Herrschaft der Angst. Imad Mustafa

Herrschaft der Angst - Imad Mustafa


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sind, desto größer ist auch das Risiko von Revolten und Aufständen. Deshalb sind auch die Herrschenden tendenziell in ihrer Sicherheit bedroht, was sie wiederum dazu veranlassen kann, zu noch härteren Unterdrückungsmethoden zu greifen. Selbst in liberaldemokratisch verfassten Staaten bleibt dieser Widerspruch bis zu einem gewissen Grad wirksam. Angst ist daher auch hier den Herrschenden nicht fremd.

      Die Furcht davor, Verantwortung für die Folgen der Pandemie übernehmen zu müssen, hat oft zu überstürzten und recht planlos eingesetzten Maßnahmen geführt. Eine sachgerechte Strategie war kaum zu erkennen. Das gilt zum Beispiel für einen vorausschauenden Schutz besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen – Alte, durch Krankheit vorbelastete oder in Sammelunterkünften Lebende – beziehungsweise für den zügigen Ausbau von Behandlungskapazitäten, was selbst nach dem ersten Lockdown monatelang versäumt wurde. Stattdessen wurden unspezifische Restriktionen für alle angeordnet. Sie hatten nicht zuletzt den Zweck, Handlungskompetenz vorzutäuschen. In Wirklichkeit also eine Inkompetenz, die ebenfalls aus Angst gespeist wurde und weitere Ängste erzeugte. Ein weiteres Beispiel ist das Chaos bei der Versorgung mit Impfstoffen, das nicht nur durch den Mangel an vorausschauender Planung, sondern auch durch die Rücksichtnahme auf die Profitinteressen der Pharmakonzerne erklärbar ist. Auf eine Beschränkung von Patentrechten, etwa durch die Ermöglichung von Zwangslizenzen für Generikahersteller, wurde verzichtet. Auch dies ist ein Hinweis auf die Grenzen staatlicher Macht und damit die Grenzen der Demokratie unter kapitalistischen Bedingungen.

      Interessant ist, dass in der COVID-19-Krise tatsächlich so etwas wie die Hobbes’sche Situation entstanden ist: Die unmittelbare Furcht vor dem Tod begründet und rechtfertigt den Verzicht auf Freiheitsrechte und die weitgehende Ermächtigung des staatlichen Leviathans. Der Schutz des Lebens bekommt Vorrang vor allen Rechten, auch denen, die für ein würdiges Leben grundlegend sind. Und da das Virus sich über menschliche Träger verbreitet, werden alle anderen zum potenziellen Existenzrisiko, der Mensch also zum Menschen Feind. Dass die Natur auf diese Weise zurückschlägt, ist eine Entwicklung, die in Zukunft verstärkte Bedeutung erhalten wird, nicht nur in Form drohender neuer Pandemien, sondern auch des menschengemachten Klimawandels. Gerade dieser wird aller Voraussicht nach weitere erhebliche Einschränkungen nach sich ziehen.

      Der Medizin kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, wie sich aktuell an der prominenten Rolle von Ärzten und Virologen in den herrschenden Machtdiskursen zeigt. Hier verbinden und verknüpfen sich unterschiedliche Machtstrategien.

      In Bezug auf die heutige Situation waren diese Gedanken außerordentlich vorausschauend. Und dabei verbinden und verstärken sich unterschiedliche Machtbeziehungen, so etwa staatlich organisierte Überwachung und Kontrolle mit der Beobachtung und gegebenenfalls auch Denunziation von Nachbarn und Bekannten bei wahrgenommenen Regelverletzungen.

      Die staatlichen Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung beschleunigen im Übrigen eine Entwicklung, die sich schon länger als Folge der neoliberalen Reorganisation des Kapitalismus nach der Krise der 1970er-Jahre des letzten Jahrhunderts abzeichnete. Sie ist gekennzeichnet durch eine wachsende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, Verarmung, nicht zuletzt auch eine zunehmende Existenzbedrohung weiter Teile der Mittelschichten, gesellschaftliche Spaltungen und damit verbunden eine um sich greifende Perspektivlosigkeit. Nicht zuletzt daher rühren die immer deutlicher zum Vorschein tretende Krise der liberalen Demokratie und der darin zum Ausdruck kommende Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien. Die damit sich abzeichnende Tendenz zu autoritäreren


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