Verlorenes Land. Andreas M. Sturm

Verlorenes Land - Andreas M. Sturm


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      Ludwig konnte sich sehr gut vorstellen, auf welche Weise Pia das Nervenkostüm ihres Chefs auf Vordermann gebracht hatte. Der Umstand, dass sie Scharfenbergs Büro ohne anzuklopfen betrat, hatte ihm einiges über die Beziehung zwischen Chef und Sekretärin erzählt. Er nahm das Glas, trank und betrachtete nachdenklich die grüne Flüssigkeit, unschlüssig, ob er die nächste Frage stellen sollte. Für den Fall war die Antwort unwichtig, die Neugier siegte jedoch. »Du und Scharfenberg, da läuft doch was?«

      Pia kitzelte ihn sacht unter dem Kinn. »Eine Lady genießt und schweigt.«

      Für Ludwig war das Antwort genug, Zeit, seinen Fragenkatalog abzuarbeiten. »Du kanntest Rost ja auch. Was war er für ein Mensch?«

      »Ein Arschloch.«

      »Soll heißen?«

      »Sag mal, hast du nur mit mir gebumst, um an Informationen zu kommen?« Ihr Mund lächelte, die Augen nicht.

      Ludwig erstarrte alarmiert, verärgern durfte er Pia auf keinen Fall. Jetzt war Schadensbegrenzung angesagt. Ohne Mühe gelang es ihm, verwirrt aus der Wäsche zu gucken. »Dafür bist du viel zu sexy.« Er gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. »Warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden?« Er stellte sein Glas ab, ließ seine Hand unter die Decke gleiten und begann ihre Brust zu streicheln.

      Pia entspannte sich auf der Stelle und begann zu schnurren.

      »Jetzt, wo du mich neugierig gemacht hast, solltest du mir ein paar Brocken hinwerfen.«

      »Na ja, Rost war irgendwie schleimig. Aber auch ...«, sie suchte nach dem passenden Wort, »unheimlich. Ich weiß nicht recht, wie ich es beschreiben soll, mir ist es immer kalt über den Rücken gelaufen, wenn er mir in die Augen sah. Hat sogar versucht, mich rumzukriegen.« Sie lächelte mit gespielter Koketterie. »Bevor ich so einen ranlasse, mache ich es mir lieber selbst. Ein widerlicher Kerl war das, ich bin froh, dass er weg ist.« Sie lachte hell auf. »Bin ich jetzt verdächtig?«

      Ludwig stimmte in ihr Lachen ein, obwohl er sie im Stillen auf die Liste setzte. »Du bist zu süß für eine Mörderin.«

      Pia war in Fahrt geraten. »Andere waren nicht so wählerisch. Brigitte aus der Buchhaltung, Jutta aus der Stanzerei, seine Sekretärin Marion ... soll ich fortfahren?«

      Ludwig war sofort ganz Ohr, warf die Bettdecke beiseite, sprang auf, rannte zu seinen Sachen, die auf dem Boden verstreut lagen, und holte sein Notizbuch. Er huschte zurück ins Bett und drückte Pia einen Kuss auf die Wange. »Du bist ein Engel.«

      »Ja, ja«, kam es gelangweilt zurück. Sie setzte ein zweideutiges Lächeln auf, schlüpfte aus dem Bett, kramte in einer Schublade und reichte ihm einen Stift. »Jetzt kannst du ruhig Detektiv spielen, mir ist die Lust erst mal vergangen.«

      Ludwig nickte abwesend, dieses Problem würde er später regeln. Fürs Erste schrieb er die Namen auf, die Pia ihm ansagte.

      Die widmete sich ihrem Mixgetränk. Nachdem sie fünf ihrer Kolleginnen angeschwärzt hatte, legte sie ihre Stirn in Falten. »Was darf es noch sein?«

      »Ich habe Scharfenberg bereits danach gefragt, doch du weißt ja, wie das ist, Chefs decken sich gegenseitig. Hatte Rost Streit mit Kollegen oder Feinde im Betrieb?«

      Pia spülte ihren Ärger herunter und dachte scharf nach. Nach einer Weile kam sie zu einem Ergebnis. »Da ist mir nichts bekannt. Rost war zwar Abteilungsleiter, hat seine Leute aber stets in Ruhe gelassen, solange sie ihre Arbeit ordentlich erledigten. Wenn ich so darüber nachdenke, er hat gern mit den Arbeitern gequatscht und dabei auf guten Kumpel gemacht. So, wars das jetzt?«

      Ludwig brummte zustimmend, er konnte sich sowieso nicht mehr konzentrieren, Pias Hand, die ständig unter der Bettdecke zugange war, lenkte ihn ab.

      »Danke, du hast mir sehr geholfen. Ich ...«

      Weiter kam er nicht. Ihre Finger wanderten seinen Oberschenkel entlang und griffen entschlossen zu, als sie ihr Ziel erreicht hatten. »Bist du bereit für die nächste Runde, mein starker Polizist?«

      10

      Auf die Minute genau um 7 Uhr hob Oberleutnant Unger die Faust und klopfte an die Tür des Leiters der Kriminalpolizei. Nach dem »Herein« des Majors betraten er und Uwe das Büro. Beide wussten, dass der Chef Unpünktlichkeit nicht tolerierte.

      Jovial lächelnd nahm Major Horst Günzel ihren Gruß entgegen und deutete auf die Besucherstühle gegenüber seinem Schreibtisch. »Guten Morgen, die Herren. Das ist ja ein schöner Schlamassel, der uns da eingebrockt wurde. Ich hoffe, ihr präsentiert mir erste Ergebnisse.«

      Unger straffte seinen Körper, bemüht, Sicherheit und Tatkraft zu demonstrieren. »Die Untersuchungen am Tatort sind abgeschlossen. Anhand der Spuren und der Menge des aus der Wunde ausgetretenen Blutes können wir annehmen, dass der Fundort gleichzeitig der Tatort ist. Die Brieftasche hat der Täter zurückgelassen.« Ludwig rang sich ein gekünsteltes Lachen ab. »Somit ist Raubmord als Motiv unwahrscheinlich. In der Brieftasche befanden sich seine Papiere und 90 Mark. Der Ermordete, Siegfried Rost, hat mit dem Rücken zur Außentoilette gestanden und wurde ins Herz geschossen. Das Projektil ist aus nächster Nähe abgefeuert worden. Es steckte in der Holzwand des Häuschens. Den Berechnungen der Techniker zufolge stand der Schütze circa zwei bis drei Meter entfernt von seinem Opfer, als er abdrückte. Eine Hinrichtung par excellence.«

      »Dann war der Mord also etwas Persönliches?« Trotz des Ernstes seiner Frage versuchte sich Major Günzel an einem aufmunternden Lächeln. Er wollte versuchen, das Gespräch zu entkrampfen, das ständige Strammstehen von Unger ging ihm manchmal auf den Geist.

      Doch der bekam nichts von dem Angebot mit. In dienstlichem Ton fuhr er fort: »Es deutet alles darauf hin, festlegen möchte ich mich allerdings nicht.«

      Günzel verdrehte innerlich die Augen und ließ seinen Blick für einen Moment auf dem jungen Leutnant Friedrich ruhen. Der war von ganz anderem Kaliber, als sein direkter Vorgesetzter. Entspannt in seinem Stuhl sitzend, unterdrückte er offensichtlich ein Lächeln. Ungers gestelzte Ausdrucksweise schien ihn zu amüsieren. Günzel strich sich nachdenklich über die wenigen verbliebenen Haare. Solange der Grünschnabel nicht den Respekt vergaß, würde er es nicht zur Kenntnis nehmen. Flink holte er ein Taschentuch aus der Hosentasche und tat als müsste er sich schnäuzen. Jetzt war es an ihm, ein Grinsen zu überspielen. Fast meinte er, sich selbst da sitzen zu sehen, vor zwanzig Jahren. Er war ebenso gewesen. Offen, interessiert und zielstrebig. Diese Eigenschaften hatten ihn auf seine jetzige Position gehievt. Er würde abwarten, wie sich der Bengel mauserte. Potenzial schien er zu haben, und das war wichtig in diesen Zeiten. Die Welt veränderte sich rasant. Welche Rolle sein Heimatland, die DDR, in Zukunft spielen würde, war noch nicht abzusehen. Aber egal, in welche Richtung die Reise ging, aufgeschlossene, tolerante Mitarbeiter, die auch mal um die Ecke denken konnten, waren enorm wichtig für die kommenden Anforderungen. Friedrich könnte einer von denjenigen sein, die eine Erneuerung mitgestalteten.

      Den arroganten und zynischen Unger dagegen hatte Günzel noch nie leiden können. Obwohl der erst siebenunddreißig Jahre zählte, war er bereits jetzt verbittert und engstirnig. Er seufzte. Man konnte sich seine Mitarbeiter eben nicht aussuchen.

      Unverdrossen redete Unger inzwischen weiter. »Mit Fingerabdrücken sieht es mau aus. Der Hof ist nun mal ein öffentlicher Ort. Bewohner, Besucher und Postboten geben sich die Klinke in die Hand. Besondere Sorgfalt haben die Techniker bei dem Klo aufgewandt.« Er war in seinem Element, und seine Darstellungen wurden blumiger. »Viel hat es nicht gebracht. Kunststück, bei den Oberflächen. Hautfett haftet nicht so gut an wurmstichigen, steinalten Brettern. Bei dem Projektil handelt es sich um 9 Millimeter Parabellum-Munition. Damit ist die Mordwaffe vermutlich eine Luger Modell 08.«

      »Si vis pacem para bellum. Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor.« Der Major lachte bitter. »Eine Luger gehörte bis Ende der Sechziger zur Standardbewaffnung der VP, darum ist sie leider nicht gerade selten. Das macht es nicht einfacher für uns.«

      Unger und Friedrich nickten synchron.

      »Das Ergebnis der gerichtsmedizinischen


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