Herrschaft der Angst. Imad Mustafa

Herrschaft der Angst - Imad Mustafa


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soll?

      Hat die Linke nicht aus diesem Scheitern gelernt, dass es auch in einer Krise, welche auch immer, nicht gerecht zugeht, sondern die Ungerechtigkeiten eskalieren? Wäre nicht die – sehr bescheidene – Erkenntnis von Nutzen, dass es weder 2007 ff. noch 2020 ff. um »uns« geht, dass das Mantra von »Gemeinsam meistern wir die Krise« blanker Hohn ist?

      Es kommt einem Offenbarungseid der Linken gleich, wenn man sich für einen begründeten Widerspruch gegen diese Corona-Maßnahmen bei liberalen Journalisten und Staatsrechtlern umschauen muss – obwohl das eigentlich vonseiten der Linken kommen müsste.

      Im November 2020 schrieb u. a. Heribert Prantl einen Kommentar für die Süddeutsche Zeitung, in der er die »Verzwergung« und Selbstentmächtigung des Parlaments als »eine untergesetzliche Parallelrechtsordnung« kritisierte. Daran habe auch die am 18. November 2020 verabschiedete dritte Fassung nichts geändert: »Das dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung: verfassungswidrig – wie schon das erste und zweite.«

      Man muss daran erinnern: Der Kampf gegen die Notstandsgesetze gehört zur Gründungsgeschichte der Linken in Deutschland. Er hat nicht nur die APO auf den Plan gerufen, also die Notwendigkeit einer außerparlamentarischen Opposition, sondern die Linke hat auch die Erinnerung an die faschistische Machtergreifung 1933 hochgehalten, der mit den Ermächtigungsgesetzen ein »legaler« Weg zur Diktatur geebnet wurde.

      Wenn man auf die hier besprochenen Ausnahmegesetze und Notverordnungen zurückblickt, dann richtet sich – hoffentlich – das Augenmerk auf das, was sie angerichtet haben, was davon (zum Teil bis heute) geblieben ist, obwohl sich kaum noch jemand an den Anlass erinnert.

      Dennoch hat es ein Ausnahmegesetz, das Ermächtigungsgesetz von 1933, ins Jetztbewusstsein geschafft. Auf einigen Querdenkerdemonstrationen wurde auf dieses Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1933 verwiesen. Ob man damit das 3. Infektionsschutzgesetz 2020 gleichsetzen wollte, kann hier nebensächlich bleiben.

      Tatsächlich sind es vor allem die Assoziationen, die damit geweckt und ganz schnell zu Ende gedacht werden. Sind wir schon nahe an 1933? Was ist damit gemeint, was wird mit diesem Vergleich nahegelegt? Man denkt natürlich sofort an die Machtübernahme der Nazis, der NSDAP, also an so etwas wie ein Viertes Reich.

      Als die AfD bei der Verabschiedung des 3. Infektionsschutzgesetzes im Bundestag am 18. November 2020 Schilder mit dem Verweis auf das Ermächtigungsgesetz 1933 hochhielt, war die Empörung von rechts bis links staatstragend groß. Dass die AfD nichts gegen eine Diktatur hat, aber ganz viel, wenn sie nicht von ihr angeführt wird, versteht sich (fast) von selbst. Das macht eine eigene Stellungnahme nicht überflüssig, sondern notwendig!

      Genau diese blieb aus. Fast können man sagen, dass den Staatstragenden die AfD wie gerufen kam! Wenn ausgerechnet die AfD vor einem Ermächtigungsgesetz à la 1933 warnt, dann müssen die sich in einer Art unüberlegtem Reflex vor die Bundesregierung stellen. Nein. Denn wenn eine Linke die AfD braucht, um sich nicht mit Ausnahmezuständen auseinanderzusetzen, dann gibt sie ein zentrales Anliegen auf: Den Kampf um Schutz- und Freiheitsrechte gegenüber dem Staat.

      Ich kenne keine Diskussion, auch nicht in der Linken, die die verschiedenen Ausnahmezustände verglichen hat und schon gar nicht, welche »legalen Brücken« in der deutschen Geschichte erst zur Demontage von Grundrechten, zu einer, wie Heribert Prantl schreibt, »untergesetzlichen Parallelrechtsordnung« geführt hatten, was dann in eine Diktatur mündete.

      Stattdessen versucht man mit Pathos und Opfer-Verehrung zuzudecken, dass man sich unterhalb dessen bewegt, was ein liberaler Jurist und Journalist der Süddeutschen Zeitung konstatierte.

      Das ist kein Gesetz, das in die Diktatur führt. Punkt. Woher weiß er das? Warum ist er sich da so sicher? Warum erklärt er uns nicht seine Vorausschau? Kann man mit Corona nicht ähnlich viel erklären und rechtfertigen wie mit der Angst vor den Kommunisten?

      Wenn man auf frühere Ausnahmezustände oder Notverordnungen verweist, dann geht es überhaupt nicht darum, die gesellschaftlichen Umstände außer Acht zu lassen, in denen sie jeweils wirkten. Es geht hier also nicht darum, dass sich ein 1933 wiederholt. Niemals wiederholen sich solch epochalen Ereignisse auf dieselbe Weise. Aber es gibt Lehren, die eine Linke daraus ziehen kann. Dazu gehört die Einsicht, dass durch Anpassung Schlimmeres nicht vermieden wird. Sebastian Haffner hat dies im Rückblick auf das selbst miterlebte 1933 so formuliert:

      Keine Frage: es gibt heute wenig Grund zur Annahme, dass wir auf eine klassische Diktatur zulaufen. Welcher Widerstand, welche Proteste sollten niedergeschlagen werden, für die man eine Diktatur brauchen würde? Allerdings: Brauchen wir erst die Gewissheit, die Zusicherung für eine Diktatur, damit wir etwas gegen Einschränkungen, gegen die Suspendierung von Grundrechten unternehmen? Ändert sich etwas an der Gefahr, dass sich aus einer »untergesetzlichen Parallelrechtsordnung« etwas entwickeln kann, wovon wir heute nicht die blasseste Ahnung haben?

      Ist es nicht genug, der trüben Gegenwart etwas entgegenzusetzen, anstatt sie mit Aussicht auf eine grauenvolle Zukunft hinzunehmen?

      Ein Ausnahmegesetz, eine Notverordnung gehen immer damit einher, dass das Parlament die legislative Macht an die Regierung, an die Exekutive abgibt. Mit dem aktuellen Infektionsschutzgesetz ist die Regierung de facto Exekutive und Legislative zugleich, was zu einer Machtanhäufung führt, die man gerade angesichts schlechter Erfahrungen verhindern sollte. Manche werden einwenden, dass sich die Gewaltenteilung (Exekutive/Legislative/Judikative) seit Längerem in einem miserablen Zustand befindet, dass jetzt nur etwas vollzogen wird, was bereits ohne Sondergesetze gilt. Das Parlament sei ein Nick-Parlament geworden. Genau diese Haltung war bereits in den 1920er- und 1930er-Jahren sehr en vogue und hatte dazu geführt, dass man selbst dann zustimmte, als es um die eigene Exekution ging.

      Es gäbe aber auch eine andere Antwort auf den schleichenden Bedeutungsverlust des Parlaments, als Ort der Debatte, als Ort der Rede und Gegenrede. Man könnte sich für Bürger*innenforen einsetzen, die finanziell und institutionell abgesichert sind und genau das tun, was einer Entscheidung vorausgehen sollte: Meinungen, Gegenmeinungen, These und Antithese zu Wort kommen lassen, also das Gegenteil vom dem, was heute weitgehend gemacht wird. Die Corona-Zeiten machen genau diesen Mangel sichtbar. Irgendwo werden weitreichende Entscheidungen getroffen und ein weitgehend geschlossener Kreis promotet sie. Wer sich dagegenstellt, wird mit Missachtung und Denunziation kaltgestellt. Dass man solche Scheindiskussionen nicht noch einmal im Parlament wiederholen möchte, ist verständlich.

      Dass das 3. Infektionsschutzgesetz gewaltige Grundrechtseinschränkungen ermöglicht, die auf bisher nicht dagewesene Weise das Leben im Privatbereich organisiert und sanktioniert, ist unbestritten. Bis in die Linke hinein wird das – dem hehren Zweck zuliebe – hingenommen. Vor allem die Linke betont überall ihre Solidarität (damit). Genau diese Solidarität soll dem Egoismus, dem drangsalierten Ich und dem neoliberalen Freiheitsgeschwätz entgegengehalten werden.

      Diese (auf-)gerufene Solidarität ist nicht nur schal.


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