Verlorenes Land. Andreas M. Sturm

Verlorenes Land - Andreas M. Sturm


Скачать книгу
finden, dann sorgen Sie bitte dafür, dass das Schloss der Eingangstür gewechselt wird.«

      »Ist meine Tochter in Gefahr? Sollte ich sie mit zu mir nehmen?«

      »Vielleicht ist das gar kein schlechter Gedanke. Zumindest so lange, bis der Schlüsseldienst da war.«

      Uwe wollte sich zurückziehen, da kam Frau Rost in den Flur gewankt und hielt ihn am Arm fest. »Wissen Sie, wie ich mich gestern Morgen von Siegfried verabschiedet habe? Gezankt habe ich mit ihm, weil er vergessen hatte, die Geburtstagskarte an meine Schwester einzuwerfen.« Sie taumelte und suchte an der Kante des Flurtischs nach Halt. »Versprechen Sie mir, den Mörder zu finden!«

      Obwohl Uwe wusste, dass ein solches Versprechen ihm auf die Füße fallen konnte, gab er es.

      7

      Anton Jäger zog seine Kreise durch die Äußere Neustadt, als wolle er nur ein paar Einkäufe erledigen. Es war ihm nicht anzusehen, was für ein schwerer Kampf in seinem Inneren tobte. Der gewaltige Bau der Martin-Luther-Kirche zog ihn gleichzeitig zu sich heran und stieß ihn weg.

      Obwohl er einen dicken Mantel trug, begann er zu frieren. Der eisige Wind durchdrang mühelos das Gewebe des Stoffs und traf auf die Kälte, die seine Seele in starrem Griff hielt. Anton blieb stehen und schüttelte den Kopf. Es würde nicht leichter werden, wenn er die Entscheidung weiter verschob.

      Nachdem er zu einem Entschluss gekommen war, legte er den Schlenderschritt ab und hastete zur Kirche. Er kannte seine Unentschlossenheit und wollte nicht noch einmal schwach werden. Fast trotzig nahm er die wenigen Stufen und drückte das schwere Portal auf.

      Das Gotteshaus empfing ihn mit einer nahezu greifbaren Stille. Einer Stille, die er fürchtete, zugleich aber schätzte, führte sie ihm doch auf der einen Seite gnadenlos die Wahrheit über sich selbst vor Augen und schenkte ihm andererseits Frieden. Hin- und hergerissen zwischen der Furcht vor der Vergangenheit und dem Wunsch nach Hilfe wählte er einen abgelegenen Platz in dem einsamen Kirchenschiff und faltete die Hände.

      Erst spät in seinem Leben hatte er zu Gott gefunden, zu einem Glauben, der noch brüchig war. Er hegte immer noch Zweifel, die mit der tief in ihm verwurzelten materialistischen Weltanschauung einen Kampf austrugen, aber Beten spendete ihm Ruhe und gab ihm Hoffnung auf Vergebung.

      Tief in seine Andacht versunken, bemerkte Anton den Mann, der sich still neben ihn gesetzt hatte, erst nach seinem geflüsterten »Amen«. Erschrocken zuckte er zusammen und ging sofort in Angriffsposition. Unmittelbar nachdem er erkannt hatte, wer da neben ihm saß, entspannte er sich. »Meine Reflexe sind nicht mehr das, was sie früher mal waren. Vor ein paar Jahren wäre es dir nicht gelungen, dich an mich heranzupirschen, Hochwürden.« Lächelnd reichte er seinem Nachbarn die Hand.

      Pfarrer Polenz erwiderte das Lächeln. »Du musst dich damit abfinden, dass du im Herbst deines Lebens stehst. Aber die Tage des Kampfes sind für dich noch nicht vorüber«, fügte er ernst hinzu.

      Beide Männer verfielen in Schweigen.

      Schließlich atmete der Pfarrer tief und nachdrücklich ein und aus. »Ich kann mir denken, was dich an diesen Ort führt.«

      Anton seufzte ebenfalls, ließ die Worte jedoch unkommentiert.

      »Die Entscheidung über dein Handeln liegt allein bei dir«, fuhr der Pfarrer unverdrossen fort. »Doch wenn du tief in dich hineinhorchst, wirst du wissen, was zu tun ist.« Er erhob sich und drückte Antons Schulter zum Abschied. »Eins musst du dir vor Augen führen, bevor du den nächsten Schritt tust: Die Menschen, die dich aufgenommen haben, brauchen in dieser Situation deine Hilfe.«

      Während Anton Jäger die Gestalt des sich von ihm entfernenden Pfarrers mit seinen Blicken verfolgte, überkam ihn die bittere Erkenntnis, dass etwas Böses auf ihn zukam. Etwas, dem er nicht ausweichen konnte, selbst wenn er das wollte.

      8

      Zurück auf der Straße blieb Uwe noch einen Moment stehen. Nachdenklich ließ er seine Blicke auf der Villa ruhen. Der Aufenthalt in Rosts Wohnung hatte neue Fragen aufgeworfen aber auch einen Hinweis gebracht. Doch diese Spur hatte Zeit bis morgen. Für den Rest des Nachmittags hatte er sich etwas anderes vorgenommen.

      Uwe suchte sich eine Telefonzelle, unterrichtete seinen Chef über das Ergebnis der Befragung und informierte ihn darüber, was er heute noch zu tun beabsichtigte. Nach dem Gespräch verdrängte er den Unmut über Ungers abfälliges Lachen und führte ein zweites Telefonat. Danach strich er sanft über den Sattel seines Fahrrads und murmelte »Komm Mary, wir drehen noch eine Runde«. Mit kräftigen Tritten in die Pedale radelte er erneut zum Tatort.

      Hier wurde Uwe bereits erwartet. Genosse Lindner, der ABV, war pünktlich. Der stattliche Mittfünfziger bockte gerade seine himmelblaue Schwalbe auf und empfing ihn mit einem warmen Lächeln. »Sportlich, sportlich, junger Freund. In deinem Alter war ich auch so fit.« Er zog ein verlegenes Gesicht. »Irgendwann kam der Tag, an dem die Bequemlichkeit über den Willen siegte.« Er strich über seinen beachtlichen Bauch, der die Knöpfe der Uniformjacke in Bedrängnis brachte. »Und seitdem meine liebe Bärbel als Verkäuferin im Deli arbeitet, sind die Verführungen nicht gerade kleiner geworden.«

      Freundlich reichte Uwe dem Mann die Hand und präsentierte seinen Dienstausweis. »Ordnung muss sein. Sonst könnte ja jeder kommen und sich als Leutnant der VP ausgeben«, sagte er verschwörerisch zwinkernd. Der ABV war ihm sympathisch, mit dem würde die Zusammenarbeit ohne Probleme ablaufen.

      »Hast recht, Herr Leutnant.« Krachend schlug Lindners große Pranke auf die Schulter des jungen Mannes.

      »Für dich, Uwe.« Er überlegte kurz. »Du hast ja sicher schon gehört, was passiert ist. Ich brauche deine Hilfe. Du hast den besten Draht zu den Leuten, die in der Gegend wohnen. Hör dich um und bring alles in Erfahrung, was nur geht. Der kleinste Hinweis kann entscheidend sein. Zu dir haben die Menschen hier mehr Vertrauen als zu den Schupos. Achte bitte vor allem auf Leute, die schwarz mit Antiquitäten handeln, und auf die einschlägig Vorbestraften. Ich meine Einbrecher, Hehler und die Typen, die nicht zögern, jemandem in dunklen Ecken aufzulauern.«

      Lindner nickte. »Ist ein eignes Völkchen, was in diesen Straßen lebt. Übrigens, ich bin der Erwin.«

      Uwe führte Erwin zur Außentoilette und zeigte ihm den Tatort. Weiterhin informierte er ihn über die Tötungsart und wer den Toten entdeckt hatte. Der Leutnant wollte Lindner für seine Erkundigungen möglichst viele Anhaltspunkte mit auf den Weg geben.

      Im Gegensatz zu Uwe hielt sein Chef nicht viel von den Abschnittsbevollmächtigten, nannte sie Hilfssheriffs und rümpfte die Nase über die Streifengänger.

      Wie falsch Unger mit dieser Ansicht lag, zeigte das Verhalten des ABV eindrücklich. Lindner lief aufmerksam über den Hof und schaute auch in den kleinsten Winkel. Uwe ließ ihm die Zeit, die er brauchte.

      Als Erwin seine Besichtigung abgeschlossen hatte, trat er zu ihm. »Die Kleine, die das Verbrechen entdeckt hat, kenne ich. Sabine Fuchs, süßes Ding. Wohnt gleich gegenüber.« Er deutete zu einem Hauseingang.

      In sich hineinlächelnd gratulierte sich Uwe dazu, den ABV hinzugezogen zu haben. Allein dieser Hinweis ersparte ihm eine Rückfrage bei Ludwig und dessen arrogantes Gefeixe. Er verabschiedete sich von Erwin und marschierte schnurstracks quer über den Hof zu dem angegebenen Hauseingang.

      Die junge Frau, die auf sein Klingeln die Tür öffnete, ließ die Kinnlade des jungen Polizisten hinunterklappen. Erwins Beschreibung war mehr als zutreffend. Uwe fand sie süß, unglaublich süß sogar. Lange dunkle Haare, eine Wahnsinnsfigur und das hübscheste Gesicht, das Uwe jemals unter die Augen gekommen war. Er musste sich richtig zusammennehmen, damit er sich nicht wie ein kompletter Idiot benahm. Seine Finger zitterten vor Nervosität, während er seinen Dienstausweis aus der Tasche angelte. Unsicher hielt er ihn der Frau vor die Nase.

      Die brach in lautes Gelächter aus, fasste nach seiner Hand, nahm ihm den Ausweis ab und drehte ihn, damit sie ihn lesen konnte.

      Uwe wäre am liebsten im Boden versunken.

      Nachdem


Скачать книгу