers. „Cervanto hat getötet und wurde am Ende selbst getötet. So ergeht es jetzt Ihnen.“ Sayers erhob sich mit einem Ruck. „Kommen Sie!“, sagte er scharf.
Kimball blickte aus hellen Augen zu dem Mann hoch, der entschlossen war, ihn zu töten.
„Ich weigere mich, Sie zu begleiten“, sagte er.
„Ich