Machtergreifung. Ferdinand Schwanenburg

Machtergreifung - Ferdinand Schwanenburg


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Friedrich Sehlings, während er am Herd in der braunen Soße rührte. »Der Leiter unseres Newsrooms war völlig aus dem Häuschen. Das ist das Holz, aus dem völkische Posterboys geschnitzt werden, sagte er.« Kaum hatte er das Porträt im Demokratischen Beobachter gelesen, hatte sich Sehlings schon auf den Weg gemacht, den Mann mit den blauen Augen zum Essen eingeladen und im Gespräch seine Vergangenheit abgecheckt. Er fragte ihn, ob er nicht in die Partei eintreten wolle, und sagte ihm jede Unterstützung zu. Lehmann willigte sofort ein.

      Sehlings wusste, dass er selber alles andere war als ein Posterboy. Er konnte organisieren und netzwerken wie kaum ein anderer, aber er war kein Charismatiker. Wenn er redete, kam er immer wie ein Feldwebel rüber, der einer Kompanie Fallschirmjägern Befehle zubellte. Barbarossa kam für die Rolle der charismatischen Persönlichkeit, die er brauchte, nicht infrage. Zwar gab es viele rechtsintellektuelle junge Männer und Frauen, die ihn anhimmelten und unbedingt Mitglieder seines Jüngerkreises, der Diskrepanten Bewegung, sein wollten. Für die meisten aber war er ein verschrobener Spinner. Und er war schwer zu kontrollieren. Auch Lorenz Meyer war nicht der Richtige für diese Rolle. Mochte sein Aussehen auch so manches Frauenherz schwach werden lassen, so war er doch spröde, kalt und unnahbar. Ebenso ungeeignet war Herbert. Zwar konnte er reden wie Goebbels und war ein Organisationstalent, aber mit seiner Leibesfülle und dem gemütlichen und freundlichen Aussehen eines Teddybären schien er eher als Mann zum Knuddeln. Auch fehlte ihm intellektuelle Größe.

      »Wir können wohl bald die ›Operation Bolschewiki‹ starten«, sagte Sehlings.

      Lorenz Meyer sah von dem Salat auf, den er gerade anrichtete: »Jawohl, Kommandeur. Ich werde alles vorbereiten, um das Deutsche Herz zu gründen. Bringst du Lehmann und Barbarossa zusammen?«

      Sehlings nickte. »Ja, ich fahre mit Lehmann zur Pfalz, damit er unseren Posterboy ideologisch ein wenig einfangen kann. Oliver hat ihn übrigens auch schon in der Mangel.«

      Nach Lehmanns Parteieintritt hatte Oliver Felsenstier den Supermarktbetreiber nach Berlin-Kaulsdorf zu einem Interview mit dem Jungen Deutschland eingeladen. Lehmann fühlte sich geschmeichelt, war er doch seit Langem ein eifriger Leser. Der Blatt-Chef besaß eine ganz spezielle Art, Vertrauen aufzubauen und den Menschen auch noch das letzte Geheimnis zu entlocken.

      Das Interview war mehr als ein Interview, es war klassische Gesprächsaufklärung, wie sie Nachrichtendienstler überall auf der Welt beherrschten. Felsenstier hatte Lehmanns Vorlieben und Schwachstellen im Nu herausgefunden: seine Bewunderung für Russland und dessen Autokraten und sein Faible für Nazireenactment, das Nachspielen der Geschichte des Dritten Reiches. Anschließend lud Felsenstier Lehmann in den »Alten Fritz« ein. Bei Schnitzel und Pommes entdeckten sie ihre gemeinsame Leidenschaft für russischen Wodka. Felsenstier war viel in den Ländern der früheren Sowjetunion herumgereist, und Lehmann sah in Russland einen natürlichen Verbündeten Deutschlands gegen die Dekadenz der USA. Der Wirt kam kaum hinterher, die Gläser immer wieder neu zu füllen.

      »Du kannst in der Partei Großes erreichen«, sagte Felsenstier nach dem fünften oder sechsten Glas. »Du hast Charisma. Du faszinierst die Menschen, übrigens nicht nur die Frauen.«

      »Meinst du das im Ernst?«, fragte Lehmann.

      »Na klar.«

      »Darauf lass uns trinken.« Sie stießen an. Die Gläser klirrten.

      Felsenstier war trinkfest, das hatte er in Russland gelernt. Auch nach einer Flasche Wodka wusste er immer noch, was er tat. Dennoch hatte er dem Wirt vorsichtshalber ein Zeichen gegeben, ab da war in seinem Wodka-Glas nur noch Leitungswasser. Irgendwann sagte er zu Lehmann: »Du wirst der neue Führer.«

      »Du scherzt?« Lehmanns stahlblaue Augen weiteten sich.

      »Nein. Wir schaffen das!«

      Die Führer-Idee schien Lehmann überaus zu gefallen.

      Dr. Martin Müller streckte wohlig die Beine aus und betrachtete die Zimmerdecke. Die feingewebte Seidenbettwäsche umspielte seinen nackten Körper. Vom Bett aus sah er sich jedes Detail der sorgfältig ausgearbeiteten und noch sorgfältiger restaurierten Stuckdecke an. Die Philosophin hatte er losgeschickt, Brötchen und Bioeier zu holen. Er fühlte sich wohl, sehr wohl. Bisher hatte er das Liebeslager stets nur mit den Sekretärinnen und Sachbearbeiterinnen seines Finanzamtes geteilt. Wie anders war diese Wohnung in dem Berliner Gründerzeithaus im Vergleich mit denen seiner früheren Gespielinnen: Seidenbettwäsche statt Baumwoll-Bezügen, Designer-Einrichtung statt Spanplatten aus dem Stadtrand-Möbelmarkt, hohe Decken statt der Wohnkäfige des sozialen Wohnungsbaus.

      Er reckte die Arme und gähnte sich die letzte Müdigkeit aus dem Körper. Ein neuer Tag als Bundesvorsitzender der Deutschlandpartei konnte beginnen. Er schlüpfte in den seidenen Morgenmantel, den ihm seine Freundin zum Geburtstag geschenkt hatte, und ging ins Bad. Es war größer als die allermeisten Wohnzimmer. Dr. Angelika Erdmann-Benz hatte Geschmack, und ihre Eltern hatten Geld. Gleich nach ihrer Nominierung als Bundestagskandidatin hatte die Familie Erdmann-Benz die große Wohnung im Prenzlauer Berg in Berlin gekauft. »Die Frau sollte ich heiraten«, murmelte Müller vor sich hin. Bisher hatte er sich allen Hochzeitsabsichten entzogen, die Richtige war noch nicht dabei gewesen. Er stand auf jüngere Frauen, und manchen von ihnen schien der Vorsteher eines Finanzamtes eine gute Partie.

      Er hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde, dann die klare Stimme von Angelika Erdmann-Benz. »Ich bin wieder da, Martin.«

      Hast du die Bioeier bekommen, die ich haben wollte?«, rief Müller zurück.

      Die Philosophin seufzte, rief dann aber freundlich: »Ja, habe ich. Das Junge Deutschland ist auch schon gekommen.«

      Müller betrat die Küche und setzte sich an den Tisch, wo seine Freundin ihm die Zeitung hingelegt hatte. Sie bereitete am Herd die Rühreier zu.

      Müller las die Überschrift. In riesigen Lettern stand da: »Der aufrechte Deutsche«. Darunter, die ganze Zeitungsseite einnehmend, war Hans-Jürgen Lehmann abgebildet. Er stand aufrecht, sein Blick weit nach vorne gerichtet, die rechte Hand heroisch zum winkenden Gruß erhoben. Diese Position kannte Müller von den Standbildern römischer Kaiser.

      »Schau dir das mal an!«, kommandierte er seine Gespielin zu sich.

      Die Philosophin ließ von den Eiern ab und trat an den Tisch.

      »Was ist denn das wieder für ein Mist? Das ist doch dieser Nazi, über den der Demokratische Beobachter kürzlich geschrieben hat«, sagte Lehmann.

      Sie setzte sich auf den Schoß des Politikers, beide lasen den Text, er leise, sie laut: »Die Deutschlandpartei soll eine nationale und vor allem soziale Partei werden, eine Partei der kleinen Leute. Dafür will Hans-Jürgen Lehmann bis an das Ende seiner Tage kämpfen.«

      Die Philosophin hörte auf zu lesen und schaute ihren Freund an: »National und sozial? Kommt mir irgendwie bekannt vor.«

      Müller schaute grimmig. »Sei still! Mir ist jetzt schon übel. Da steckt doch bestimmt wieder dieser Sehlings dahinter.«

      »Der Sehlings?«, fragte Angelika Erdmann-Benz erstaunt.

      »Der hat doch auch diese Köster in die Partei geholt. Lies weiter!«, kommandierte er.

      Der Artikel endete mit den Worten: »Auch die stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschlandpartei, Marie Köster, ist ganz begeistert von dem unbeugsamen und aufrechten Deutschen Hans-Jürgen Lehmann: ›Das ist wirklich mal ein richtiger deutscher Mann. Mit seinen tiefen blauen germanischen Augen hat er die Zukunft Deutschlands und unserer Partei im Blick. Er ist der neue Star unserer Partei.‹«

      Die Philosophin war erbost. »Diese Schlampe!« Sie erinnerte sich noch gut an das erste Zusammentreffen mit BDM-Marie. Es war während der Wahlparty zum Einzug in den Landtag auf der Damentoilette des Landgasthofes. Als sich die Philosophin vor dem Spiegel den Lippenstift nachzog, stand die ihr damals gänzlich unbekannte Frau plötzlich hinter ihr und rief: »Willst noch was werden? Schmeißt dich deshalb wohl so an den Müller ran. Solche Flittchen


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