Machtergreifung. Ferdinand Schwanenburg

Machtergreifung - Ferdinand Schwanenburg


Скачать книгу
mich echt.«

      »Ich werde mich in den nächsten Wochen bei dir melden. Dann können wir überlegen, wie wir dich einbinden. In der Zwischenzeit tu mir bitte einen Gefallen: Ruf die alten Kameraden an und sag, dass sie eintreten sollen. Sie sollen mich aber vorher kontaktieren, damit wir sie ohne Verdacht einschleusen können.«

      »Dein Wunsch war mir immer Befehl«, antwortete Ronny Matschinski.

      »Herbert, kleben Sie bitte die Benzinrechnung auf ein weißes DIN-A4-Blatt, beschriften es mit Datum und Fahrtziel und legen es mir dann mit der Reisekostenabrechnung vor.« Dr. Martin Müller war der zweite Bundesvorsitzende der Deutschlandpartei, zusammen mit Dr. Adalbert Hausding hatte er die Partei gegründet.

      »Ich kümmere mich darum.« Herbert, griff nach der Rechnung und schloss die Wagentür. Sie kamen gerade von der monatlichen Sitzung des Parteivorstandes in einem Hinterzimmer eines Landgasthofes, zentral gelegen in Deutschland. Herbert fuhr.

      Müller, Anfang vierzig, war ein Bürokrat, ein Aktenfresser und ein Kontrollfreak. Stets in einem tadellosen Anzug von der Stange, immer mit gestreifter Krawatte, war er die Verkörperung des spießigen, deutschen Staatsdieners. Auch wenn beide Parteigründer promovierte Juristen waren, gab es von Anfang an Spannungen zwischen den Männern um die Ausrichtung der neuen Partei. Zu deutlich war die Kluft zwischen dem gediegenen, aus großbürgerlichen Kreisen stammenden Hausding und dem kleinbürgerlichen Aufsteiger Müller, der es immerhin zum Vorsteher eines Finanzamtes in der Provinz gebracht hatte.

      Am Tag, nachdem Friedrich Sehlings die erste Veranstaltung von Dr. Adalbert Hausding besucht hatte, war Herbert bei einer Hinterzimmerrede von Müller aufgetaucht und hatte sofort mit angepackt. Diese Hilfsbereitschaft hatte Dr. Martin Müller sehr imponiert. Bald übernahm Herbert für ihn die Organisation der Veranstaltungen und den Fahrdienst. Beide waren im gleichen Alter. Müller, der selbst langjährige Vertraute und Bekannte zu siezen pflegte, duzte ihn.

      Der Wagen setzte sich langsam in Bewegung.

      »Hast du gesehen, wie dieser Sehlings um den Hausding herumscharwenzelt«, begann Müller. Entgegen seiner sonst verschlossenen, stets bedachten Art schüttete er seinem Fahrer das Herz aus. »Der ist ein richtig untertäniges, kleinbürgerliches Faktotum. Und wie der aussieht mit seinem GI-Haarschnitt und dieser altertümlichen Brille!« Müller war nun kaum mehr zu stoppen. »Und was Dr. Hausding heute wieder für ein intellektuelles Zeug von sich gegeben hat! Warum nur jubeln die Menschen dem so zu? Warum wird er ständig in diese Talkshows eingeladen?«

      Herbert lenkte den Wagen durch den Ort auf die Landstraße in Richtung Autobahn.

      »Weißt du eigentlich, was dieser Sehlings früher gemacht hat und wovon der so lebt? Der ist immer und überall und reißt sich um jeden Organisationsjob. Ich habe nur gehört, dass er Feldwebel bei der Bundeswehr war. Der hat schon etwas Schützengrabenhaftes an sich. Etwas Brutales. Leider hat der sehr viel Einfluss auf Dr. Hausding.«

      »Wie meinen Sie das?«, fragte Herbert neugierig.

      »Dr. Hausding kann nicht organisieren. Das lässt der alles den Sehlings machen. Und hast du gesehen, Herbert? Der fährt Hausding schon nicht mehr selber. Der hat jetzt immer junge Männer in diesen albernen Hosenträger-Uniformen dabei, denen er seine Befehle zubellt.« Müller klang nun ziemlich aufgebracht. »Und ständig telefoniert er. Mit wem telefoniert der denn nur immer?«

      Herbert zog nur die Schultern hoch, den Blick auf die Landstraße gerichtet. Vor ihnen erschien die Auffahrt der Autobahn.

      »Ich traue dem nicht über den Weg. Und dann hat der sich auch noch darum gerissen, die Mitgliederverwaltung zu übernehmen. Aber das sag ich dir: Ich lasse mir die Listen mit allen Bewerbern vorlegen und kontrolliere das, die meisten rufe ich persönlich an.«

      »Kam es dabei denn schon mal zu Unregelmäßigkeiten?«, wollte Herbert wissen, während er den Wagen auf die Autobahn einfädelte.

      »Nein«, sagte Müller. »Aber da kann man interessante Leute kennenlernen. Kürzlich habe ich mit einem sehr respektablen Rechtsanwalt telefoniert, Ronny Matschinski. Der hat während des Studiums ein Jahr in den USA verbracht. Genau solche Leute brauchen wir in der Partei.«

      »Ach, Ronny ist also auch wieder dabei«, murmelte Herbert für sich, sodass es Müller nicht hören konnte.

      In der Zwischenzeit hatte Müller einen Packen Zeitungen aus seinem Koffer hervorgeholt, die er während der Fahrt durcharbeiten wollte. Herbert warf einen Blick zur Seite. Zuoberst lag das Junge Deutschland.

      »Mein Medium ist ja der Demokratische Beobachter«, sagte Müller, als er Herberts Blick bemerkte. »Das lese ich seit dem Studium. Etwas linkslastig und sehr kritisch, aber auch sehr gut und objektiv. Aber auf den Veranstaltungen sprechen mich die Menschen immer wieder auf das Junge Deutschland an. Deshalb habe mir das jetzt auch im Abo bestellt. Eine unsägliche Zeitung, ziemlich viel braunes Zeug …«

      »Was meinen Sie mit braunem Zeug, Herr Dr. Müller?«, fragte Herbert und setzte den Blinker, um den Lkw vor ihnen zu überholen.

      »Diese ganze Verherrlichung des Zweiten Weltkrieges. Die Ausländerfeindlichkeit. Dieses Gerede von der jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung … Das Junge Deutschland bedient alle diese Themen. Und für unsere Mitglieder scheint es die Leib- und Magenzeitung zu sein. Ganz ehrlich: Ich habe die Sorge, dass sich unsere Partei in die falsche Richtung entwickelt.«

      »Was meinen Sie denn mit falscher Richtung?«, bohrte Herbert weiter, während er den Wagen wieder auf die rechte Spur zog.

      »Zu einer Nazipartei. Wie damals die Demokratiepartei oder die Rechtsstaatspartei. Du erinnerst dich vielleicht noch?«

      »Ja, nur zu gut«, sagte Herbert und lächelte.

      »Bei einer Veranstaltung kürzlich war dieser Oliver Felsenstier da, der Chefredakteur des Jungen Deutschlands. Der hat mich interviewt. Mal sehen, was der über mich schreibt …«

      Müller war eitel und ehrgeizig, das hatte Herbert sofort erkannt. Der Parteivorsitzende schlug die Zeitung auf, und suchte nach dem Artikel über die Deutschlandpartei und fing an zu lesen. Plötzlich rief er laut aus: »Das gibt es doch nicht!«

      »Was ist passiert?« Herbert nahm den Fuß vom Gaspedal.

      »Unfassbar, was dieser Felsenstier über Dr. Hausding und mich schreibt!« Dann begann Müller laut vorzulesen: »Was Dr. Adalbert Hausding mit Intellekt und Rhetorik gelingt, das versucht Dr. Martin Müller mit Fleiß und Disziplin wettzumachen. Doch er hat als Parteigründer nicht das Format seines Mitgründers. Das Politikgeschäft ist für ihn eine Art Verwaltungsakt. Seine Sprache wirkt hölzern und klingt wie Juristendeutsch. Nur ein Beispiel aus einer seiner Reden: ›In die aktive Politik hat mich die Nichteinhaltung der rechtlichen Prozesse bei der Umsetzung der Einwanderung gebracht.‹ Mit solch einer Sprache gewinnt man keine Menschen, die sich in schweren Zeiten nach einer charismatischen Führerpersönlichkeit sehnen.«

      »Oh, das ist bitter«, sagte Herbert und schüttelte den Kopf.

      »Es geht noch weiter, hör mal!« Müller las vor: »Wie anders klingt da die erfrischende Rhetorik des Dr. Adalbert Hausding, wenn er davon spricht, wie aus der ›schönen konservativen Saumagen-Christpartei eine grüne Vegetarier-Latte-macchiato-Christpartei‹ geworden ist. Das reißt die Menschen vom Hocker. Deshalb strömen sie in Massen zur Deutschlandpartei.« Wütend faltete Müller die Zeitung zusammen und warf sie auf die Rückbank.

      Herbert wollte den Parteivorsitzenden ablenken und fragte: »Waren Sie nicht auch mal bei der Christpartei?«

      Müller nickte. »Ja, aber ich bin ausgetreten, wegen der Linksverschiebung. Inhaltlich hat Dr. Hausding ja durchaus recht. Die heutige Christpartei ist nicht mehr die, in die ich mal eingetreten bin. Die ist schon ziemlich grün geworden. Und ich kann das beurteilen: Ich war nämlich auch mal bei der Ökopartei«, erzählte Müller mit einem Anflug von Stolz in der Stimme.

      »Was?« Herbert konnte


Скачать книгу