Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2. Kersten Reich

Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2 - Kersten Reich


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liegt in einer allgemeinen Gewinnorientierung. Die Märkte einschließlich des Arbeitsmarktes regulieren die Gewinnerwartungen und stimulieren die Beteiligten, ihre eingesetzte Zeit effektiv zu nutzen. Zwar mag es auch immer wieder den Luxus der verschwendeten Zeit – nicht primär auf einen Markt gerichteten Zeit – geben, etwa die Künstlerin, die nur für ihre Kunst lebt, aber dann ist die Voraussetzung, dass durch andere Einkommensarten, Erbschaften oder parasitäre Teilhaben ein solches Leben gesichert wird (vgl. Reich 2018 a, Kap. 3). In der Breite bleibt der zeitliche Luxus stets die Ausnahme, wobei sowohl das Engagement für mehr soziale Gerechtigkeit als auch für Nachhaltigkeit als solcher Luxus verstanden werden, weil sie kein grundlegender Teil der gewinnorientierten Arbeitswelt sind.

      Disziplinierungen wandeln sich in Selbstkontrollen, die bis zum Beginn der Moderne noch durch Fremdkontrollen dominiert waren. Die Versachlichung der Unterordnungen nimmt zu; statt sich überwiegend in persönlicher Abhängigkeit und in Hierarchien bewegen zu müssen, treten nun Sachverhalte und Prozeduren nach Regeln, Gesetzen, Ausführungsbestimmungen in den Vordergrund. Dies sind die Gesetze einer Leistungsgesellschaft, was ökonomisch meint, sich in der konkreten Arbeit (mit Fleiß, Ordentlichkeit, Pünktlichkeit und anderen Tugenden) aktiv angepasst zu verhalten. In der Gegenleistung durch Lohn bzw. höheren Lohn oder Einkommen bei höherer Qualifikation liegt die motivationale Voraussetzung einer Höherqualifizierung mit entsprechendem Aufwand.

      Seit Beginn der Moderne ist zu beobachten, dass die Arbeiten und Nutzungen in einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft vielfältiger, komplexer und vernetzter durchgeführt werden. Diese Vielfalt führt zu einer Steigerung der Unterschiedlichkeit, der Kompliziertheit und Spezialisierung. Zeitlichkeit wird zu einem Anspruchsprofil: Wo früher eng begrenzte Berufe ein Leben lang praktiziert wurden, da steht heute ein flexibles, disponibles und mobiles Anforderungsprofil mit breiter Grundbildung und persönlich möglichst umfassenden Kompetenzen im Vordergrund. Entsprechend steigt das Anforderungsprofil an die Lernarbeit. Zielgerichtete, planmäßige, organisierte, systematische und analytische Tätigkeiten nehmen zu, ihnen stehen verstärkt kooperierende, kommunikative und selbstreflexive Momente zur Seite. Unterschiedliche Entlohnungen haben den Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital verwischt, weil nun auch die Arbeitenden in unterschiedlichen Lohn- und Einkommensklassen unterschieden sind.

      Die Arbeitsgegenstände und Nutzungsmöglichkeiten verändern sich. An die Stelle von Naturstoffen rücken immer mehr künstliche, synthetische Produkte, und die Arbeitsmittel, die Werkzeuge, Maschinen und Produktionsprozesse wandeln sich stark. Während der Industrialisierung finden unterschiedliche Revolutionen der Arbeit statt, die vom Fließband bis hin zur Teamarbeit reichen, die von der Taylorisierung der Einzelarbeit über die Halbautomation bis zur Vollautomation führen. Im Hintergrund steht hier eine Verwissenschaftlichung und Technologisierung der Arbeit, die zu einer enormen Erhöhung der Arbeitsproduktivität und zur kreativen Entwicklung neuer Arbeitsgegenstände und Verfahren beigetragen hat. Gleichwohl erzeugen Differenzierungen der Arbeiten eine sehr unterschiedliche Wertigkeit und Entlohnung bei gleicher Arbeitszeit. Dies führt insbesondere zu einer Benachteiligung von Frauen, Menschen mit sozialen Berufen, besonderen Begabungen oder Benachteiligungen.

      Nachhaltigkeit in sozialen Fragen, wobei auf eine angemessene Entlohnung, eine gute Gesundheitsvorsorge, eine Vorsorge im Hinblick auf die Heranwachsenden, eine Beachtung der Umweltfolgen geachtet wird, das muss im Kapitalismus immer erst erstritten werden, weil solche Kosten von den Gewinnen abgehen. Dies gilt ebenso für alle Kosten der Nachhaltigkeit, die nur dann widerwillig in der Gewinnmaximierung geleistet werden, wenn sie selbst zur Kostensenkung beitragen oder gar nicht zu vermeiden sind.

      Eine wesentliche Basis für die Wirksamkeit der Gewinnmaximierung ist es, dass die Kosten für Verkehr und Verkehrswege, Elektrizität, Wasser, Verwaltung, Militär und Schulen auf den Staat übertragen sind, der sie wiederum durch unterschiedliche Steuern von allen Menschen eintreibt. Obwohl der kapitalistische Unternehmer mehr als andere Menschen von solcher Infrastruktur profitiert, trägt er von Anbeginn an in der Relation nicht den gleichen Kostenanteil wie die Mehrheit der Menschen, womit auch die Nachhaltigkeitskosten im wesentlichen Maße vom Staat auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Der Staat holt sich seine Ausgaben von den Bürgerinnen und Bürgern auf der Basis von Gleichheitsgrundsätzen zurück, obwohl gerade durch solche formale Gleichheit die Ungleichheit der Abgaben untermauert wird. Wenn beispielsweise ein Manager das 1000-Fache eines Arbeitenden verdient, wieso sollte dann nicht auch diese Relation bei der Besteuerung von CO2-Kosten herangezogen werden? Eine solche Denkweise liegt dem kapitalistischen System grundsätzlich fern, weil es auf vermeintlichen Leistungsprinzipien und Gleichheitsgrundsätzen beruht. Allerdings hat niemand bisher nachweisen und begründen können, warum eine Leistung mit hohen Faktoren wie 100 oder 1000 besser als eine andere sein soll und was dies noch mit Gleichheit zu tun haben könnte.

       Das doppelte Nachhaltigkeitsproblem

      Der gegenwärtige Kapitalismus ist vor dem Hintergrund dieser Bedingungen ständig von vielen Veränderungen in allen Lebensbereichen gekennzeichnet. In gewisser Weise kulminieren diese Veränderungen in einem beschleunigten materiellen Wohlstand, wie er insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Industrieländern erfahren werden konnte. Hier wirkt allerdings eine soziale Nachhaltigkeitskrise fort, die sich über die letzten 200 Jahre zwar positiv für die in Lohnarbeit stehenden Menschen verändert hat, aber immer von einer sozialen Ungerechtigkeit begleitet ist. Ungerecht ist, dass die Leistungen der arbeitenden Menschen nicht angemessen entsprechend des geschaffenen Reichtums entlohnt werden. Dabei wirkt die alte, schwere und feste Moderne in vielen Anteilen fort, sie wird aber auch durch eine leichte und flüssige Moderne ersetzt und ergänzt, die in der Globalisierung sichtbar wird und später noch näher analysiert werden soll. Nicht bedachte Folgen fehlender Nachhaltigkeit sowohl im sozialen System als auch gegenüber der Natur und Umwelt sind dem kapitalistischen System grundsätzlich eingeschrieben und auch in seinen Rechten, Regulierungen und Organisationsformen verankert. Deshalb zählt die sozial-ökonomische Nachhaltigkeit auch richtigerweise zu den Säulen der Nachhaltigkeit, auch wenn dies zunächst nur den Status quo der kapitalistischen Verteilungskämpfe charakterisiert und immer durch eine ökologische Betrachtungsweise nicht nur ergänzt, sondern auch kritisch hinterfragt werden muss.

      Graeber (2011) weist darauf hin, dass Geld in der heutigen Gesellschaft immer Schulden miteinschließt. Wie wird auf den Markttransaktionen der menschliche Wunsch nach Reziprozität und gleichem, gerechtem Austausch, nach moralischem und gerechtem Handeln realisiert und kalkuliert? Im Ergebnis wird erkennbar, dass Schulden zunächst in sozialen Beziehungen und Verpflichtungen standen, aber mit der Entwicklung vom klassischen und schweren Kapitalismus in den Neoliberalismus immer mehr der alten Verpflichtungen und Zugehörigkeiten enthoben werden. Das Kosten-Nutzen-Denken in seiner immer dominanter und ignoranter werdenden Form des Vergessens der sozialen Gerechtigkeit und der nachhaltigen Anforderungen ist Ausdruck einer Haltung, die anzeigt, dass der Mensch die wesentlichen Fragen seines Überlebens aus dem Blick verloren hat. In Bezug auf den Klimawandel und dessen Folgen macht es wenig Sinn, die Natur fast ausschließlich aus der Perspektive von Ware-Geld-Beziehungen aufzufassen, denn es geht in der bio-physikalischen Welt nicht um Marktgesetze und Konstruktionen, die bestimmen, wie es den Menschen immer besser gehen soll, wenn gleichzeitig die Natur einseitig überwältigt wird. Der Homo oeconomicus muss verstehen lernen, dass die Natur für die Wirtschaft immer nur ein billiger Gebrauchswert ist, der solange ausgebeutet, verschwendet oder ruiniert wird, bis eine Vernunft oder nicht-ökonomische Justiz oder Moral einsetzen, die um des Überlebens der Menschen und anderen Lebens auf der Erde willen die Privatisierung und Ausbeutung des Planeten beschränken.

      Die große Industrie erscheint bei den neuen und heutigen Formen der Gewinnmaximierung wie ein schwerer Koloss, der noch in der Autoindustrie, bei der Kohle, bei Stahl und anderen klassischen Waren sein solides Geld verdient, aber nur schwer zu vergleichen ist mit den Gewinnen der Finanz- oder Transaktionsjongleure, der Software-Industrie oder der zahlreichen Dienstleistungsbranchen. Hier wird mit kleiner Crew, mit Cloudworking, Outsourcing, kurzen Herausforderungen,


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