Machtergreifung. Ferdinand Schwanenburg

Machtergreifung - Ferdinand Schwanenburg


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dass wir in Deutschland Diversity leben und bei uns keiner diskriminiert wird.«

      Weiter kam er nicht. »Ich werde diskriminiert!«, rief die Frau empört. »Ihr wollt, dass ich keine Mutter mehr bin. Ihr wollt nicht nur die Familie, ihr wollt Deutschland abschaffen. Ihr habt in eurem Raumschiff da in Berlin doch längst vergessen, wie wir normalen Menschen denken und fühlen.«

      Der Minister wollte die Frau noch immer beruhigen. »Aber gute Frau, wir wollen doch nicht die Familie abschaffen. Wir wollen nur Diversity.«

      »Ich bin nicht Ihre gute Frau«, schallte es dem Minister entgegen, »ich bin eine deutsche Wählerin. Aber Sie wähle ich garantiert nicht. Ich werde die Deutschlandpartei und ihren Führer Adalbert Hausding wählen.«

      »Haus-ding wäh-len, Deutsch-land wäh-len«, skandierte die Protestgruppe im Chor.

      Eins hatte der Minister schon früh in seiner Politikerlaufbahn gelernt: Steck keine Energien in Menschen, die du eh nicht als Wähler gewinnen kannst. Deshalb war der Fall für ihn erledigt. Er drehte sich um und steuerte seine Limousine an. Im Weggehen raunte er noch seinem Pressesprecher zu: »Elendes Pack.«

      Leider sagte er es nicht leise genug.

      Es war Freitagabend, ein lauer Frühsommertag. Dr. Florentine Fischer war mit einigen ihrer Berliner Freunde in ihrem Viertel, im Prenzlauer Berg, auf Tour. Sie saßen gerade in einer hippen Kneipe, tranken Matcha-Latte und aßen Tofu-Snacks, als ihr Handy klingelte.

      »Frau Dr. Fischer, gehen Sie mal sofort auf die Seite dieser neuen Internet-Zeitung Deutsche Wahrheit. Da ist so ein Video, da putzt eine Proletenbraut den Umweltminister runter, aber wie, und der bezeichnet sie als elendes Pack. Die Nazibraut will ich im Blatt haben. Beeilen Sie sich, die Konkurrenz schläft nicht. Im Notfall bieten Sie ihr Geld an.« Schon hatte der Chefredakteur wieder aufgelegt.

      Die Journalistin rief auf ihrem iPad die Seite der Deutschen Wahrheit auf, während sie erklärend in die Runde rief: »Mein Chef will, dass ich irgend so eine durchgeknallte braune Provinztante ins Blatt bringe.«

      »Du meinst die BDM-Braut?«, rief einer ihrer Begleiter begeistert. »Die Frau ist echt geil. Im Netz der to-ta-le Kult, geht gerade viral. Die soll angeblich von irgendeiner Satire-Show kommen, ziemlich schräg.« Er musste es wissen. Er gehört zu denen, die beruflich ständig im Internet herumhingen und ihr Geld damit verdienten, nach den neusten Trends Ausschau zu halten.

      Gemeinsam sahen sie sich den Clip an. »Oh mein Gott, die kann nicht echt sein«, entfuhr es einer der Frauen entgeistert.

      Am Samstagmorgen hatte Florentine Fischer die Nummer von Marie Köster recherchiert und rief bei der Frau an. »Ich spreche nicht mit der Systempresse und schon gar nicht mit so einem Blatt wie dem Demokratischen Beobachter. Ihr seid doch alle von der Regierung gekauft und bekommt eure Befehle direkt aus dem Kanzleramt«, fuhr Marie Köster sie an.

      Die Journalistin stöhnte innerlich. »Sie haben bei uns die Möglichkeit, Ihre Meinung frei zu sagen«, erklärte sie, »völlig unzensiert. Das garantiere ich Ihnen.«

      »Ihr könnt uns viel erzählen. Ihr wollt uns kleine Leute doch nur vorführen.«

      Die Journalistin reagierte schnell und änderte ihre Strategie: »Wir würden auch dafür bezahlen, wenn wir Sie exklusiv bekommen.« Schließlich hatte sie von ihrem Chefredakteur freie Hand bekommen.

      Sogleich änderte sich am anderen Ende der Leitung die Tonlage: »Naja, reden können wir ja, aber ich will vorher sehen, was Sie über mich drucken.«

      »Das verspreche ich Ihnen«, versicherte die Journalistin.

      Noch am selben Tag fuhr Florentine Fischer in das Dorf, in dem Marie Köster wohnte, Hunderte Kilometer von Berlin entfernt, an der niederländischen Grenze. Es war nicht das Dorf, wo die Frau den Umweltminister heruntergeputzt hatte. Sie war gerade auf Besuch an ihrem Geburtsort, bei ihrer Mutter, als der Minister dort Stippvisite auf seiner Sofa-Tour machte. Aus ihrer ostdeutschen Heimat war sie weggezogen, weil sie als gelernte Fleischereifachverkäuferin dort keine Arbeit gefunden hatte. Jetzt lebte sie zusammen mit ihrem Mann, ihren vier Töchtern und fünf Hunden in einem grauen Einfamilienhaus aus den Fünfzigerjahren.

      Das Haus hatte dringend eine Sanierung nötig, befand Florentine Fischer, als sie am Gartentor klingelte. Auch der Garten sah ziemlich verwildert aus. Ein bellender Schäferhund sprang ihr entgegen, dann erschien Marie Köster mit ihrer Gretchenfrisur. Sie sah tatsächlich genauso aus wie in dem Video. »Mein Mann und ich lieben Hunde, deutsche Schäferhunde«, erklärte sie zur Begrüßung und führte die Journalistin ins Haus.

      Die Küche war ein Sammelsurium von Stilen der vergangenen vierzig Jahre. Der Spanholzplatten-Spülenunterschrank war wohl das neueste Modell aus dem Billig-Baumarkt. Der Küchenschrank dagegen war in einer Zeit modern, als beide Frauen noch gar nicht auf der Welt waren. Alles war abgewetzt und wie zufällig an seinen Platz gestellt. Die Tapete an den Wänden war fettig und vergilbt.

      Die Deckenlampe war aus Plastik, in einem so quietschenden Orange, dass es in den Augen wehtat. Mit diesem Accessoire würde sie bei ihren Freunden im Prenzlauer Berg punkten können, dachte die Journalistin. Dort galten Gebrauchsgegenstände aus den Siebzigerjahren gerade als der letzte Schrei und wurden entsprechend teuer gehandelt. In dieser Kirche allerdings hing die Lampe wohl schon, seitdem sie das erste Mal modern war. Die Staubschicht darauf schien genauso alt zu sein.

      Die beiden Frauen standen an dem großen Küchentisch, der mit einer dicken, bunt geblümten Wachstischdecke überzogen war. Marie Köster schmiss die Kaffeemaschine an und stellte zwei Kaffeepötte mit Motiven auf den Tisch. Florentine Fischer nahm ihren und sah sich das Motiv an. Es war eine Karte von Europa, darüber stand: »Deutschland in den Grenzen seiner größten Ausdehnung – November 1942«.

      Marie Köster registrierte den erschrockenen Blick der Journalistin. »Ich war schon immer national eingestellt«, erklärte sie. »Deutschland ist mir heilig. Unsere Kinder tragen alte germanische Namen.« Sie zählte sie auf: »Brunhilde, Gunheide, Irmhild und Undine.« Die Journalistin machte sich Notizen und verkniff sich die Frage nach den Namen der Schäferhunde.

      »Ich habe mich schon immer für die Germanen interessiert«, fuhr die Frau mit der Gretchenfrisur fort. Ich habe meinen Mann auf einer Sonnwendfeier kennengelernt.«

      Auch das schrieb die Journalistin mit.

      »Richtig politisch war ich nie. Aber seitdem die Syrer unser Land überschwemmen, da habe ich mir gesagt: Dagegen muss man doch etwas machen. Die gehören hier nicht hin. Seitdem verfolge ich intensiv die Politik. Da ist mir bewusst geworden, wie sehr die da oben uns kleine Leute verarschen. Da kommt dieser schnöselige Minister mit seinen ganzen Leuten aus Berlin angerauscht, zieht hier eine Show ab und quatscht irgendetwas von Diversity. Der weiß doch gar nicht, wie wir leben, was wir denken und fühlen.«

      Florentine Fischer wollte langsam zur Sache kommen. »Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie der Minister als elendes Pack bezeichnet hat?«

      Marie Köster blickte entschlossen-empört. »Wenn in Deutschland heute die ehrlich arbeitenden Leute, die sich ein kleines Häuschen auf dem Land erspart haben, von unseren Politikern als Pack bezeichnet werden, trage ich diese Bezeichnung als Auszeichnung und mit Stolz.«

      »Werden Sie sich in der Deutschlandpartei engagieren?«, fragte die Journalistin.

      »Ich bin von Dr. Adalbert Hausding persönlich eingeladen worden, Mitglied der Partei zu werden und mit ihm eine Wahlkampfveranstaltung in meinem Heimatdorf zu machen. Und ich sage Ihnen: Da werden sehr viel mehr kommen als bei diesem Fake des Ministers. Der Aufstand hat gerade erst begonnen.«

      Die Journalistin war erleichtert, als sie wieder in ihrem Auto saß. Sie hielt ihr Versprechen. Marie Köster konnte frei ihre Meinung äußern, das Interview wurde nicht zensiert. Es trug die Überschrift: »Der Aufstand des elenden Packs«. Von ihrem Chefredakteur bekam Dr. Florentine Fischer dafür ein dickes Lob.

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