Machtergreifung. Ferdinand Schwanenburg

Machtergreifung - Ferdinand Schwanenburg


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das Gegenlicht der entgegenkommenden Fahrzeuge immer nur kurz erhellt wurde, sah Herbert im Rückspiegel sehr deutlich, dass die junge Frau jetzt errötete.

      »Ich habe … Ich hatte … Ich hatte mal was mit dem Redaktionsleiter. Der ist noch … Der ist noch immer scharf auf mich. Was denkst du, warum ich so oft eingeladen werde?«

      Der alte Mann lächelte. Er hatte schon viel erlebt in seinem langen Leben. Diskret wechselte er das Thema. »Es wäre schön, wenn du mal wieder mit deinen Eltern zum Kaffee vorbeikommen würdest … So wie früher.«

      Die Journalistin nickte: »Sehr gern. Sie sind dir immer noch dankbar, dass du mir damals geraten hast, Jura zu studieren.«

      Hausding lächelte und sagte: »Ich habe jetzt endlich deine Doktorarbeit gelesen. Du hast da einige sehr interessante Dinge geschrieben.«

      Die nächsten eineinhalb Stunden redeten die beiden nur über juristische Fragen. Vor einem frisch sanierten Gründerzeitbau im Prenzlauer Berg hielt Herbert an, stieg aus und öffnete der Journalistin die Wagentür. Sie gab Dr. Hausding einen Kuss auf die Wange und sagte zum Abschied: »Ich mache in der nächsten Printausgabe einen schönen kritischen Bericht über die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Gute Nacht, Onkel Adalbert.«

      Dann stieg sie aus und verschwand in dem Haus, nicht ohne vorher auch Herbert einen Wangenkuss zu geben und ihm ein verführerisches »Schlaf auch du gut, Herbert!« zuzuhauchen.

      Nach dem gemeinsamen Tag mit seinem Vater fuhr Friedrich Sehlings noch in derselben Nacht von München aus zurück in die ostdeutsche Provinz, in sein geliebtes Bahnwärterhäuschen. Auch als er längst ein großer Mann und Strippenzieher der Deutschlandpartei war, hatte er es nicht aufgegeben. Zu Hause war er nur noch selten, dem Aufbau der Partei hatte er alles untergeordnet: seine Freizeit, sein Privatleben und seine Freundschaften, die er außerhalb der Politik und der Partei hatte. Zu wichtig war ihm seine Mission. Wenn es jetzt nicht klappte, dann würde Deutschland nie wieder einen Führer bekommen, da war er sich sicher.

      Doch jetzt stand es schlecht um seine Mission: Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz war ein Kampfmittel der etablierten Parteien mit dem Ziel, die Deutschlandpartei zu vernichten. Er machte sich nichts vor: In den nächsten Wochen würde es Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Austritten geben – von Leuten, die die Partei trugen, die sich genauso für die Mission engagierten wie er. Polizisten, Soldaten, Beamte, Angehörige des Öffentlichen Dienstes würden sich distanzieren, weil sie Angst um ihre Jobs und ihre Existenz hatten. Ihm fiel der Satz des ihm so verhassten Bertolt Brechts ein: »Erst kommt das Fressen, dann die Moral.«

      Das Kampfmittel, das die Christpartei und mit ihr die anderen Systemparteien, wie die Mitglieder der Deutschlandpartei die anderen Parteien gerne nannten, benutzten, war altbekannt. Es hatte sich schon vor fast fünfzig Jahren im Kampf gegen die 68er-Bewegung bewährt. Friedrich Sehlings kannte sich aus in Geschichte. Geschichte war eine seiner großen Leidenschaften. 1972, zwei Jahre vor seiner Geburt, hatten der Bund und die Länder den Radikalenerlass beschlossen. Wer in den Öffentlichen Dienst wollte, dessen Treue zum Grundgesetz wurde von Verfassungsschützern überprüft. Viele der damals demonstrierenden und randalierenden Studenten wollten Lehrer oder Sozialarbeiter werden oder irgendeinen anderen mit Steuergeldern alimentierten Posten ergattern, also nahmen sie Abstand von ihren Idealen und kehrten in die spießige Bürgerlichkeit zurück. Der Radikalenerlass hatte die Gründung der Ökopartei um ein Jahrzehnt hinausgezögert, davon war Sehlings überzeugt. Er kannte sich aus damit, seine Mutter hatte ihm von deren Gründungszeit mindestens so oft erzählt wie sein Opa von seinen Kriegserlebnissen als SS-Mann. Für seinen Vater hatte der Radikalenerlass sogar direkte Auswirkungen gehabt. Er blieb seinen Idealen treu. Statt, wie geplant, Lehrer zu werden, ging er in die Wirtschaft, wurde Manager und schließlich Vorstandsvorsitzender.

      Wie viele der Parteimitglieder, wie viele seiner Kameraden und alten Weggefährten würden jetzt die Biege machen und so tun, als wenn sie von der Deutschlandpartei noch nie etwas gehört hätten, fragte sich Sehlings. Er kannte das bereits. Die Deutschlandpartei war nicht die erste Partei, von der er gedacht hatte, dass sie das Sprungbrett sein konnte für seine Mission. Doch noch nie war er seinem Ziel so nahe gewesen. Die Deutschlandpartei saß mit über neunzig Abgeordneten im Deutschen Bundestag, war in allen Landtagen vertreten und auch im Europaparlament. Das alles brachte viel Geld ein und Posten, mit denen die Kämpfer für die Mission versorgt werden konnten. Es bildete die organisatorische Basis für die nächsten Schritte.

      »Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns aus dem Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen«, hatte Joseph Goebbels im Völkischen Beobachter zum Parlamentseinzug der NSDAP im Jahr 1928 geschrieben. Sehlings hatte lange und sehr genau studiert, wie es Hitler und seinen Mannen von 1928 an in nur wenigen Jahren gelang, die Macht im Land zu ergreifen. Er kannte zahlreiche Passagen aus Hitler- und Goebbels-Reden auswendig und wusste alles über den nach Hitler einflussreichsten Mann des Dritten Reichs, Heinrich Himmler. Der Gedanke, dass seine Mission scheitern könnte, jetzt, wo sie so weit gekommen waren, machte Sehlings traurig und wütend zugleich. Er drückte seinen Fuß auf das Gaspedal und raste auf der Autobahn in der dunklen, kalten Winternacht Ostdeutschland entgegen.

      Seine Gedanken kreisten um die Entwicklung der letzten Jahre. Seit seinem ersten Zusammentreffen mit Dr. Adalbert Hausding war für ihn vieles anders geworden. Er war jetzt Landtagsabgeordneter seiner Partei und stand einem der mitgliederstärksten und aktivsten Verbände der Deutschlandpartei vor. Zudem war er der Fraktionsvorsitzende im Landtag und Mitglied im Bundesvorstand. Er war der Ziehsohn von Dr. Adalbert Hausding. Er war einer der mächtigsten und gefürchtetsten Männer in der Partei. Dafür hatte er die letzten fünf Jahre hart gearbeitet.

      Das Klingeln seines Mobiltelefons riss Sehlings aus seinen Gedanken. Er schaute auf das Display. Es war Ronny Matschinski. Was will der jetzt bloß von mir?, dachte er. Trotz seiner schlechten Laune nahm er den Anruf entgegen.

      »Guten Abend, Kommandeur«, sagte der Anrufer. Seine Stimme klang ängstlich. »Ich habe den Führer in der Talkshow gesehen. Was machen wir jetzt? Wir müssen doch etwas tun. Sonst ist die ganze Sache verloren.«

      Friedrich Sehlings kannte Matschinski schon lange. Auch für diesen war es nicht die erste Mitgliedschaft bei einer rechten Partei. Sofort nach dem ersten Zusammentreffen mit Dr. Adalbert Hausding hatte Sehlings viele seiner alten Kampfgenossen angerufen und reaktiviert. So auch den Rechtsanwalt Ronny Matschinski. Sehlings wusste: Wo immer es Posten zu verteilen gab, war Matschinski zur Stelle. Doch genauso schnell war er auch wieder weg, wenn Gefahr drohte.

      Und dennoch musste er auf ihn zurückgreifen. Matschinski war einer der besten Druckverkäufer, die man sich vorstellen konnte. Er war ausgezeichnet darin, auch skeptischen Zeitgenossen eine Mitgliedschaft in der Deutschlandpartei anzudrehen, und in der Lage, selbst die abseitigsten politischen Themen zu verkaufen. Und genau solche Leute brauchte eine neue Partei. Mit diesen Fähigkeiten hatte Matschinski es innerhalb kurzer Zeit zu hohen Ämtern in der Partei gebracht: Auch er war einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag und Mitglied im Bundesvorstand.

      »Ich habe schon mit einigen Mitgliedern des Deutschen Herzens gesprochen. Auch sie sind der Meinung, dass wir jetzt schnell einen Gegenangriff starten müssen, notfalls müssen wir radikaler werden. Wir müssen es denen da oben endlich zeigen«, redete Matschinski auf Sehlings ein.

      »Nun mal ganz langsam, Ronny. Die Beobachtung heißt erst einmal gar nichts. Teile der Linkspartei werden seit Jahren beobachtet, und denen ist auch nichts passiert. Die stellen sogar einen Ministerpräsidenten.« Friedrich Sehlings versuchte seinem Kampfgefährten Mut zu machen. »Wir müssen das positiv sehen. Die Beobachtung ist doch so etwas wie eine Adelung für uns.«

      »Aber wir müssen doch etwas tun! Diese elenden Feindzeugen werden von nun an noch stärker gegen uns vorgehen. Der Oberst reibt sich schon die Hände. Posaunt überall herum, dass es uns jetzt an den Kragen geht, besonders dir«, sprudelte es aus Ronny Matschinski heraus. »Der hat wohl was gegen dich in der Hand. Aus alter Zeit …«

      »Feindzeuge« war das Wort, das die Mitglieder des Deutschen Herzens


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