Herrschaft der Angst. Imad Mustafa
des Gemacht Seins. So ist der Herr übrig geblieben und überlagert die älteren Sprachschichten. Die Dame des 17. Jahrhunderts führt überhaupt weg von einer weiblichen Entsprechung zum Herrn. Der Herrschaft kann keine weibliche Form entgegengestellt werden.
Herrschaft ist als männlich festgelegt. Die Herrin als Ableitung beschreibt dann ganz genau wie die Herrschaftsverhältnisse Geschlechterverhältnisse sind. Wie diese Verhältnisse geworden sind. Wie sie gemacht worden sind. Herrschen ist männlich. Es gibt keine »Damenschaft«. Und. »Frauenschaft«. Das löst Assoziationen faschistischer und nationalsozialistischer Geschlechterorganisation aus. Die explizite Trennung in die heteronormative Geschlechterdichotomie dient dann dazu, überhaupt keinen weiblichen Führungsanspruch aufkommen zu lassen.
»Hound dogs on my trail.
School children sitting in jail.
Black cat cross my path.
I think every day’s gonna be my last.«
Wie genau Herrschaft in die Sprache eingelassen ist, lässt sich an der Verwendung des Verbs »dienen« im vorangegangenen Satz schön nachweisen. Das Verb ist vollkommen selbstverständlich Beschreibung der herrschaftlichen Mechanik. Die beschriebene Unterordnung erscheint uns abstrakt entfernt selbstverständlich. Es wird die Wahrheit gesagt. Die wörtliche Wahrheit. Der kulturelle Lesevorgang entfremdet von dieser Wahrheit, die auf keine Person mehr bezogen werden muß. Ein vages Allgemeines schiebt sich zwischen die lesende Person und das Gelesene. Das »Dienen« wird zu einer akzeptierten Bewegungsform. »You lied …«, singt Nina Simone.
»Lord have mercy on this land of mine.
We all gonna get it in due time.«
Wenn nun Herrschaft kein Geschlechtergegenteil erlaubt. Was wäre das inhaltliche Bedeutungsgegenteil zu Herrschen. Negation reicht nicht. Nicht herrschen. Das drückt nur die Abwesenheit des Vorgangs aus und einen solchen Zustand kennen wir gar nicht. Die Abwesenheit von Herrschen ist uns unvorstellbar. Aber. Das Gegenteil von Herrschen. Wortlos führt diese Suche an den Ursprung des Gesellschaftlichen zurück. In die Familie. Nicht beherrschen, sondern pflegen. Sorgen. Hegen. Verpflegen. Pflicht dem Leben gegenüber. Wachsen und Werden fördern. Lieben und trauern. Die Kinder müssen schließlich erst geboren und versorgt werden, bevor sie beherrscht werden können. Oder herrschen. Selbst in grausamster schwarzer Kadettenpädagogik wie sie in Österreich seit der Aufklärung Tradition ist. Diese Pflege muss erfolgen und das Kind am Leben erhalten bleiben. Vor der Zeit der Herrschaft oder Beherrschtheit muss eine Zeit der Pflege eingeschoben werden. Aber. Auch diese Tatsache ist von all den vielen Herrschaftsformen durch die Zeiten zu Natur erklärt worden, um die Frauen in diese Natur weggesperrt zu halten. Und darin. Patriarchat und Herrschaft üben in Gleichbedeutung der Bezeichnung jene Macht über das Leben selbst aus, die in den Herrschaftsformen organisiert selbst wiederum als natürlich wahrgenommen werden soll. Herrschaft bedeutet die Macht über Leben und Tod.
»I don’t belong here.
I don’t belong there.
I’ve even stopped believing in prayer.«
Das Wort Herrschaft enthält schon das ganze Dilemma. Wenn eine Frau herrschen will, dann muss sie das unter dieser männlichen Bezeichnung tun.
Wie in allen Fragen der geltenden Kanons wird sie alles so erlernen müssen, dass ihre Handlungen die Bedeutung der vorgegebenen Bezeichnung erfüllen. Sie wird alles Männliche nachgelernt haben, um sich in die geltenden Bedeutungen einbringen zu können. Sie wird kanonische Männlichkeit erworben haben, um in der Welt, so wie sie ist, überhaupt sichtbar werden zu können. Die Frau wird in den Fremdsprachen des männlichen Kanons erzogen, keinen Ausdruck für ihre besondere Situation finden können, bevor sie nicht am Ende des Kanonischen angekommen, feststellen muss, dass sie nicht wissen kann, wie sie selbst sprechen wollte. Ja. Dass sie nicht einmal ein solches Wollen in Sprache fassen könnte. Ja. Sie wird feststellen, dass sie in den kanonisch erlaubten Sprachen jene Angst davor mitgelernt hat, diese Sprachen zu verlassen und in einer eigenen Sprache sprechen zu wollen. Die Frau wird die systemische Gefangenschaft des Kanons erlernen müssen. Die Frau wird erkennen müssen, dass die kanonischen Sprachen der Herrschaft ihr Verlassen mit Katatonie rächen. Eine Katatonie ist das, die die Beherrschten im Sprechen der Sprache der Herrschaft erlernt haben und die sie gegen sich selbst ausüben müssen. Mittlerweile. Früher. Die Festungshaft gegen die Revolutionäre, die sich der Sprache der Herrschaft entwinden hatten wollen, ist ja die induzierte Katatonie der Bewegungslosigkeit in der Inhaftierung. Heute. Neoliberalerweise. Es ist jede Person. Es ist jede Frau angewiesen, sich selbst für solche Überschreitungen zu bestrafen. Die Herrschaft ist in die Person eingewandert. Die alten Geschlechterhierarchien sind mitenthalten. Die alten Geschlechterhierarchien werden aus unserer Kultur mitgeliefert. Während die Gesetze demokratisch angeordnet sind, hat sich die Herrschaft in der Kultur erhalten. Weiterhin ist der Kosmos der Pflege im Wort Privatsache zusammengefasst ausgeschlossen. Die Frauen werden gar nicht mehr explizit gemeint. Mittlerweile ist es der Kosmos der Pflege, der von der Herrschaft in Ohnmacht gehalten wird. Ein Vorgang ist das, der die so Beherrschten krank macht und schwächt, während er die Herrschenden mit Bedeutung aufpumpt.
»Yes you lied to me all these years.
You told me to wash and clean my ears.
And talk real fine like a lady.
And you’d stop calling me Sister Sadie.«
Nun gibt es diesen Kosmos der Pflege, in dem das stattfindet, was nicht Herrschaft ist. Das ist der Kosmos, in dem das Leben beginnt. In dem das Leben erhalten wird. Gefördert. Verpflegt. Dieser Kosmos unterliegt als abgeschlossener Bereich insgesamt aber auch in Teilen der Herrschaft. Ein Abhängigkeitsverhältnis wurde begründet. Es ginge dieser Kosmos und seine Einpassung in die Gesellschaft auch anders zu organisieren. Es könnte die Gesellschaft insgesamt in unentfremdeterer Form den Kosmos der Pflege zum Ort des Gesellschaftlichen machen und alle Ungerechtigkeit des Ausschlusses dieses Kosmos aus dem gesellschaftlich Bedeutungsvollen so beenden. Aber. Historisch vererbt liegt ein Abhängigkeitsverhältnis vor und tritt uns als die vielen kulturellen Formen des Gesellschaftlichen entgegen. In keiner Weise ausgeglichen, sind die Grundformen des Natürlichen vollkommen beseitigt und die Körper in die Biopolitiken der verschiedenen kulturellen Formen eingegliedert. Imgrund wird in diesen kulturellen Formen darüber entschieden, wie der jeweilige Kosmos der Pflege in die Politiken eingeordnet wird.
»Oh but this whole country is full of lies.
You’re all gonna die and die like flies.«
Die Abhängigkeit des Kosmos der Pflege von der jeweiligen Herrschaft lässt sich in der Valenz der Angst messen. Angst ist das Medium der Herrschaft. Angst ist das Medium des Herrschens. Die Valenz der Angst beschreibt dann die jeweilige Entfernung der Herrschaft vom Ausgleich in den ursprünglichen Vereinbarungen gesellschaftlicher Zusammenschlüsse. Übernimmt die Herrschaft die Aufgaben, die die Beherrschten in dem Vertrag über die Herrschaft den Herrschenden übertragen haben oder müssen die Herrschenden Angst einsetzen, um ihre Verstöße gegen diese Vereinbarungen durchsetzen zu können.
»I don’t trust you any more.«
Der Kosmos der Pflege. In Österreich wurde 1811 im Bürgerlichen Gesetzbuch dieser Kosmos unter die Herrschaft des einzelnen Mannes gestellt. Das geschah als Gegengeschäft für den Erhalt der Herrschaft von Kirche und Monarchie über den Mann. Dieses Gegengeschäft war schon in Frankreich zur Ruhigstellung des postrevolutionären Bürgers abgeschlossen worden. Der postrevolutionäre Bürger erhielt in der Hausvaterschaft die Herrschaft über Familie und Gesinde. Dafür sollte er im Staat stillhalten und seine Emanzipation vergessen. So wurde jeder verheiratete Mann zum Herrscher und jede verheiratete Frau zur Beherrschten. Und. Selbst der friedlichste und freundlichste Mann. Bis heute bleibt er Kriegsgewinnler aus dieser brutalen Konstellation. Denn. Die Hausvaterschaft mag aus Recht und Repräsentation des Öffentlichen verschwunden sein. Kulturell hat die zweite Frauenbewegung nur zu einer Geschlechterpolitik der Verstellung