Machtergreifung. Ferdinand Schwanenburg

Machtergreifung - Ferdinand Schwanenburg


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war die Deutschlandpartei mit 24 Abgeordneten ins Landesparlament eingezogen. Damit standen der Fraktion 150.000 Euro im Monat zur Verfügung. Damit konnte sie sich einen ansehnlichen Mitarbeiterstab leisten: Sekretärinnen, Fachreferenten für die Parlamentsausschüsse, Presseleute und eben auch einen Fraktionsgeschäftsführer.

      Hausding war in der ersten Fraktionssitzung zwei Tage nach der Wahl einstimmig zum Fraktionsvorsitzenden gewählt worden, Friedrich Sehlings zum Parlamentarischen Geschäftsführer, jenem Abgeordneten, der sich um die reibungslose Parlamentsarbeit und die inhaltliche Arbeit kümmert. Im englischen Parlament hieß diese Position Chief Whip, der Chef-Einpeitscher. Und das war auch Sehlings’ neue Aufgabe: Er musste die frisch gewählten, unerfahrenen Abgeordneten auf Linie bringen.

      »Wir sind 24 Neulinge im Parlament. Da habe ich genug zu tun«, erklärte Sehlings. »Ich werde mich nicht um die Personalauswahl für den Fraktionsstab kümmern können. Das kann alles der Fraktionsgeschäftsführer machen.« Um die Ausschreibung dieses Postens hatte er sich aber noch gekümmert. Die 25 aussichtsreichsten Kandidaten hatte er Hausding mit den Worten übergeben: »Der Fraktionsgeschäftsführer ist für Sie die wichtigste Person. Dem müssen Sie unbedingt vertrauen. Deshalb sollten Sie sich Ihren Mann selber aussuchen. Der Rest der Fraktion wird Ihrem Urteil zustimmen. Dafür sorge ich.« Dann fügte er noch hinzu: »Leider sind nicht viele gute Leute dabei. Bei einer jungen Partei mit unserer Ausrichtung bewirbt sich nur eine bestimmte Klientel.«

      Was Sehlings meinte, wurde Hausding schnell klar, als er die ersten Bewerbungen aufschlug: »Ich habe immer gewusst, dass es wieder eine Führerpartei geben wird. Jetzt ist sie da. Jetzt möchte ich in erster Reihe mitmarschieren.« Ein Großteil dieser Bewerbungen kam von Leuten, die selbst Hausding als Nazis bezeichnen würde. Sie sahen in der Deutschlandpartei die Nachfolgerin der NSDAP. Auf alle schrieb Hausding nur ein Wort: »Absage«.

      Nicht besser war die zweite Gruppe: die offensichtlichen Versager, die ihre eigenen Fehlleistungen den Ausländern und dem System in die Schuhe schoben. »Seit zwanzig Jahren bin ich arbeitslos, weil dieses links-grün-versiffte System lieber Asylanten Arbeit gibt als ehrbaren Deutschen.« Auch sie markierte er mit dem Wort »Absage«.

      Schwieriger war es mit der dritten Gruppe: den rechtsintellektuellen Akademikern. Viele waren zwischen Mitte dreißig und Anfang fünfzig mit einem Dr. phil. vor ihrem Namen. Sie schlugen sich in irgendwelchen universitären Nischen oder als freie Publizisten durch. Jetzt witterten sie ihre Chance auf einen gut bezahlten Job im rechten Milieu und standen bereit, die Gedanken ihrer Leib-und-Magen-Denker in aktive Politik umzusetzen. »Meine Promotion schrieb ich über Alain de Benoist. Meine über 65 Aufsätze umfassende Publikationsliste zur Kulturrevolution von rechts habe ich dieser Bewerbung angeheftet. Meine Kenntnisse der Gedankenwelt gerade der kulturellen Hegemonie sollen die Grundlage der Arbeit Ihrer Fraktion sein.« – »Ein Projekt wie das der Deutschlandpartei muss auf der Grundlage der Philosophie von Dominique Venner stehen. Dafür will ich als Fraktionsgeschäftsführer sorgen.« Allen diesen Bewerbungen umwehte ein Hauch des Akademisch-Elitären, was Hausding eigentlich gefiel. Doch so richtig zufrieden war er damit auch nicht. Er wusste, dass diese Akademiker keine Ahnung von praktischer Politikarbeit und Verwaltung hatten. Sie sollten Kleine Anfragen, Parlamentsanträge und Reden schreiben, aber keine philosophischen Abhandlungen. Deshalb bekamen auch sie eine Absage.

      Hausding war schon fast am Ende des Packens angelangt und hatte immer noch keinen gefunden, den er sich als Fraktionsgeschäftsführer vorstellen konnte. Er schlug die letzte Bewerbung auf. Da wusste er sofort: Den wollte er haben. Hier passte alles: Volljurist mit Prädikatsexamina, Promotion in Verwaltungsrecht, Hauptmann der Reserve. Und das alles mit gerade einmal Anfang dreißig. Außerdem stand er sofort zur Verfügung. Der Name des Bewerbers: Dr. Lorenz Meyer.

      Wenige Tage später stellte er sich vor. Friedrich Sehlings war bei dem Gespräch dabei und schaute immer wieder verstohlen auf seine Armbanduhr. Er hätte dies aber gar nicht heimlich tun müssen. Die beiden anderen Männer in den Designer-Ledersesseln in Hausdings Landtagsbüro nahmen kaum Notiz von ihm, so sehr waren sie in ihr juristisches Fachgespräch vertieft. Er hätte genauso gut woanders sein können. Doch Hausding bestand darauf, dass Sehlings bei dem Bewerbungsgespräch mit Dr. Lorenz Meyer dabei war. »Sie müssen ja auch mit ihm zusammenarbeiten. Sie sollten ihn deshalb auch kennenlernen.«

      Es gab zwei Themen, bei denen Hausding aufblühte: Kniffelige juristische Verwaltungsprobleme und französische Kultur. Wenn er jemanden fand, mit dem er sich gleichrangig über diese Themen unterhalten konnte, dann vergaß er die Zeit und alles um sich herum. Außerdem glaubte Hausding an eine natürliche Hierarchie der menschlichen Gesellschaft: Unten waren die normalen Menschen, darüber kamen die Juristen und an der Spitze standen die Juristen mit Promotion.

      Diese berufliche Kameraderie war es wahrscheinlich, die Müller und Hausding bei der Gründung der Deutschlandpartei zusammengeführt hatte. Beide waren promovierte Juristen. Dabei waren sie vollkommen verschieden, sie hatten ganz entgegengesetzte Ansichten von Politik. Doch die Zweckfreundschaft der beiden hatte schnell zu bröckeln begonnen.

      Sehlings langweilte sich. Er musste einst auf Drängen seiner Mutter Französisch lernen, wurde von ihr mit den französischen Klassikern im Original malträtiert. Und Juristisches war ihm ein Graus. Aus der deutschen Geschichte wusste er: Keiner wechselt bei einem Umbruch des Systems schneller die Fronten als Juristen.

      Endlich hatten die beiden ihr Gespräch beendet. Hausding sagte zu Sehlings: »Ich will Dr. Meyer oder keinen.« Sehlings nickte Hausding zu, schaute Meyer an. Auch der schaute Sehlings an. Beide lächelten. Ihr Plan hatte funktioniert.

      Dr. Adalbert Hausding und Dr. Lorenz Meyer verstanden sich auf Anhieb. Schnell gewann der junge Jurist das Ohr seines älteren Fachkollegen. Der Fraktionsvorsitzende vertraute seinem Geschäftsführer und unterschrieb ungeprüft, was der ihm vorlegte. Der junge Mann war ein Workaholic. Im Nu hatte er die Mitarbeiter des Fraktionsstabes rekrutiert. Die meisten trugen bald rote Krawatten und rote Hosenträger.

      Meyer wusste, dass die Parlamentsarbeit zweitrangig war. Keiner der Abgeordneten interessierte sich wirklich dafür. Es gab sogar welche, die ganz ungeniert vom Landtag als »Quasselbude« sprachen. Sie griffen damit auf ein Wort von Hermann Göring zurück, der einst den Reichstag so bezeichnet hatte. Zuallererst sahen die Abgeordneten die Fraktion als Basis für den Aufbau der Partei. Sie bot vom Steuerzahler finanzierte Räume und Computer, vor allem aber Posten für Mitarbeiter. All das ließ sich, wenn sie einige Regeln einhielten, auch anderweitig nutzen. »Wir müssen strengstens darauf achten, dass Fraktion und Partei getrennt sind. Wir dürfen keine Fraktionsgelder für die Partei verwenden«, hatte Dr. Lorenz Meyer in einer Fraktionssitzung den Abgeordneten erklärt. »Aber es gibt immer kreative Wege, die völlig legal sind und einem gewisse Vorteile bringen.«

      Eine der ersten Maßnahmen, die er der Fraktion vorschlug, war, zwei Kleinbusse auf Fraktionskosten anzuschaffen. »Wenn die Busse nicht benutzt werden, können Mitarbeiter und Abgeordnete sie zum Selbstkostenpreis von der Fraktion mieten«, erklärte Meyer den Abgeordneten. Er hatte auch gleich eine schriftliche Verfahrensanweisung ausgearbeitet, die die Abgeordneten einstimmig beschlossen. »Damit sind wir juristisch auf der sicheren Seite.« Dass die Abgeordneten die Busse hauptsächlich für Parteizwecke nutzten, stand auf einem anderen Blatt.

      Den Tipp mit den Kleinbussen und der Verfahrensanweisung hatte der Fraktionsgeschäftsführer von zwei Mitarbeitern des Landesrechnungshofes bekommen. »Das ist gängige Praxis«, hatten sie ihm erzählt. »Das machen alle so.« Meyer hatte schnell Kontakt mit den Mitarbeitern jenes Verfassungsorgans aufgenommen, das überwachen sollte, ob die Behörden des Landes und auch die Fraktionen die öffentlichen Zuwendungen so verwendeten, wie die Gesetze es vorschrieben. Die beiden Prüfer hatten sich sofort als Wähler der Deutschlandpartei geoutet. Sie hatten zwar hochdotierte Posten, aber eigentlich waren sie völlig machtlos. Immer wenn sie eine gesetzliche Regelung zu den Fraktionsfinanzen bemängelten, änderten die Fraktionen das Gesetz zu ihren Gunsten. Darin waren sich alle Parteien immer sehr schnell einig.

      Im Landtag wurden die Abgeordneten und Mitarbeiter der Deutschlandpartei von den Reinigungskräften, Hausmeistern, Fahrern, Sicherheitsleuten und auch von vielen Sachbearbeitern freundlich willkommen geheißen. Die meisten von ihnen waren wohlwollend gegenüber der neuen


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