Machtergreifung. Ferdinand Schwanenburg

Machtergreifung - Ferdinand Schwanenburg


Скачать книгу
der Autobahn noch einen Laden, dessen Besitzer einen der besten Gulaschs macht, den Sie hier im Norden bekommen können. Ein wahres Gedicht.«

      Herbert kannte immer irgendwo jemanden, der spätabends noch ein leckeres Essen auf den Tisch zaubern oder einem irgendwie behilflich sein konnte. Woher er alle diese Leute kannte, wusste Dr. Adalbert Hausding nicht, es interessierte ihn auch nicht sonderlich. Herbert hatte einmal erzählt, dass er Koch gelernt habe und auch schon mal Marktschreier für Wurstwaren gewesen sei.

      Hausding schüttelte den Kopf. »Nein, vielen Dank, wir warten noch einen Moment.« Herbert ließ den Motor laufen. Kurz darauf öffnete sich die Wagentür, und auf den Rücksitz neben Hausding glitt eine junge Frau in einem Trenchcoat.

      »Wir fahren zuerst Frau Dr. Fischer zu ihrer Wohnung in Berlin«, rief der alte Mann nach vorn. »Dann fahren Sie mich nach Hause.« Herbert schaute in den Rückspiegel und lächelte der hübschen blonden Journalistin zu. Auch wenn es für ihn einen ziemlichen Umweg bedeutete und er wohl erst mitten in der Nacht ins Bett kommen würde, rief er ohne zu zögern: »Jawohl!«

      Hausding wollte sich gerade seiner hübschen Begleiterin zuwenden, da klingelte sein Telefon. Es war Martin Müller, der zweite Vorsitzende und Mitgründer der Deutschlandpartei.

      »Guten Abend, Herr Dr. Müller«, sagte Hausding.

      »Guten Abend, Herr Dr. Hausding«, erwiderte Müller ebenso formell. Seine Stimme klang aufgebracht. »Das ist doch alles eine einzige Katastrophe. Ich habe Sie in der Talkshow gesehen. Wie können Sie nur so über die deutsche Vergangenheit reden, jetzt, wo Teile unserer Partei unter Beobachtung stehen? Gerade jetzt müssen wir vorsichtig sein. Ich verlange, dass sich sofort der Bundesvorstand trifft. Wir müssen das Deutsche Herz und die Jungdeutschen aus der Partei ausstoßen, und zwar sofort.«

      Dr. Hausding seufzte. »Wie wollen Sie das denn anstellen? Die sind integraler Teil unserer Partei. Sie gehören dazu.«

      »Als Erstes müssen wir diesen Sehlings loswerden. Der hat uns diese ganzen Nazis doch erst ins Haus geholt.«

      »Wie soll das denn gehen?« Dr. Hausding wollte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. »Sie haben doch selbst so viel Wert darauf gelegt, jedes neue Mitglied vor seinem Eintritt zu kontrollieren. Das war ihnen doch so unheimlich wichtig.«

      Diesen Einwand überhörte der Co-Vorsitzende bewusst. »Die ganzen Nazis sind unser Untergang«, rief er. »Wir müssen sie schleunigst loswerden.«

      Bei dem Wort Nazi schreckte Hausding zusammen. Zwar hatte er auch etwas gegen Kampfstiefel tragende Glatzen-Nazis. Aber er hatte auch etwas dagegen, jeden rechts eingestellten Menschen gleich als Nazi zu bezeichnen. »Nun übertreiben Sie mal nicht, Herr Dr. Müller. Wenn Sie alle, die Sie Nazis nennen, aus der Partei haben wollen, dann stehen Sie bald ziemlich alleine da. Das sind die Menschen, die uns wählen.«

      »Der Sehlings ist die größte Gefahr für die Partei«, wiederholte Müller. »Wir konnten Sie sich nur mit dem einlassen und ihm so viel Macht verschaffen?«

      Hausding überging die Frage seines Mitgründers und antwortete mit besänftigendem Tonfall: »Mir ist der Mann doch auch nicht besonders sympathisch. Aber solche Menschen brauchten wir damals, und wir werden sie auch zukünftig noch brauchen.« Hausding betonte dabei das Wort »noch«. »Er ist sicherlich nicht besonders intelligent, vielleicht bauernschlau. Der organisiert halt gerne und hat einen servilen Charakter.« Er machte eine kurze Pause. »Irgendwann stoßen wir diese Typen ab. Aber im Moment sind sie uns nützliche Idioten.«

      »So nützlich, dass wir jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ich dachte, wir waren uns damals einig. Wir wollten mit unserer Partei die alte Christpartei wieder auferstehen lassen. Wir brauchen eine rote Linie nach rechts.«

      »Nun beruhigen Sie sich doch!« Dr. Adalbert Hausdings Stimme wurde nun doch scharf.

      Aber Dr. Martin Müller wollte sich nicht beruhigen. »Ich habe diesem Sehlings von Anfang an misstraut. Dieser Kleinbürger passt doch nicht zu uns«, tönte es ziemlich aggressiv und laut aus dem Mikrofon.

      »Er gehört genauso zu unserer Partei wie Sie, Herr Dr. Müller«, sagte Hausding noch schärfer als zuvor.

      »Wenn Sie das so sehen, dann haben wir beide wohl ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, was die Deutschlandpartei will«, platzte es aus Müller heraus. »Es gibt genügend Leute, die denken schon lange über eine Spaltung der Partei nach. Und jetzt ist dann wohl der richtige Zeitpunkt dafür. Gute Nacht, Herr Dr. Hausding!« Dann beendete er das Gespräch.

      Dr. Adalbert Hausding packte sein Mobiltelefon weg und wollte gerade einen neuen Versuch machen, sich seiner Mitfahrerin zuzuwenden, als das Telefon erneut klingelte. Er blickte über seine Brille hinweg auf das Display und seufzte. Dieses Mal war es der »Oberst«, ebenfalls Mitglied im Bundesvorstand der Deutschlandpartei und zusammen mit Müller einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion. Der Spitzname Oberst kam daher, dass er zuvor Generalstabsoberst der Bundeswehr war und die Partei jetzt wie eine militärische Einheit zu führen versuchte. Auch diesen Anruf nahm der Parteivorsitzende entgegen. Herbert und die junge Journalistin bemühten sich, möglichst unauffällig zuzuhören.

      »Guten Abend, ich hoffe, ich störe Sie nicht, Herr Dr. Hausding«, sagte der Oberst. »Ich wollte mich nur kurz melden wegen der neuen Situation. Ich schlage vor, dass sich der Bundesvorstand schnellstmöglich trifft, um eine neue Beurteilung der Lage anzustellen.«

      »Ich stimme Ihnen zu«, antwortete Hausding. »Ich werde den Bundesvorstand zu einer Sitzung einberufen, damit wir darüber reden können«, sagte Hausding.

      »Ach, noch etwas«, fuhr der Oberst fort. »Ich werde demnächst interessantes Material aus der Vergangenheit von Friedrich Sehlings zugespielt bekommen, das ihn in einer äußerst verfänglichen Situation zeigt.« Er wartete kurz auf eine Reaktion von Hausding, dann fuhr er fort. »Ich hoffe, wir sind uns einig in der Beurteilung, dass dieser Feldwebel zu mächtig geworden ist und in seine Schranken gewiesen werden muss. Von ihm geht eine Gefahr für die Partei aus, auch wenn er Ihr Ziehsohn ist.«

      »Die Bezeichnung Ziehsohn ist eine Zuschreibung der Presse«, entgegnete Hausding. »Ich habe sie nie gebraucht. Jedenfalls hat uns dieser Mann in der Vergangenheit gute Dienste erwiesen.«

      »Na, dann sind wir uns ja einig, dass wir mittlerweile soweit sind, ohne ihn auszukommen. Gute Nacht.«

      »Gute Nacht«, entgegnete Hausding und legte das Telefon zur Seite.

      Dr. Florentine Fischer blickte Hausding mit ihrem typischen Kleinmädchen-Augenaufschlag an. »Ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich in meinem Porträt von dir diesen Sehlings als deinen Ziehsohn bezeichnet habe. Das hat mir einige Pluspunkte bei unserem Chefredakteur gebracht.«

      Der alte Mann lächelte die junge Frau etwas gequält an, wie Herbert mit einem kurzen Blick in den Rückspiegel beobachten konnte. Dann sagte er: »Ist doch schön, dass für dich alles so gut läuft.«

      »Ich hoffe, ich habe dich in der Talkshow nicht zu hart angegriffen«, entgegnete die Journalistin. »Ich muss auf meine Karriere achten. Unser Chefredakteur beharrt darauf, dass wir immer angriffslustig sind. Das seien wir der linken und kritischen Tradition des Demokratischen Beobachters schuldig, sagt er.«

      Jetzt lächelte Hausding der jungen Frau offen zu. »Nein, überhaupt nicht. Das war genau richtig. Das bringt uns noch mehr Anhänger, auch wenn die Situation gerade etwas schwierig ist. Du weißt ja: Bei den Leuten, die uns wählen, gilt der Demokratische Beobachter als Inbegriff des grünen und roten Establishments. Mach ruhig weiter so.«

      Die Journalistin strahlte. »Ich muss in Zukunft wirklich ziemlich kritisch sein. Bald wird der Posten des Berliner Büroleiters frei. Den will ich unbedingt haben.« Für kurze Zeit herrschte Stille, dann fuhr sie mit leiser Stimme fort: »Übrigens, hättest du etwas dagegen, wenn ich den Oberst auf dieses Material anspreche, das er bezüglich Sehlings erwähnt hat?«

      Hausding schüttelte leicht den Kopf. »Nur zu.« Dann wechselte er rasch das Thema: »Das war eine gute Idee, dass du mich heute wieder in die Talkshow geholt hast.


Скачать книгу