Machtergreifung. Ferdinand Schwanenburg

Machtergreifung - Ferdinand Schwanenburg


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Studiums. Ich habe mich damals sehr für Umwelt- und Naturschutz interessiert. Ich war ein paar Monate Mitglied, habe sogar einige Zeit ausprobiert, vegetarisch zu leben«, berichtete Müller.

      Herbert war wirklich erstaunt. »Das hätte ich nicht von Ihnen gedacht.«

      »Doch Herbert, ich war ein ganz Wilder.« Auf Müllers Bubengesicht schlich sich ein Lächeln. »Ich habe sogar einige Zeit in einer Studentengruppe mitgemacht, die Tiere aus Universitätslaboren befreit hat.«

      Herbert hatte Mühe, sich weiter auf den Verkehr zu konzentrieren. »Das haut mich jetzt aber echt um.«

      »Ich habe natürlich nichts Verbotenes gemacht. Ich habe die Bekennerschreiben formuliert und als angehender Jurist aufgepasst, dass da nichts Strafbares drinsteht.«

      »Aber Sie sind doch schon als Student in die Christpartei eingetreten, sagen Sie immer in Ihren Reden«, wunderte sich Herbert.

      »Meine wilde Phase war ja auch nur ganz kurz. Dann habe ich gesehen, dass der Ansatz der Ökopartei nicht meiner ist, und bin in die Christpartei. Das war auch besser für meine Laufbahn«, erklärte Müller freimütig.

      Was danach folgte, wusste Herbert: Nach dem Studium ging Müller in die Finanzverwaltung und kaufte sich schon in jungen Jahren ein Reihenhaus mit Garten in der Vorstadt.

      »Etwas ist aber noch geblieben aus dieser Zeit.«

      »Was denn?«, fragte Herbert, immer noch verblüfft über das Geheimnis, das ihm Müller gerade anvertraut hatte.

      Müller lächelte breit. »Ich halte heute Hühner nach der Methode des ökologischen Landbaus und produziere meinen eigenen Bioeier. Vollkommen ohne Gift, nur mit den Kräften der Natur.«

      Vor ihnen tauchte plötzlich das Heck eines Wiesenhof-Lasters auf mit der Aufschrift »Bruzzler – Mann, ist das eine Wurst«. Herbert trat auf die Bremse, es fehlte nicht viel, und sie wären in den Wagen hineingekracht. Ausgerechnet, dachte Herbert und unterdrückte ein Lachen.

      In der Zentrale der Kommunikationsagentur »Zum Silbernen Reh« in Berlin-Mitte herrschte routinierte Geschäftigkeit. Die Räume der Agentur nahmen die ganze Etage des alten backsteinernen Industriebaus ein. Wo einst, als Berlin noch eine bedeutende Industriemetropole war, Arbeiter an öligen Maschinen schraubten, tippten jetzt junge Kreativarbeiter in Großraumbüros angestrengt Texte in ihre Computer. Der Meetingraum, in dem der Umweltminister Platz genommen hatte, war nur durch Glaswände von der geräumigen Fabriketage abgetrennt. Der Minister zählte rund drei Dutzend Frauen und Männer, die meisten in T-Shirts und Jeans, kaum einer über dreißig.

      »Du brauchst einfach mehr Street Credibility«, redete der Inhaber und Chef der Agentur auf den Minister ein. Er trug eine kurze Hose, Turnschuhe und ein verwaschenes T-Shirt mit der Aufschrift »Einfach mal mit Profis arbeiten«. »Du hast keine Authentizität bei der nicht-urbanen Zielgruppe.«

      »Du meinst bei den Provinzlern«, entgegnete der Minister mit säuerlichem Gesicht. Die im Meetingraum versammelte Runde, zu der neben den beiden Männern der Pressesprecher des Ministers und die junge Senior Consultant Julia gehörten, lachte über diese Bemerkung.

      Der Minister, sein Pressesprecher und der Agenturchef waren alle im gleichen Alter, Mitte dreißig. Die drei hatten eine gemeinsame Vergangenheit. Mit vierzehn waren sie in die Jugendorganisation der Christpartei eingetreten, hatten auf so manchem Parteitag für die Erneuerung der Partei gefochten, waren zusammen nächtelang durch die einschlägigen Clubs der Hauptstadt gezogen. Erneuerung hieß für sie: den Muff der Achtziger- und Neunzigerjahre zu beseitigen und den Parteiapparat umzubauen zu einer modernen Partei für neue Wählergruppen.

      »Wir haben uns da was ausgedacht«, fuhr der Agenturchef fort. Du machst eine Sofa-Tour in den wichtigsten Kleinstädten. Wir nennen das Sofa-Talks. Wir nehmen dein Sofa und stellen es auf den Marktplatz. Dort sprichst du mit ausgewählten Bürgern.«

      Der Minister zog die Augenbrauen hoch. »Ich soll mit meinem schönen Designer-Sofa auf Marktplätzen herumturnen?«

      Die junge Senior Consultant Julia registrierte die Bauchschmerzen, die der Minister beim Gedanken an die Fremdnutzung seines heimischen Sofas hatte, und reagierte prompt: »Das muss natürlich nicht Ihr eigenes Sofa sein. Wir können auch ein billiges von Ikea nehmen. Das kommt bei der Zielgruppe vielleicht auch authentischer rüber als ein teures Designer-Sofa.«

      Diese Beratungsleistungen waren so etwas wie ein kostenloser Freundschaftsdienst für den Minister. Erst kürzlich hatte die Agentur den Zuschlag für den großen Werbeetat des Bundesumweltministeriums gewonnen. Der Agenturchef hatte eine Präsentation mit den Zeiten und Orten der geplanten Sofa-Talks an die Wand geworfen.

      »Der Ort, wo die Tour starten soll, ist bewusst gewählt«, sprang der Pressesprecher bei. »In dem Bundesland sind bald Landtagswahlen. Es liegt ein EU-Förderbescheid für eine neue Ökokläranlange in dem Ort vor, wir können die Bekanntgabe noch etwas zurückhalten. Der Bürgermeister ist auch Landtagskandidat und kommt von unserer Partei. Dann kannst du nach deinem Auftritt dem Bürgermeister den Bescheid übergeben«, freute sich der PR-Profi.

      Der Minister seufzte. »Dann in Gottes Namen!«

      Einige Wochen später war es soweit. Auf dem kleinen, idyllischen Marktplatz, unter der mächtigen alten Eiche stand ein schwarzes Sofa aus der Sörvallen-Reihe von Ikea. Hinter dem Sofa hatten Mitarbeiter der Berliner Zentrale der Christpartei eine Stellwand mit dem Konterfei des Bundesumweltministers aufgestellt. »Einer von uns«, stand darauf. Die Dorfpolizisten hatten den Platz um die Eiche mit rotem Flatterband abgesperrt.

      Es hatten sich schon einige Dorfbewohner eingefunden, die auf den jungen Politstar aus Berlin warteten. Die Mitarbeiter waren dabei, an die Wartenden Fähnchen der Christpartei zu verteilen, mit mäßigem Erfolg. Einige Meter entfernt von der Eckgarnitur briefte Senior Consultant Julia die Bürger, die nachher mit dem Minister auf dem Sofa Platz nehmen durften. Sie gab ihnen detaillierte Anweisungen, was sie sagen durften und was nicht.

      Der Logenplatz war von rund einem Dutzend Journalisten eingenommen, darunter auch Kamerateams und Fotografen. Die Dorfbewohner waren auf einen Bereich weiter hinten verwiesen, ebenfalls abgesperrt mit rotem Flatterband.

      Endlich kam die große, schwarze Limousine des Ministers angerauscht. Der Minister und sein Pressesprecher stiegen aus. Der junge Politikstar winkte den Dorfbewohnern zu, doch deren Reaktionen waren recht verhalten. Dann steuerte er auf die wartenden Journalisten zu, sprach in die Kameras und in die Radiomikrofone.

      Nach einigen Minuten drängte der Pressesprecher den Minister. »Wir müssen weitermachen.« Auf dem Sofa hatten bereits die ersten ausgewählten Bürger Platz genommen. Der Politiker begrüßte sie. Die Kamerateams und Fotografen durften nun ganz nah ran. Sie filmten nur die ersten Minuten der arrangierten Gespräche. Dann hatten sie ihre Bilder im Kasten, und sie verschwanden mit den anderen Journalisten.

      Nach einer halben Stunde war der »Sofa-Talk« beendet. Ein spärliches Häuflein von Dorfbewohnern hatte geduldig ausgeharrt. Der Minister wollte die Gelegenheit nutzen, Hände zu schütteln. Da kam eine wuchtige Frau auf ihn zu und kreischte auch schon los: »Was soll der Quatsch! Jetzt wollt ihr Homos uns auch noch einreden, dass ich keine Mutter mehr bin? Ihr habt sie ja nicht mehr alle!« Mit ihrer Erscheinung unterschied sich die Frau deutlich vom Rest der Gruppe. Sie trug einen marineblauen Rock mit einem blauen Gürtel, eine weiße Bluse und ein schwarzes Halstuch. Sie hatte braune Halbschuhe und lange graue Strümpfe an. Ihre langen, wasserstoffblond gefärbten Haare trug sie in einer Gretchenfrisur. Obendrein war sie stark geschminkt.

      Der Minister schaute fragend den Pressesprecher, der Pressesprecher fragend den Minister an.

      Die resolute Frau mit der Gretchenfrisur redete sich in Rage. »Na lest ihr Kanaillen denn nicht die Deutsche Wahrheit? Solltet ihr mal machen, statt immer nur für die Systempresse zu posieren. Dann wüsstet ihr, was eure feine Genossin im Kanzleramt so treibt. Ich soll nicht mehr Mutter sein dürfen, damit die Homos sich nicht diskriminiert fühlen.« Die Gruppe um die Wortführerin fing


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