Machtergreifung. Ferdinand Schwanenburg

Machtergreifung - Ferdinand Schwanenburg


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schnell in Regierungsämter zu kommen. Die beiden schlimmsten Feindzeugen waren Dr. Martin Müller und der Oberst.

      »Der Oberst hat etwas gegen mich in der Hand aus früherer Zeit?« Friedrich Sehlings runzelte die Stirn. »Weißt du Genaueres?«

      »Noch nicht«, antwortete Matschinski. »Er hat in einem Gespräch mit Müller so etwas angedeutet, er tat recht geheimnisvoll. Ich stand zufällig daneben und habe mitgehört. Vielleicht ist auch gar nichts dran. Du weißt doch, wie großspurig der immer ist. Gerüchte aus deiner Vergangenheit kochen doch immer mal wieder hoch.«

      »Bleib bitte trotzdem dran«, befahl Sehlings.

      »Jawohl, Kommandeur!«

      Sehlings wollte das Gespräch beenden und sagte: »Wir dürfen uns jetzt keinen Fehler erlauben. Wir sind gerade sehr verwundbar. Gute Nacht!«

      »Ich mache mir wirklich Sorgen«, antwortete Matschinski. »Wir haben schon so viel erreicht. Es wäre schade, wenn wir das alles jetzt aufgeben müssten. Gute Nacht.«

      Friedrich Sehlings war sauer. »Dieser elende Opportunist«, murmelte er vor sich hin. »Der hat doch nur Angst, dass er seine Pfründe verliert.« Sorgen machte er sich aber wegen des Obersts. Der konnte eine wirkliche Gefahr für ihn werden.

      Doch weit kam Friedrich Sehlings mit seinen Gedanken nicht. Der nächste Anrufer war schon in der Leitung. Es war Hans-Jürgen Lehmann, der Vorsitzende des Deutschen Herzens. Der Inhaber eines Lebensmittelgeschäftes saß in keinem Landtag und auch nicht im Bundestag, er war nur eines von vielen Mitgliedern im Bundesvorstand. Als charismatisches Aushängeschild des völkischen Flügels der Partei war er jedoch immer mächtiger geworden.

      »Die Zeit des Waldgangs ist gekommen«, flüsterte Lehmann ins Telefon. »Meine Truppen stehen zum Sturm auf das Winterpalais bereit. Wir müssen die Revolution jetzt machen.«

      Sehlings stöhnte innerlich. Die Revolutionsfantasien haben ihm das Gehirn vernebelt, dachte er. Der glaubt tatsächlich, er sei sowas wie ein rechter Lenin. Leider brauchte Sehlings ihn noch. Mit dem biederen Dr. Adalbert Hausding hatte Friedrich Sehlings die ideale bürgerliche Fassade für seine Mission gefunden. Der frühere hohe Beamte war die Verkörperung der alten Bundesrepublik, ein intellektueller Vertreter der westdeutschen Christpartei der Siebziger- und Achtzigerjahre, einer Zeit, nach der sich die bürgerlichen Konservativen in Deutschland zurücksehnten. Was ihm damals aber noch fehlte, war eine Integrationsfigur auf der völkischen Seite. Dort gab es viele Splittergruppen und Möchtegern-Führer, die alle ihr eigenes Süppchen kochten, aber nicht den Anschluss an bürgerlich-konservative Kreise fanden. Sehlings war klar, dass seine Mission nur gelingen konnte, wenn beide Gruppen zusammen agierten. Dazu bedurfte es einer charismatischen Figur, der die Völkischen zu folgen bereit waren. Die meinte er in Hans-Jürgen Lehmann gefunden zu haben.

      Denn die Deutschlandpartei bestand eigentlich aus zwei Parteien. Ihr Erfolg lag darin, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik einen Brückenschlag zwischen konservativen Bürgerlichen und Völkischen zu erreichen. An der Kluft zwischen beiden Gruppen waren bisher alle Versuche gescheitert, in Deutschland ein Viertes Reich zu errichten. Bis zur Gründung der Deutschlandpartei hatte die Christpartei die konservativen Bürgerlichen im Griff. Kaum ein Konservativer wollte es wagen, den Mutterschoß der Christpartei zu verlassen und eine eigene Partei zu gründen. All jene, die rechts außerhalb der Partei standen, galten als anrüchig. Über den neuen rechten Parteien schwebte auch immer das Damoklesschwert eines möglichen Parteienverbotes durch das Bundesverfassungsgericht.

      Bis zum Jahr der großen Flüchtlingskrise hatte dieser Mechanismus des »Teile und Herrsche« gut funktioniert. Seitdem die Christpartei aber Abschied von ihrer langgepflegten gesellschaftlichen Aufgabe genommen hatte, die Konservativen am rechten Rand zu integrieren und damit unschädlich zu machen, und begann, ihr Heil in der urbanen, links und grün angehauchten Wählerschicht zu suchen, war alles anders.

      Bei Hans-Jürgen Lehmann musste man vorsichtig sein. Der Mann war sensibel, konnte leicht aus der Haut fahren und bildete sich auf seinen Status als Star der Völkischen etwas ein. Allerdings war er auch leicht manipulierbar. Besonders historischen Vergleichen war er zugeneigt, hatte er doch vor seiner Karriere als Lebensmittelhändler Geschichte und Biologie auf Lehramt studiert.

      »Ja, die Zeit des Umbruchs ist bald da«, antwortete Friedrich Sehlings. »Wir brauchen aber noch etwas Zeit, um alles richtig vorzubereiten. Manchmal muss man sich mit seinem Erzfeind erst verbünden, um ihn dann zu vernichten. Denk immer daran: Ohne Rapallo hätte es das Unternehmen Barbarossa nie geben können.«

      Friedrich Sehlings wusste, an welchen Knöpfen er bei Lehmann drehen musste. Seine Staatsexamensarbeit hatte der Lebensmittelhändler über den Vertrag von Rapallo geschrieben. Der Vertrag zwischen Deutschland und Russland normalisierte einst die Beziehungen der beiden Staaten und führte sie aus der internationalen Isolation heraus, in die Russland infolge der Oktoberrevolution und Deutschland wegen des Ersten Weltkriegs geraten war.

      »Das Deutsche Herz ist unsere Luftwaffe«, fuhr Sehlings fort. »Und unser Rapallo ist, dass wir das Deutsche Herz offiziell auflösen. Dann können wir es umso besser im Geheimen aufrüsten. Wie damals die Reichswehr die Luftwaffe für das ›Unternehmen Barbarossa‹.« Dass der einst so betitelte Angriff auf die Sowjetunion damals für die Deutschen fatal ausgegangen war, dieses Detail ließ Sehlings lieber weg. »Du verkündest schnellstmöglich die Auflösung des Deutschen Herzens. Es ist nur eine Frontbegradigung, bis wir den Angriff starten können.«

      Das Ganze widerstrebte Lehmann zwar, aber gegen historische Argumente war er machtlos. Also erklärte er sich einverstanden. Doch ruhigstellen konnte Sehlings Lehmann immer nur für kurze Zeit – bis ihn ein anderer mit einer anderen historischen Anekdote zu etwas anderem beschwatzte.

      Kaum hatte Lehmann aufgelegt, da rief Hausding an. Er und Herbert hatten Florentine Fischer gerade in Berlin abgesetzt.

      »Guten Abend, Herr Sehlings, ich wollte sie nur kurz darüber informieren, dass der Müller jetzt doch wohl die von ihm lange geplante Parteitrennung durchziehen will. Machen Sie mal einen Plan, wie wir das verhindern können.«

      Friedrich Sehlings antwortete nur knapp: »Jawohl, Herr Dr. Hausding. Ich kümmere mich darum.« Er sah auf die Uhr, er hatte erst gut die Hälfte der Strecke hinter sich. Eine halbe Stunde später klingelte sein Telefon erneut. Dieses Mal war es Herbert. Er hatte den Parteivorsitzenden gerade bei seiner Vorstadtvilla abgesetzt.

      »Hallo Kommandeur, der Führer hat dich ja schon darüber informiert, dass der Müller die Partei spalten will. Er hat dir allerdings verschwiegen, dass der Oberst verfängliches Material aus deiner Vergangenheit in die Hand bekommen soll und es gegen dich verwenden will. Sieht so aus, als ob uns dieses Mal echte Gefahr droht. Die Nichte des Führers ist schon dran.«

      »Ich danke dir, Herbert«, sagte Sehlings. »Dann ist jetzt wohl dringend eine Lagebesprechung der Küchenbrigade notwendig.«

      »Sehr schön«, erwiderte Herbert. »Ich freue mich schon auf ein gutes Essen und auf den Cognac.«

      Auf der nächtlichen Autobahn war Sehlings nun fast allein. Mit Tempo 180 raste er durch das Dunkel der Nacht. In den frühen Morgenstunden kam er endlich bei seinem Bahnwärterhäuschen an. Er schürte den Kamin an und setzte sich in einen der Lehnsessel, seinem Lieblingsort direkt vor dem Kaminfeuer. Es war der größte Raum in dem kleinen Haus aus den dreißiger Jahren. Einst bewohnte es ein preußischer Bahnwärter, und der Raum war die gute Stube der mehrköpfigen Familie. Jetzt war er ihm Bibliothek, Arbeitszimmer und geistiger Rückzugsort. Hier konnte Sehlings seine kleinbürgerliche Fassade fallen lassen. Ein großer Schreibtisch nahm die eine Seite des Raumes ein, die drei Lehnsessel vor dem Kamin füllten die andere Seite aus. Er goss sich einen Cognac ein. Die lodernden Flammen spiegelten sich in den Gläsern seiner Brille.

      Sein Blick streifte über die Bücher auf mooreichenen Bibliotheksregalen, dicht an dicht gepackt bis unter die niedrige Decke: Handbücher der Machtmechanik, Lehrwerke zur Machtergreifung, Klassiker der militärischen und politischen Strategie. Sehlings hatte sie alle gelesen, immer wieder, sie penibel studiert in langen Nächten: Sunzi, Machiavelli, Clausewitz und Lenins Was tun?, eines der Hauptwerke


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