Machtergreifung. Ferdinand Schwanenburg

Machtergreifung - Ferdinand Schwanenburg


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die das Gesetz zog. »Rassismus geht bei Journalisten immer«, erklärte der Newsroom-Chef. »Da fahren die total drauf ab.«

      Und es funktionierte. Florentine Fischer bedankte sich mit einem Beitrag für den Demokratischen Beobachter mit der Überschrift: »Die Rassistenpartei«. Darunter ein ganzseitiges Foto von Dr. Adalbert Hausding. Im Artikel hieß es: »Der Demokratische Beobachter hat den Facebook-Auftritt des großen Vordenkers der Deutschlandpartei, Adalbert Hausding, analysiert. Das Ergebnis: Viele der Fans der bürgerlichen Vorzeigefigur der neuen Rechtspartei sind Rassisten.«

      Die Journalistin führte rund ein Dutzend Kommentare als Beleg für ihre Aussage an. So schrieb eine Frau: »Wenn ich bestimmen könnte, wer nach meinem Tod meine Organe bekommt, wäre ich auch Spender, aber ich will nicht, dass irgendein Asylant meine Organe bekommt. Ich könnte nicht damit leben, dass mein deutsches Herz eventuell in einem Türken schlägt oder was auch immer.«

      Den journalistischen Gepflogenheiten folgend, hatte die Nichte ihren Onkel mit den Kommentaren auf seiner Facebook-Seite konfrontiert. »Solche Aussagen sind nicht akzeptabel und entsprechen nicht meinen Überzeugungen«, erklärte er mit unschuldiger Miene. »Wir werden in Zukunft besser aufpassen, was gepostet wird. Ich werde mit den jungen Menschen, die meinen Facebook-Auftritt betreuen, das Gespräch suchen, dass sie demnächst sensibler sind. Ihnen muss klar sein, dass sich Menschen in den Sozialen Medien zu unüberlegten und einfach nur dummen Kommentaren hinreißen lassen. Die Posts der Deutschlandpartei anzulasten, ist allerdings falsch. Sie sind ein Symptom, dass es in unserem Land gärt. Die Kommentare sind ein deutliches Signal für die Zustände in Deutschland. Und die haben die Systemparteien zu verantworten.«

      Der Leiter des Newsrooms rekrutierte eine Schar von jungen Freiwilligen, die sich der Medienarbeit für die Partei widmeten. Regelmäßig unterrichte er Sehlings über die neuesten Entwicklungen. »Wir haben jetzt SLAs, Kommandeur. Das steht für Service Level Agreements. Wir haben für uns unsere Reaktionszeiten festgelegt, so etwas macht heute jedes Dienstleistungsunternehmen. Wir reagieren auf Fragen oder Kommentare auf Hausdings Facebook-Account innerhalb von 15 Minuten, zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens innerhalb von 30 Minuten. Wer heute nicht schnell genug ist, der hat schon verloren.«

      Der neueste Clou des Kommunikationsprofis war der Launch der Internetzeitung Deutsche Wahrheit. »Damit schaffen wir ein Alternativmedium, Kommandeur«, schwärmte er. »Das Ganze soll den Eindruck erwecken, dass es ein journalistisches Produkt ist. Es soll den Anschein von Objektivität haben. Wir bringen alternative Meldungen, all das, worüber die anderen Medien nicht berichten.« Zehn junge Journalisten arbeiteten an dem Projekt und füllten die Seiten der Zeitung Tag für Tag mit alternativen Nachrichten und Wahrheiten.

      Sehlings erhob sich von seinem Sessel und prostete Herbert und dem Newsroom-Leiter zu. »Lasst uns anstoßen. Auf BDM-Marie! Eine echte Wuchtbrumme! Auf die Deutsche Wahrheit! Auf unsere Mission!«

      Herbert und der Newsroom-Leiter taten es ihm nach. »Auf unsere Mission, Kommandeur!« Pling-pling, echoten die aneinanderschlagenden Cognacschwenker.

      »Informationen verlängern das Leben«, lautete einer der Lieblingssätze Friedrich Sehlings’, er hatte ihn einmal in einem James-Bond-Roman gelesen und sich eingeprägt. Sehlings hatte es sich schon früh zur Gewohnheit gemacht, mitzuhören, was die Leute an Nebentischen sprachen. Er stand im Foyer der Stadthalle, in die die Deutschlandpartei erstmals zu einer größeren Kundgebung eingeladen hatte, und hielt nach neuen Talenten Ausschau. Die Veranstaltung war für das Mittagessen unterbrochen worden. Bei Sehlings am Tisch stand ein älterer Herr, der ihm einen Monolog über Kontrollverlust und die Notwendigkeit der Abriegelung der Landesgrenzen hielt. Plötzlich vernahm er aus einiger Entfernung eine laute, militärische Stimme: »Ich war Kommandeur eines Landeskommandos. Ich sollte eigentlich General werden. Doch meine linken Vorgesetzten haben das verhindert.«

      Es waren nicht allein die Worte, die Friedrich Sehlings aufhorchen ließ, es war die Dominanz, die in der Stimme des Mannes lag. Die schnarrende Befehlsstimme übertönte das Gewirr des Small Talks an den Cocktailtischen und das leise, allgegenwärtige Kratzen, das entsteht, wenn Bockwürstchen auf billigem Porzellan zerschnitten werden.

      Sehlings warf einen vorsichtigen Blick zur Seite. Am Nachbartisch stand ein Mann, der auf drei junge Parteimitglieder einredete. Alle drei waren sie einheitlich gekleidet: weiße Hemden, schwarze Hosen, rote Krawatten und dazu Hosenträger im gleichen Farbton.

      Er hörte weiter zu. »Mit der Deutschlandpartei werden wir das Land wieder auf Vordermann bringen. Als Offizier hat man ja zu führen gelernt. Eine Partei braucht Männer, die sie führen.« Offenbar handelte es sich um einen ehemaligen Offizier der Bundeswehr. Die jugendlichen Zuhörer in den Hosenträger-Uniformen mampften scheinbar unbeteiligt ihren Kartoffelsalat. Sehlings tat weiter so, als lauschte er dem älteren Herrn an seinem Tisch. Unauffällig taxierte er den Mann am Nachbartisch: Mitte sechzig, übertrieben straffe Körperhaltung, mit einer Kombination von grauer Stoffhose und hässlichem Sakko, korrekt gebundene Krawatte, Typ deutscher Stabsoffizier in Zivil.

      »Sind Sie denn schon Mitglied?«, unterbrach jetzt einer der jungen Zuhörer kauend den Redefluss des Ex-Militärs.

      Der runzelte die Stirn, er war es nicht gewohnt, dass ihn jemand ins Wort fiel, erst recht nicht irgendein Grünschnabel. »Das ist nur noch eine Formsache. Ich regle das nachher mit dem Bundesvorsitzenden persönlich.« Die rüde Unterbrechung war für ihn das Zeichen, das Gespräch zu beenden, weiterzuziehen und sich neue Opfer zu suchen.

      Die hatte er bald an einem anderen Tisch gefunden: zwei ältere, vornehme Damen. Sie waren willfährigere Zuhörer als die drei Hosenträger-Jungs. Sehlings holte sich einen Kaffee und stellte sich wie zufällig an den Tisch. »Darf ich?«

      Der Ex-Militär nickte nur und redete weiter. »Als Kommandeur und Oberst trägt man natürlich eine große Verantwortung.«

      »Sie waren Oberst bei der Bundeswehr?«, unterbrach Sehlings den Redeschwall mit einem Unterton gespielter Bewunderung.

      Der Oberst schaute Sehlings tadelnd und erfreut zugleich an: »Sogar Oberst im Generalstabsdienst.« Dabei betonte er die Worte laut und deutlich. Der Mann schien ein großes Bedürfnis nach Abgrenzung zu haben.

      Als ehemaliger Feldwebel kannte Sehlings die Marotten der Generalstabsoffiziere, denen während eines zweijährigen Lehrganges an der Führungsakademie in Hamburg-Blankenese immer wieder eingebläut wurde, dass sie innerhalb der Bundeswehr eine Elite bildeten. Das Gute an ihnen: Sie waren berechenbar. In ihrem Denken drehte sich alles um die Karriere. Für Sehlings war die Lage klar: Der Mann litt darunter, dass er für einen Generalsposten erst gar nicht in die engere Auswahl gezogen und als Oberst in Pension geschickt wurde. Jetzt suchte er wohl eine Möglichkeit, um es seinen alten Kumpels in Uniform noch einmal zu zeigen. Eine neue rechte Partei zog immer merkwürdige Typen an: Spinner, Versager, Überengagierte, Opportunisten und eben auch Glücksritter und diejenigen, die sich eine schnelle Karriere und lukrative Posten erhofften. Das kannte Sehlings schon zur Genüge.

      »Das ist ja toll, dass auch Generalstabsoffiziere bei uns mitmachen wollen«, sagte Sehlings und ließ einen Versuchsballon starten.

      »Wir haben viele Soldaten unter unseren Anhängern. Wir brauchen Männer, die gut organisieren und anpacken können.«

      Der Oberst fühlte sich geschmeichelt. »Ich werde das gleich mit dem Bundesvorsitzenden besprechen, wie ich mich einbringen kann.«

      »Sehr gut«, sagte Sehlings und nickte. »Plakate kleben, Infostände betreuen, Veranstaltungen im Wahlkampf organisieren. Das alles ist viel Arbeit.«

      Der Ex-Militär verzog leicht das Gesicht: »Ja, ja. Das ist sicherlich sehr wichtig. Die Partei braucht jetzt aber erst einmal eine Strategie. Von meinen Erfahrungen als Generalstabsoffizier wird der Bundesvorstand sicherlich einiges lernen können.«

      Für Sehlings war die Sache klar. Es war kaum zu erwarten, dass sich der Oberst die Hände schmutzig machen würde. Der war hier in eigener Mission unterwegs. Und die hieß: eine schnelle Karriere als Politiker.

      Und


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