Freundschaft in den Texten und Kontexten des Neuen Testaments. Michael Schneider

Freundschaft in den Texten und Kontexten des Neuen Testaments - Michael Schneider


Скачать книгу
Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die Auszeichnung als besonders enge Freundschaften geht. Aber auch hier unterbleibt die Diskussion des Abtraktums ‚Verwandtschaft‘. Wenn der Sache nach Freundschaft thematisiert wird, wird die Geschichte einzelner Freundesbeziehungen narrativ entfaltet: Zweier-Freundschaften wie zwischen David und Jonathan im 1. Samuelbuch oder Rut und Noomi im Buch Rut sowie die Freundschaft kleiner Gruppen, etwa bei Hiob und seinen Freunden in der Rahmenerzählung des Hiob-Buchs oder Daniel und seinen Freuden im Daniel-Buch.

      Während das Griechische ἔρως und φιλία sprachlich wie systematisch trennen und noch einmal jeweils differenzieren kann, begegnen in hebräischen Texten Formen von אָהַב für sexuelle und freundschaftliche Liebesbeziehungen. So wird etwa die im Hohelied angesprochene Geliebte in Hhld 1,9 als רֵעַ (LXX: πλησίον) bezeichnet, also mit dem Begriff, der klassischerweise auch den Freund bzw. Nächsten bezeichnet. Zugleich wird durch den Wortgebrauch deutlich, dass Freundschaft und Liebe in gewisser Weise auf einer Stufe stehen und beide als „intensive, personale Liebe“2 verstanden werden. Für den φίλος wie ihn die griechische Literatur beschreibt, fehlt jedoch das klare hebräische Äquivalent; vielmehr begegnen verschiedene Begriffe, die Aspekte der Freundschaft in bestimmten Kontexten bezeichnen können.3

      Zu diesen Kontexten gehört auch der Bereich der Politik: Freundschaften begegnen der Sache nach auch bei der Bezeichnung politischer Ämter bzw. politischer Beziehungen.4 Genausowenig wie die Abstrakta ‚Liebe‘ und ‚Freundschaft‘ im Alten Testament in einer der griechischen Welt vergleichbaren Weise entfaltet werden, wird aber der Topos der ‚politischen Freundschaft‘ als solcher reflektiert. Die alttestamentlichen Texte entfalten vielmehr narrativ bestimmte Freundschaftstopoi, die durchaus Parallelen etwa zu den oben dargestellten Überlegungen des Aristoteles aufweisen. Der Aspekt der Gleichheit wurde bereits mit Blick auf Dtn 13 erwähnt. Häufig begegnet in den alttestamentlichen Texten eine theologische Qualifizierung des Freundschaftsdiskurses, am offensichtlichsten vielleicht in der Zusage der Freundschaft durch Rut (Rut 1,16): Dein Gott ist mein Gott. Unter dem Einfluss griechischer Texte formulieren spätere weisheitliche Schriften wie Jesus Sirach dann noch expliziter den Zusammenhang zwischen Gottesfurcht und Freundschaft:

      φίλος πιστὸς φάρμακον ζωῆς, καὶ οἱ φοβούμενοι κύριον εὑρήσουσιν αὐτόν. ὁ φοβούμενος κύριον εὐθυνεῖ φιλίαν αὐτοῦ, ὅτι κατ᾽ αὐτὸν οὕτως καὶ ὁ πλησίον αὐτοῦ.

      Ein treuer Freund ist ein Trost im Leben; wer Gott fürchtet, der bekommt einen solchen Freund. Denn wer Gott fürchtet, der wird auch gute Freundschaft halten; und sein Nächster wird so werden, wie er selbst ist.

       (Sir 6,16f.)

      Eine gewisse Parallele zur griechischen Vorstellung der Freundschaft unter den Tugendhaften ist die besonders deutlich im Psalter (z.B. Ps 26,4f.) auftretende Gegenüberstellung zwischen ‚Gerechten‘ und ‚Gottlosen/Frevlern‘. Als anzustrebendes Ziel wird die Gemeinschaft unter den Gerechten genannt. Bei einigen der o.g. Freundschaften, explizit bei Rut/Noomi und David/Jonathan, wird die Bedeutung der dauerhaften, lebenslangen, auch den Tod überdauernden Gemeinschaft betont. Doch auch wenn es in diesen Aspekten – Gleichheit, Gemeinschaft, gerechtes/tugendhaftes Leben – Übereinstimmungen gibt, kann das griechische Freundschaftsethos für die Vielfalt der alttestamentlichen Zeugnisse nicht einfach als Voraussetzung angenommen werden.5 Die Texte des Alten Testaments entwickeln vielmehr ein eigenes System sozialer Beziehungen, das in der späteren Zeit zunehmend in intertextuellen Bezügen zu griechischen Texten steht.

      An zwei exponierten Stellen im Alten Testament sowie häufiger in zwischentestamentlichen Texten begegnet der besondere Topos der Gottesfreundschaft.6 In Ex 33,11 wird wiederum der Begriff רֵעַ verwendet, hier zur Beschreibung einer Begegnung Gottes mit dem Menschen Mose:

      καὶ ἐλάλησεν κύριος πρὸς Μωυσῆν ἐνώπιος ἐνωπίῳ, ὡς εἴ τις λαλήσει πρὸς τὸν ἑαυτοῦ φίλον.

      Der HERR aber redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet.

      Stärker von der hebräischen Semantik ausgehend übersetzt die Einheitsübersetzung hier wie Menschen miteinander reden und vermeidet damit die Vorstellung einer ‚Freundschaft mit Gott‘, ohne gleichwohl die Vorstellung einer Kommunikation zwischen Mose und Gott auf einer Ebene aufzugeben.

      Über die Vulgata-Fassung von 2Chr 20,7 (Abraham amici tui) wird auch Abraham als ‚Freund Gottes‘ bezeichnet. Im Blick scheint aber sowohl bei Mose als auch bei Abraham nicht die klassisch griechische Freundschaftstopik zu sein, sondern vielmehr das besondere Offenbarungsgeschehen, das diesen beiden Figuren zuteilwird: Gott wendet sich ausgewählten Menschen in der Offenbarung so zu, dass in gewisser Hinsicht von ‚Kommunikation auf Augenhöhe‘ gesprochen werden kann.

      Beeinflusst vom griechischen Denken entwickelt das Weisheits-Buch v.a. im 7. Kapitel die Vorstellung der Gottesfreundschaft ermöglichenden Weisheit (Weish 7,14.27):

      ὃν οἱ κτησάμενοι πρὸς θεὸν ἐστείλαντο φιλίαν διὰ τὰς ἐκ παιδείας δωρεὰς συσταθέντες.

      die ihn erwarben, erlangten Gottes Freundschaft, weil die Gaben sie empfahlen, die die Unterweisung verleiht.

      ἐν αὑτῇ τὰ πάντα καινίζει καὶ κατὰ γενεὰς εἰς ψυχὰς ὁσίας μεταβαίνουσα φίλους θεοῦ καὶ προφήτας κατασκευάζει·

      Und obwohl sie bei sich selbst bleibt, erneuert sie das All, und von Geschlecht zu Geschlecht geht sie in heilige Seelen ein und macht sie zu Freunden Gottes und zu Propheten.

      In diesem späten alttestamentlichen Text wird über die Figur der Weisheit die Bezeichnung ‚Gottesfreund‘, die bislang höchstens den besonderen Personen Mose und Abraham zuteilwurde, auf alle Weisheit Besitzenden bzw. Weissagenden/Propheten übertragen. Zugleich wird damit die Figur des Propheten in einem für den griechischen Kontext anschlussfähigen Konzept als weiser Gottesfreund übersetzt.

      2 Freundschaft im Neuen Testament

      2.1 Überblick und Einführung

      In der Theologie insgesamt und auch in der neutestamentlichen Exegese wird das Thema Freundschaft eher am Rande betrachtet.1 Wie schon im Alten Testament sind Verwandtschaftsbeziehungen – man denke nur an Gott, den Vater oder die Brüder und Schwestern innerhalb der Gemeinde – und die Rede vom ‚Nächsten‘ die weitaus gebräuchlichere Terminologie. Hinzukommt, dass im Neuen Testament von den verschiedenen im griechischen Sprachgebrauch üblichen Konzepten für liebende Beziehungen die ἀγάπη bzw. die Derivate von ἀγαπᾶν die absolut dominierenden sind. Gegenüber dem eher eingeschränkten semantischen Spektrum von ἔρως und dem umfangreichen Diskurs über die φιλία war der Begriff der Begriff ἀγάπη in gewissem Sinn ‚neutraler‘ und konnte mit neuen, spezifischen Inhalten gefüllt werden. Dabei konnten sowohl zwischenmenschliche Beziehungen als auch die Beziehung zu Gott beschrieben werden.

      Anders als die genannten Texte aus dem griechischen und lateinischen Sprachraum, die über die φιλία bzw. die amicitia ganze Abhandlungen verfassen, begegnet der Ausdruck Freundschaft im Neuen Testament nur an einer Stelle (Jak 4,4). In dieser geht es zudem nicht um die philosophische Diskussion dieses Begriffs. Eine Bestimmung ergibt sich höchsten indirekt, da φιλία und ἔχθρα bzw. φίλος und ἐχθρός als Gegensatzpaare verwendet werden. Gegenübergestellt werden allerdings primär die Begriffe κόσμος und θεός:

      μοιχαλίδες,


Скачать книгу