Herrschaft der Angst. Imad Mustafa

Herrschaft der Angst - Imad Mustafa


Скачать книгу

      Man war bereits geübt. Zuerst schaltete man den gemeinsamen Feind aus, die KPD. Reichspräsident Paul von Hindenburg nutzte den erklärten Notstand und sprach ein Verbot der KPD aus und die NSDAP nutzte diesen staatlichen Flankenschutz für die Eskalation ihres Terrors gegen Linke.

      Ein weiteres Puzzle auf dem Weg zur legalen Etablierung der Diktatur der NSDAP waren die Reichstagswahlen vom 5. März 1933: Die Mischung aus Terror und Legalitätsschwüren hatte Erfolg: Die NSDAP kam mit einem Plus von 10,8 Prozent auf 43,9 Prozent und war damit stärkste Partei. Die SPD kam auf 18,3 und die KPD auf 12,3 Prozent der Stimmen.

      Dass nun die NSDAP an der Reihe war, den zweiten gemeinsamen Feind von bürgerlichen und faschistischen Kreisen auszuschalten, die Weimarer Verfassung, ergab sich von selbst. Alle hatten sich längst daran gewöhnt, dass die Weimarer Verfassung eigentlich kaum noch zählte:

      Der Politologe Ernst Fraenkel bezeichnete das Ermächtigungsgesetz als »eigentliche Verfassungsurkunde« für die Errichtung einer Diktatur. Mit ihr wurden Grundrechte außer Kraft gesetzt, so etwa die Freiheit der Person, die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Vereins- und Versammlungsfreiheit. Der Staat schränkte auch das Postgeheimnis sowie das Eigentumsrecht ein und verbot regimekritische Zeitungen.

      Was damit Gesetz werden sollte, entsprach einem Flächenbrand. Dagegen war der Reichstagsbrand ein Lagerfeuer. Aber auch das war kein Problem für die bürgerlichen Parteien. Die Absprachen waren getroffen, die Zustimmungen eingeholt.

      Notstand ohne Not – die Notstandsgesetze 1968

      Kaum war das »Dritte«, das »Tausendjährige Reich« vorzeitig zu Ende, dachten die bürgerlichen Parteien Nachkriegsdeutschlands daran, die verfassungsrechtlich garantierten Rechte zu suspendieren, wenn die Regierung in Not gerät – und dabei Schutzrechte nur eine Last sind.

      Es sei erwähnt, dass die bürgerlichen Parteien über die Notwendigkeit von Notstandsgesetzen diskutierten, als es nicht den Hauch einer Bedrohung gab, die nicht mit dem bestehenden Gewaltmonopol und den vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten hätte bewältigt werden können. Man dachte am Anfang der Beratungen gerade anders herum: Wenn alle mitmachen, ganz vom »Wirtschaftswunder« geblendet sind, dann interessieren sie sich nicht für Gesetze, die eine Rebellion niederschlagen sollen, an die die meisten nicht einmal im Traum denken.

      Mit einer deutlichen Zwei-Drittel-Mehrheit stimmten am 30. Mai 1968 die Abgeordneten für die Notstandsgesetze – also auch mit vielen Stimmen der SPD. Die Haltung der SPD, an der sich bis heute nichts geändert hat, brachte Willy Brandt auf den Punkt: »Der Sozialdemokrat bezeichnete die Notstandsgesetze als ›erforderliche Vorsorgegesetzgebung‹, bei der man nur über das ›Wie‹, nicht über das ›Ob‹ streiten könne.«

      Als die Kenntnis über die Absicht, Notstandsgesetze zu verabschieden, auch die 68er-Bewegung erreichte, war die Aufregung groß und einhellig. Es gab spannende und lehrreiche Debatten, was man davon zu halten hat und wie man sich dazu stellt, vor allem mit Blick auf das Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1933, das mit Zustimmung bürgerlicher Parteien den Nazis den Weg an die Macht geebnet hatte. Und es gab sehr große Proteste gegen die Notstandsgesetze. So fand in Bonn unter dem Motto »Treibt Bonn den Notstand aus!« eine Demonstration von über 40.000 Menschen statt. Dort sprach unter anderem Heinrich Böll: »Das Gesetz erscheint den meisten Bürgern dieses Staates als eine Art Verkehrsregelung bei Naturkatastrophen, während es in Wahrheit fast alle Vollmachten für eine fast totale Mobilmachung enthält.«

      Im Vorwort zur Broschüre »Gefahr im Verzuge« von Jürgen Seifert, die die Auseinandersetzung um Entwürfe über ein Notstandsgesetz vor über fünfzig Jahren darstellt, hält der damalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer fest:

      Der Entwurf für eine Notstandsverfassung sieht praktisch unlimitierte Einschränkungen einer Reihe


Скачать книгу