Machtergreifung. Ferdinand Schwanenburg

Machtergreifung - Ferdinand Schwanenburg


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war ein mühsam austariertes System, bei dem die Positionen oft bis auf Referentenebene nach dem Parteibuch vergeben wurden. Jetzt war die Deutschlandpartei in dieses System eingedrungen. Viele hofften, dass die Partei nach fünf Jahren wieder aus dem Landtag verschwinden würde, sahen sie doch ihre Pfründen in Gefahr.

      Die Befindlichkeiten der Landtagsverwaltung interessierten Dr. Lorenz Meyer wenig. Auch er sah die Fraktion nur als Mittel, um ein weitergehendes Ziel zu erreichen. Auch er kannte die berühmte Goebbels-Rede und zitierte sie oft im kleinen Kreis: »Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freikarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache.«

      Wenn Friedrich Sehlings das Bedürfnis hatte, sich das Herz auszuschütten, verabredete er sich mit Oliver Felsenstier, dem Herausgeber des Jungen Deutschlands. In aller Regel trafen sie sich im »Alten Fritz«, der Stammkneipe des Journalisten in Berlin-Kaulsdorf. Statt Latte macchiato und Tofu-Würstchen gab es hier Bier und Korn und große Schnitzel mit reichlich Pommes.

      Zum ersten Mal war Friedrich Sehlings Felsenstier während seines Einsatzes als Fallschirmjäger auf dem Balkan begegnet. Während einer Lagebesprechung vor einer ziemlich heiklen Operation stand er da plötzlich im Briefingroom unter den Offizieren. Mit seinem Hawaiihemd und Jeans stach der kleine, gedrungene Mann mit Halbglatze deutlich hervor. Keiner stellte ihn vor. Sehlings, damals Feldwebel, hatte gelernt, dass man in solchen Situationen beim Militär besser keine Fragen stellte.

      Immer wieder kreuzten sich ihre Wege. Wenn irgendwo eine neue rechte Partei oder Gruppierung entstand, war früher oder später Felsenstier zur Stelle. Bald entstand zwischen den beiden eine Freundschaft.

      Oliver Felsenstier war ein Abenteurer. Er fühlte sich in den verschiedensten Milieus wohl, hatte in vielen Ländern gelebt, gearbeitet und gekämpft. Er sprach mehrere Sprachen fließend, darunter Russisch und Arabisch. Mochte er auch aussehen wie der nette Hausmeister von nebenan, umwehte ihn doch stets eine Aura des Geheimnisvollen.

      Vor zehn Jahren hatte er die Wochenzeitung Junges Deutschland gegründet. Woher die Geldgeber kamen, wusste wohl nur er selber, er sprach nie darüber. Gerüchte besagten, die Investoren säßen irgendwo in der früheren Sowjetunion oder im Nahen Osten. Die Leser des Blatts interessierte es nicht. Das Junge Deutschland besetzte eine Marktlücke. Es sollte das rechte Gegenstück zum linksliberalen Demokratischen Beobachter sein, der immer dienstags seine Klientel bediente. Drei Tage zuvor, am Samstag, brachte das Junge Deutschland seine alternative Weltsicht an den Mann.

      Die Zeitung bot ein buntes Spektrum an Themen. Dazu gehörten die Verherrlichung der heroischen Seiten der deutschen Geschichte, der Kampf gegen »Gender Mainstreaming« und den grünen Gesellschaftsumbau und die Anprangerung der Zustände in Deutschland im Allgemeinen. Einen hohen intellektuellen Anspruch hatte sie nicht. Barbarossa hatte nach seinem Studium der Geschichte und Philosophie eine Zeit lang als Redakteur beim Jungen Deutschland seine Brötchen verdient. Die Arbeit ödete ihn allerdings an. Er hielt die Zeitung für ein niveauloses rechtes Schundblatt und kehre ihr bald den Rücken.

      Während der Demokratische Beobachter mit sinkenden Verkaufszahlen kämpfte, stieg die Auflage des Jungen Deutschlands mit jeder Krise im Land. Vor allem die Flüchtlingskrise und die Gründung der Deutschlandpartei und deren spektakulärer Einzug in den ersten Landtag kurz darauf hatten der Zeitung neue Leserströme zugeführt. Unter den Abonnenten waren Soldaten, Polizisten, Beamte und Angestellte des Öffentlichen Dienstes, aber auch Kleingeschäftstreibende und Freiberufler sowie rechtsgesinnte Lehrer. Sie war das Leib- und Magenblatt der Mitglieder und Wähler der Deutschlandpartei. Auch die werbetreibende Industrie hatte das Alternativmedium inzwischen für sich entdeckt. Die wachsende Wählerschaft der Deutschlandpartei, darunter viele junge Anhänger in der werberelevanten Zielgruppe, war keineswegs zu vernachlässigen. Bald gruppierte sich um die Zeitung herum auch ein florierender Buchverlag.

      Journalisten anderer Medien rümpften die Nase über das Junge Deutschland. Doch das störte Oliver Felsenstier nicht. Er hatte nie den Anspruch erhoben, ein objektives, sich an den hehren Grundsätzen des deutschen Journalismus orientierendes Blatt herauszugeben. Für ihn war seine Zeitung ein Propaganda-Medium. Und ein Deckmantel für die vielen Geschäfte und Machenschaften, in die er involviert war.

      Das Junge Deutschland hatte seine Redaktion auch nicht in Berlin-Mitte wie viele andere Medien, sondern in einem Reihenhauskomplex in Berlin-Kaulsdorf am östlichen Rand der Hauptstadt. In dem Einfamilienhausgebiet, hinter den endlosen Gartenzaunfronten wohnten auch viele der Abonnenten des Jungen Deutschlands, Mitglieder und Fans der Deutschlandpartei. In dieser Oase der Kleinbürgerlichkeit bewegte sich Oliver Felsenstier wie ein Fisch im Wasser.

      Die beiden Freunde bestellten Bier. »Schön, dass es heute geklappt hat«, sagte Oliver Felsenstier. »Wir haben das in letzter Zeit viel zu selten gemacht.«

      »Die letzten Monate waren wirklich stressig. So eine Partei ist wie ein Kindergarten«, erwiderte Sehlings. »Und dann bin ich ja auch noch Parlamentarischer Geschäftsführer einer Landtagsfraktion, gewissermaßen Abgeordneten-Dompteur. Und alle haben sie die Abgeordnetenkrankheit.«

      Der Chefredakteur sah Sehlings fragend an. Das Wort kannte er noch nicht.

      »In dem Augenblick, in dem sie registrieren, dass sie Abgeordnete sind, wechseln sie komplett ihr Verhalten«, erklärte Sehlings. »Plötzlich verfügen sie über finanzielle Ressourcen und denken, dass sie Macht über Menschen haben. Jeder macht vor ihnen den Bückling, ›Ja, Herr Abgeordneter!‹ – ›Sehr wohl, Herr Abgeordneter!‹ Das steigt zu Kopf. Sie führen sich auf wie Könige.«

      »Verstehe.« Felsenstein kannte diese eingebildete Wichtigkeit von den Neureichen östlich der Elbe, denen das Ende des Kalten Krieges ein Vermögen zugespielt hatte.

      »Ich kann dir sagen«, redete Sehlings weiter, »die Erfolge bei den Wahlen haben richtigen menschlichen Schrott in die Landtage gespült. Da sind einige dabei, die noch nie im Leben gearbeitet haben. Für sie ist das Mandat der letzte Anker.« Sehlings seufzte. »Es wurde jeder genommen, der die Hand hochhielt, besonders auf den hinteren Listenplätzen. Es wäre besser gewesen, wenn wir am Anfang nicht einen so großen Erfolg gehabt hätten.«

      »Ja, ihr habt nicht gerade den besten Ruf«, sagte Felsenstier.

      »Wenn es nur das wäre«, erwiderte Sehlings. »Die Lobbyisten gehen bei uns schon ein und aus. Schmierige Adelige, die uns wegen irgendwelcher Landrückgabe-Sachen nerven. Und die Jagd- und Kleinwaffenlobbyisten. Und unsere Abgeordneten sind ihren Verlockungen gnadenlos ausgeliefert.«

      Bei dem Wort Waffenlobbyisten spitzte Oliver Felsenstier die Ohren.

      »Du wirst es kaum glauben: Einer unserer Landtagsabgeordneten hat auf einer Sicherheitsmesse einen Lobbyisten des Waffenproduzenten GISSÜSS kennengelernt und ihn zu einer Produktvorstellung in den Landtag eingeladen. Das konnte ich gerade noch verhindern. Dann sind ein paar Abgeordnete mit dem Fraktionsbus zur Fabrik gefahren, haben die ganzen Waffen auf der Werksschießbahn ausprobiert. Und sich natürlich üppig bewirten lassen.«

      Felsenstier schien ehrlich erschrocken. »Oh, Mann, wie gefährlich war das denn! Und das hat kein Journalist mitbekommen?«

      »Ich konnte gerade noch verhindern, dass die Abgeordneten Bilder ins Internet stellen, auf denen sie mit den Waffen poussieren.«

      Felsenstier schüttelte den Kopf.

      Aber im Grunde interessiert das alles auch keinen«, fügte Sehlings hinzu. »Im Hintergrund läuft schon die Verbrüderung mit dem rechten Flügel der Christpartei. Da finden regelrechte nächtliche Sauftouren statt.« Sehlings schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: »Ich kann es den Konservativen in der Christpartei auch gar nicht verdenken. Die Partei rutscht immer weiter nach links, und dann noch dieser schwule Umweltminister …«

      »Der neue starke Mann der Christpartei«, führte Felsenstier den Satz zu Ende. Er legte seine Hand auf den Arm von Sehlings und sagte leise: »Du weißt, Friedrich, wenn ich dir irgendwie helfen kann, ich bin für dich da.«


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