Herrschaft der Angst. Imad Mustafa

Herrschaft der Angst - Imad Mustafa


Скачать книгу
in den Bundestag eingeschleust und am Tag der Abstimmung mit Schildern auf die Bildschirme gebracht. Daraufhin war es ganz aus – mit einer ruhigen Betrachtung. Jetzt ging es nicht mehr um den Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1933, sondern um die AfD. Plötzlich waren alle Antifaschist*innen.

      Selbstverständlich ist es heuchlerisch, wenn sich die AfD zur Schutzpatronin der Rechtlosen aufschwingt. Darüber kann und muss man sich aufregen, kurz, um genug Luft für die Frage zu holen: Warum lässt sich die Linke den Kampf um Grund- und Schutzrechte aus der Hand nehmen? Warum führt sie nicht die Debatten, den Widerspruch an? Dazu gehören auch Vergleiche. Erst dann kann man erklären und begründen, was an diesem Vergleich unangemessen ist, was an einem Vergleich erkenntnisreich ist, um endlich die Sprachlosigkeit zu beenden, die die Linke zurzeit auszeichnet.

      Ausnahmegesetze haben eine gemeinsame Signatur

      Ausnahmezustände sind in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht neu. Trotz recht unterschiedlicher Anlässe haben sie eine gemeinsame Handschrift und helfen wilde Spekulationen darüber einzudämmen, was alles davon bleibt, selbst wenn sich niemand mehr an den eigentlichen Anlass erinnert.

      Wir werden in der Folge sehen, dass alle Anlässe zu der jeweiligen Zeit sehr viele Menschen in Angst und Schrecken versetzen konnten. Je mehr Menschen diesen Angstzustand teilen, je eher sind sie bereit, die zu ihrem angeblichen Schutz notwendigen Maßnahmen zu akzeptieren. In der jeweiligen von Angst geprägten Situation ist es immer schwer, kühlen Kopf zu bewahren, ganz ruhig und umsichtig die Frage zu beantworten, ob die Maßnahmen »angemessen« sind, ob das Versprechen, uns zu helfen, zu beschützen, gehalten oder gebrochen wurde.

      Es ist daher hilfreich, wenn man auf die verschiedenen Ausnahmezustände zurückblickt. In der Regel hat man retroperspektiv weitaus mehr Informationen darüber, was einem im Zustand des Schreckens verborgen geblieben ist. Und ein Zweites ist ganz wichtig: Rückblickend kann man sehr sicher sagen und beurteilen, ob die Maßnahmen tatsächlich der Gefahrenlage galten oder ob diese vor allem dazu genutzt wurden, bestimmte Ziele zu verfolgen, die mit dem Anlass nichts zu tun hatten.

      Für die Einschätzung, wohin Ausnahmezustände führen (können), ist keine Fantasie gefragt. Auch Zukunftsforscher sind hier überflüssig. Ein Blick zurück genügt: Die Weimarer Republik (1918−1933) kann man mit Fug und Recht als Kornkammer von Not(stands-)verordnungen bezeichnen. Dort lässt sich in allen Nuancen und Facetten studieren, worauf sie zusteuern: Ausnahmezustände schützen nicht die Demokratie, sondern ebnen den Weg dafür, sie ganz »legal« abzuschaffen.

      Anhand der zahlreichen Ausnahmezustände, die auch Nachkriegsdeutschland prägten und prägen, lassen sich ganz wichtige Frage klären:

      Sind die Anlässe, die eine Bedrohungslage skizzieren, echt? Braucht man für die Bedrohungslage solche Ausnahmezustände?

      Zielen die Maßnahmen, die im Ausnahmezustand getroffen wurden, auf den Anlass oder was geht weit darüber hinaus?

      Wem nutzen die Ausnahmezustände? Liegt der Nutzen (alleine) in der Hand derer, die ihn verhängen?

      Ausnahmezustände zeichnen sich durch bestimmte Merkmale aus

      Ein außergewöhnlicher, schrecklicher Anlass begründet die außergewöhnlichen Maßnahmen. Im Kern geht es immer um die Außerkraftsetzung von Grundrechten, um diese zu »schützen«.

      Die Vorläufigkeit wird immer betont. Die außerordentlichen Befugnisse würden einzig und alleine der Beseitigung der Gefahr dienen. Die Grund- und Freiheitsrechte, so heißt es, ruhen nur, sie werden nicht suspendiert.

      Alle Beschützer versprechen dieselbe Therapie: Je mehr Macht sie in der Hand halten und durch Sonderbefugnisse erlangen, je weniger Macht die zu Beschützenden haben, desto mehr geschieht dies zum Wohl der Schutzbedürftigen.

      Es gab und gibt Ausnahmezustände, die in das Leben aller eingriffen bzw. eingreifen: Das gilt für das Republikschutzgesetz (1922), für das Ermächtigungsgesetz (1933) und genauso für das Infektionsschutzgesetz (2020).

      Anders sieht es bei den Antiterrorgesetzen in den 1970er-Jahren und in Folge von 9/11 aus: Im ersten Fall waren meist nur Linke betroffen oder jene, die man für Sympathisanten hielt. Der Kreis der Betroffenen war also überschaubar. Wer kein Linker war, hatte im Normalfall nichts zu befürchten, hat kaum etwas bemerkt. An dessen Alltag änderte sich nicht viel.

      Das Infektionsschutzgesetz 2020 hingegen ist in vielerlei Hinsicht besonders: Es hat ein Ziel, das alle vorbehaltlos begrüßen: den Schutz unserer Gesundheit, unseres Lebens, ein geradezu rührendes Anliegen. Und es trifft nicht eine bestimmte, eingrenzbare Gruppe, sondern die ganze Bevölkerung, alle, auch wenn die Einschränkungen und Verbote auf sehr unterschiedliche Lebenswirklichkeiten stoßen.

      Die Weimarer Verfassung und der Krieg der Regierungen gegen sie

      Die Weimarer Verfassung von 1919 war nicht nur dem verlorenen Ersten Weltkrieg geschuldet. Sie wurde auch unter dem Eindruck verfasst, dass viele nicht nur des Krieges, sondern auch der obrigkeitshörigen, kaiserlichen Ordnung überdrüssig waren. Der Versuch, eine Räterepublik 1918/19 durchzusetzen, war der politischen Klasse durchaus eine Warnung. Das führte zu einer bürgerlichen Verfassung, die Grund- und Freiheitsrechte festschrieb und garantierte, die man vorher nicht kannte.

      Dass deutschnationale und bürgerliche Parteien sozialistische Ideen oder gar eine kommunistische Partei bekämpften, gehörte zum Grundton dieser politischen Klasse, die »nur« den Krieg verloren hatte, nicht jedoch die Macht. Doch sie hatte noch einen Feind, einen Feind unter ihren Füßen – wenn man das Bild »Wir stehen auf dem Boden der Verfassung« ernst nähme. Jene, die im Namen der Verfassung weiter die Geschicke des Landes lenken und führen wollten, hassten diese Verfassung genauso wie den Kommunismus. Sie taten von Anfang an alles, um sie auszuhöhlen, um sie unwirksam zu machen.

      Man kann mit Fug und Recht sagen, dass die Einhaltung dieser Verfassung allen deutschnationalen bis bürgerlichen Parteien ein Gräuel war, eine Zumutung. Wenn man die kurze Zeit der Weimarer Republik Revue passieren lässt, dann bestand sie aus einer Kette von Unternehmungen, um die Verfassung Stück für Stück außer Kraft zu setzen.

      Rudolf Hilferding, Publizist und zweimaliger Reichsminister der Finanzen, sah den »Staatsstreich von innen« bereits am 28. März 1930 in der Frankfurter Zeitung voraus: »Nimmt man hinzu, dass die Lähmung des Parlaments von sehr starken Gruppen direkt gewünscht und gefördert wird, so wird man verstehen, dass die eigentliche Gefahr für die Zukunft des deutschen Parlamentarismus nicht von außen, nicht von einem gewaltsamen Putsch her droht, sondern von innen her.«

      Diese Klarstellung ist deshalb so wichtig, weil bis heute die Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik lautet, sie sei zwischen Links- und Rechtsradikalismus zerrieben worden. Das ist das Hauptschlagwerkzeug der Totalitarismustheorie und nicht viel mehr als eine andere Form der Kriegsgräberfürsorge. Wer das Zusammenspiel von deutschnationalen und bürgerlichen Parteien mit der NSDAP hier dokumentiert sieht, der versteht, dass die Selbstaufgabe der bürgerlichen Demokratie bis heute ein totgeschwiegenes Faktum ist. Denn ohne deren aktive Beihilfe wäre die NSDAP nie so kinderleicht an die Macht geführt worden.

      Nicht der Links- und Rechtsextremismus hat die bürgerliche Demokratie unter sich begraben, sondern insbesondere das Instrument der Ermächtigungsgesetze, das die Weimarer Verfassung buchstäblich ins Koma versetzte.

      Verfassungstheoretisch haben Ermächtigungsgesetze klare Grenzen: Sie dürfen bestehendes Recht, die bestehende Verfassung nicht verletzen. Sie können Machtkompetenzen verschieben, in aller Regel zugunsten der Exekutive, also der Regierung (und zulasten des Parlaments), ohne dabei die verfassungsmäßigen Rechte anzutasten. Tatsächlich wurden jedoch Grundrechte massiv eingeschränkt bzw. suspendiert. Somit hatten sie »verfassungsändernden Charakter«, obgleich die Verfassung formal unangetastet blieb. Für Ernst Rudolf Huber, Verfassungsrechtler, Republikfeind und Schüler von Carl Schmitt, waren dies »verschwiegene Verfassungsumgehungen«.


Скачать книгу