Machtergreifung. Ferdinand Schwanenburg

Machtergreifung - Ferdinand Schwanenburg


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verbreitete der lodernde Kamin eine wohlige Wärme. Vor den Bücherregalen standen die beiden Männer, die Friedrich Sehlings zum Abendessen geladen hatte, sein treuer Kamerad Herbert und der Leiter des Newsrooms der Deutschlandpartei. Zur Feier des Tages hatte Friedrich Sehlings seine berühmten Rinderrouladen mit brauner Soße gekocht.

      Friedrich Sehlings kannte Herbert schon sehr lange, beide waren im selben Alter. Sie hatten sich vor zwanzig Jahren bei der Rechtsstaatspartei kennengelernt. Der Mann, Typ gutmütiger Teddybär, war Sehlings sofort aufgefallen. Herbert konnte zwei Dinge: Organisieren und reden. Er gehörte zu den Leuten, die selbst einem eingefleischten Linken innerhalb von fünf Minuten eine Mitgliedschaft in der Deutschlandpartei aufschwatzen konnten.

      Herbert war kein Ideologe, seine Aussagen zum Parteiprogramm durfte man nicht auf die Waagschale legen. Aber Herberts Rede- und Organisationstalent machte das mehr als wett. Worauf es ankam, war, dass Herbert an dieselbe Mission glaubte wie er: dass es in Deutschland wieder einen Führer geben musste. Er führte jeden Befehl unhinterfragt aus.

      Auch dass Herbert eine bewegte Parteienlaufbahn hinter sich hatte, störte Sehlings nicht. Während seiner Ausbildung als Koch kam Herbert über die Jugendgewerkschaft zur Linkspartei, war dann in eine linke Splitterpartei abgerutscht. Später tauchte er bei der Liberalpartei auf, gelangte über deren Stahlhelmflügel zur Rechtsstaatspartei, die zu Beginn des neuen Jahrtausends einige Erfolge hatte, dann aber im Sande verlief. Noch war die Zeit nicht reif. Sehlings und Herbert stiegen schnell wieder aus, machten andere Projekte zusammen.

      Sofort nach dem ersten Zusammentreffen mit Adalbert Hausding hatte Friedrich Sehlings ihn angerufen. »Hallo Herbert, ich habe mir heute diesen Hausding angeschaut. Das ist genau der Mann, den wir so lange gesucht haben. Wir sind wohl wieder im Geschäft. Schleus dich bei diesem Dr. Müller ein. Ich kümmere mich um Hausding«, befahl Sehlings.

      »Jawohl, Kommandeur«, entgegnete Herbert zackig. Schon am nächsten Tag tauchte Herbert bei einer von Müllers Veranstaltungen auf, wurde sein Fahrer und Vertrauter.

      »Ich bin immer wieder erstaunt, wie wohlgeordnet deine Bibliothek ist, Kommandeur«, sagte Herbert zu Sehlings, während sein Blick über das Fach zur Guerilla-Kriegsführung streifte. Er zog T. E. Lawrences Die Sieben Säulen der Weisheit aus dem Regal und blätterte darin.

      »Lawrence von Arabien. Er beschreibt den arabischen Aufstand gegen das Osmanische Reich in den letzten beiden Jahren des Ersten Weltkrieges«, erklärte Sehlings. »Du kennst sicher den Film mit Peter O’Toole, Anthony Quinn und Omar Sharif.

      »Sieben Oscars«, warf der Leiter des Newsrooms nickend ein, ein schlaksiger Zwei-Meter-Mann mit kurzatmiger Stimme. Er hielt Ernesto Che Guevaras Partisanenkrieg in der Hand, eine Ausgabe aus dem Jahr 1962, erschienen im Militärverlag der DDR.

      »Solltet ihr mal studieren«, rief Sehlings.

      »Und wer zum Teufel ist das … Carlos Marighella?« Herbert zeigte auf das Buch, das im Regal neben Che Guevara stand.

      »Ein brasilianischer Revolutionär und Theoretiker der Stadtguerilla«, erklärte Sehlings, während er mit dem Schürhaken die Holzscheite im Kamin so positionierte, dass das Feuer wieder auflodern konnte. »Handelt von Flugzeugentführungen als Aktion bewaffneter Propaganda und gibt nützliche Ratschläge zur Störung und zum Sturz von Regimen.« Er legte den Schürhaken beiseite. »Leider komme ich ja nur noch sehr selten zum Lesen. Aber setzt euch doch. Ich bin gleich fertig in der Küche und gieße uns den Cognac ein.«

      Das Abendessen war besonders als Anerkennung für den Leiter des Newsrooms bestimmt, dem die junge Partei einen mindestens so großen Teil ihres Erfolgs verdankte wie der emsigen Mitgliederwerbung Herberts. Friedrich Sehlings hatte schon einige Erfahrungen im Aufbau von Parteien gesammelt. Doch nun waren die Zeiten anders. Die Sozialen Medien hatten die traditionellen Zeitungen und Magazine, das Radio und auch das Fernsehen verdrängt. Es gab immer mehr Menschen, die gänzlich auf die traditionellen Medien verzichteten und sich nur noch über Facebook, YouTube und Twitter informierten. Viele Mitglieder und Fans der Deutschlandpartei lebten in einer Parallelwelt, in die Journalisten der »Systemmedien«, wie sie im Parteijargon genannt wurden, längst nicht mehr eindrangen.

      Die Sozialen Medien waren nicht Sehlings’ Welt, in dieser Hinsicht war er ein Dinosaurier. Er selber benutzte sie nicht und vermied es sogar, wenn es ging, Mails zu schreiben. Er gab seine Befehle lieber mündlich oder telefonisch. Die Machtergreifung würde im 21. Jahrhundert nur mit den Sozialen Medien funktionieren, davon hatte er sich schnell überzeugen lassen.

      Hinter dem Begriff Newsroom verbarg sich bereits ein kleines Medienimperium der Partei, das der Leiter des Newsrooms in den vergangenen Monaten aus dem Boden gestampft hatte, bestehend aus unzähligen Facebook-Accounts, WhatsApp-Gruppen, YouTube-Kanälen, Chats und der parteieigenen Internetzeitung Deutsche Wahrheit. Der Newsroom-Leiter war ein absoluter Profi. Bevor er bei der Deutschlandpartei anheuerte, war er bei einer international arbeitenden Werbeagentur angestellt und machte Influencer-Kommunikation für Weltmarken.

      Friedrich Sehlings goss seinen alten Weggefährten Cognac ein und reichte ihnen die Schwenker. »Auf die alten Zeiten«, sagte er. Dann setzten sie sich in die gemütlichen Sessel vor dem knisternden Kamin.

      »Das waren damals schöne Zeiten«, sagte Sehlings. »Heute ist alles so hektisch.« Er wandte sich zu dem Newsroom-Leiter. »Erinnerst du dich noch an unser Lager in Frankreich und die Sache mit der Fahne?«

      »Na klar!« Der Kommunikationsprofi nickte. »Das war schon ein Husarenstück damals, wann war das noch?«

      »Das muss 1995 gewesen sein«, erwiderte Sehlings. »Ich habe sogar noch einige Fotos davon. In einem Karton mit Andenken aus alten Zeiten auf dem Dachboden.«

      »Ich dachte, die hätten wir diesem Idioten von Kameraden damals alle abgenommen und vernichtet, bevor wir ihn so richtig verdroschen haben«, rief Herbert dazwischen.

      Sehlings grinste. »Nicht alle. Einen Satz habe ich behalten. Was wir damals gemacht haben, das wäre heute gar nicht mehr möglich. Überall zücken sie heute gleich ihre Fotohandys. Ich bin echt froh, dass es in unseren wilden Zeiten noch kein Mobiltelefon mit Kamerafunktion gab.«

      Herbert nickte. »Das Internet vergisst nie.«

      »Es hat aber auch viele Vorteile«, nahm der Newsroom-Leiter den Faden auf. »Denkt nur an unsere BDM-Marie. So etwas wäre früher gar nicht möglich gewesen.«

      »Da hast du recht«, sagte Sehlings. Vor ein paar Wochen hatte ihm sein Freund per SMS den kurzen Clip geschickt, aufgenommen von einem Bürgerjournalisten. Der Newsroom hatte eine Funktion eingerichtet, mit der besorgte Bürger Missstände melden und anprangern konnten. Ein solcher Bürgerjournalist hatte das Wortgefecht zwischen BDM-Marie und dem Umweltminister am Rande der Sofa-Tour gefilmt und an den Newsroom weitergeleitet.

      Friedrich Sehlings wollte es zunächst nicht glauben, als er den Clip das erste Mal sah. Der Newsroom-Leiter witterte sofort die Chance. »Die Frau können wir zum Internet-Kult machen und zum weiblichen Star der Partei. Die hat genau die Street Credibility, die wir brauchen. Die ist 100 Prozent authentisch. Wir hypen sie zum völkischen It-Girl. Wir brauchen dafür nur noch dein Go.«

      Friedrich Sehlings hatte sich mittlerweile mit der neuen schönen Kommunikationswelt abgefunden und fragte auch gar nicht mehr nach, was diese ganzen englischen Begriffe bedeuteten. Er vertraute da seinem alten Kameraden voll und ganz. Die PR-Leute waren im 21. Jahrhundert die wahren Politikmacher.

      Noch an dem Abend, als er Dr. Adalbert Hausding das erste Mal getroffen hatte, hatte er seinen Freund aus alten Kampftagen angerufen. Der legte sofort los und richtete einen Facebook-Account für den Mann ein. Damals war Friedrich Sehlings noch skeptisch. »Ich glaube nicht, dass dieser alte Mann überhaupt weiß, was Facebook ist«, sagte er. Aber davon ließ sich der PR-Profi nicht abhalten. »Das braucht er auch nicht. Das machen alles wir. Ich trommle ein paar Leute zusammen. Wir brauchen Bewegtbilder. Schick mir deine Jungs rüber, dann bekommen sie Kameras und eine Einweisung. Aus den Reden schneiden wir dann Clips.« Sein Freund klang ganz aufgeregt.

      Friedrich Sehlings’ Skepsis, was die Macht der Sozialen Medien anging,


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