Freundschaft in den Texten und Kontexten des Neuen Testaments. Michael Schneider

Freundschaft in den Texten und Kontexten des Neuen Testaments - Michael Schneider


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Schriften, wenn er von der Erweiterung dieses Konzepts spricht:

      „In classical Christianity, then, the expression ‚friend of God‘ has had two meanings. First, it was used in a narrow, exclusive sense. […] But at the same time, a broad, inclusive formulation has always been there too; that is, that through Christ’s friendship, all Christians have become friends of God.“2

      Während φιλία explizit nur im Jakobusbrief genannt ist, begegnet φίλος neben dem Jakobusbrief an einigen Stellen im lukanischen Doppelwerk, im Johannesevangelium und den Johannesbriefen.3

      John T. Fitzgerald,4 Luke Timothy Johnson,5 Thomas Söding6 und Ekkehard W. Stegemann7 haben in ihren Untersuchungen mit je unterschiedlichen Perspektiven instruktive Überblicke über die Relevanz des Konzepts der Freundschaft im Neuen Testament gegeben. Insbesondere Johnson macht darauf aufmerksam, dass die relativ sparsame Verwendung der Begriffe φιλία und φίλος nicht bedeuten muss, dass die entsprechenden Konzepte – sei es mit neuer Profilierung oder mit Rückgriff auf die erwähnten griechischen und lateinischen Quellen – wenig relevant waren:

      „[…] the presence of common conceptions about friendship shows that friendship is a pervasive theme in the New Testament even when the term itself is not used. The themes commonly associated with friendship occur so frequently that ancient readers or hearers would have understood them within that context.“8

      Das Konstatieren einer generellen expliziten oder impliziten Präsenz der Freundschaftsethik bzw. Freundschaftstopik in den neutestamentlichen Schriften lässt die jeweilige Relevanz in einzelnen Texten noch offen. Diese Beurteilung bleibt dem Blick in einzelne Schriften vorbehalten; dabei ist jeweils zu entscheiden, ob griechische Konzeptionen der φιλία vorausgesetzt, weiterentwickelt, theologisch profiliert oder kritisiert und verworfen werden. Die folgenden zwei exegetischen Skizzen greifen in diesem Sinne einzelne neutestamentliche Texte exemplarisch heraus und beleuchten das Thema ‚Freundschaft‘ vor dem intertextuellen Hintergrund griechischer, lateinischer und hebräischer Texte.

      2.2 Intertextuelle Skizzen zur Freundschaft

      2.2.1 Jesus und seine Freunde im Johannesevangelium

      Vielfach wird das Johannesevangelium als der Text genannt, der im neutestamentlichen Kanon am explizitesten und zudem in affirmativer Weise auf den griechischen φιλία-Diskurs Bezug nimmt.1 Das Johannesevangelium bezeichnet etwa in der Rede seiner Schwester Lazarus als den, der mit Jesus persönlich befreundet ist (κύριε, ἴδε ὃν φιλεῖς ἀσθενεῖ. Joh 11,3). Und auch Jesus selbst bezeichnet ihn explizit als Freund (ὁ φίλος ἡμῶν Joh 11,11), so dass auch das ἠγάπα in Joh 11,5 als Ausdruck dieser Freundschaft gegenüber der ganzen Familie des Lazarus verstanden werden muss.

      Die christologisch bzw. theologisch zentralen Aspekte der Freundschaftsthematik finden sich aber in Joh 15,12–17:

      Αὕτη ἐστὶν ἡ ἐντολὴ ἡ ἐμή, ἵνα ἀγαπᾶτε ἀλλήλους καθὼς ἠγάπησα ὑμᾶς. μείζονα ταύτης ἀγάπην οὐδεὶς ἔχει, ἵνα τις τὴν ψυχὴν αὐτοῦ θῇ ὑπὲρ τῶν φίλων αὐτοῦ. ὑμεῖς φίλοι μού ἐστε ἐὰν ποιῆτε ἃ ἐγὼ ἐντέλλομαι ὑμῖν. οὐκέτι λέγω ὑμᾶς δούλους, ὅτι ὁ δοῦλος οὐκ οἶδεν τί ποιεῖ αὐτοῦ ὁ κύριος· ὑμᾶς δὲ εἴρηκα φίλους, ὅτι πάντα ἃ ἤκουσα παρὰ τοῦ πατρός μου ἐγνώρισα ὑμῖν. οὐχ ὑμεῖς με ἐξελέξασθε, ἀλλ’ ἐγὼ ἐξελεξάμην ὑμᾶς καὶ ἔθηκα ὑμᾶς ἵνα ὑμεῖς ὑπάγητε καὶ καρπὸν φέρητε καὶ ὁ καρπὸς ὑμῶν μένῃ, ἵνα ὅ τι ἂν αἰτήσητε τὸν πατέρα ἐν τῷ ὀνόματί μου δῷ ὑμῖν. Ταῦτα ἐντέλλομαι ὑμῖν, ἵνα ἀγαπᾶτε ἀλλήλους.

      Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe. Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Ich nenne euch hinfort nicht Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich Freunde genannt; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, auf dass, worum ihr den Vater bittet in meinem Namen, er’s euch gebe. Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.

      Die Freundschaftsbeziehung zwischen Jesus und den Jüngern wird hier als Liebesbeziehung qualifiziert. Diese drückt sich insbesondere darin aus, dass innerhalb dieser Beziehung Wissen geteilt wird (alles […] habe ich euch kundgetan) und durch die Aufhebung der Knechtschaft eine hierarchische Ordnung in gewissem Sinn in Gleichheit aufgeht. Gleichwohl betont gerade das Johannesevangelium die bleibende Ungleichheit, die Asymmetrie, ja die Hierarchie zwischen Jesus und den Jüngern bzw. allen Menschen. Die Gleichheit innerhalb der Gemeinschaft Jesu mit den Jüngern besteht also nur in gewisser Hinsicht, und auch nur aufgrund der aktiven Preisgabe des göttlichen Wissens durch Jesus.

      Vor allem aber wird hier ganz im Sinne des oben dargestellten aristotelischen Ideals das Hingeben des eigenen Lebens für die Freunde als höchste Stufe des Freundschaftsdienstes genannt. Und damit liegt in Joh 15 ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis des johanneischen Passionsgeschehens:

      „Anthropologisch betrachtet stempelt diese Deutung des Todes Jesu all jene, für die Jesus gestorben ist, – ganz im Gegensatz zur sühnesoteriologischen Deutung des Todes Jesu – nicht zu Sündern, sondern zu Freunden Jesu. […] Jesus stirbt für seine Freunde. Das transformiert seine Schülerinnen und Schüler zu Freunden Jesu. […] Zugespitzt formuliert: Weil Jesus den Tod des Sklaven stirbt, deshalb sind seine Nachfolgerinnen und Nachfolger nicht mehr Sklaven, sondern Freunde.“2

      Zugleich verbindet sich bei Johannes griechische Freundschaftsethik mit Aspekten der Freundschaft aus dem Alten Testament: Die Freundschaft Jesu mit seinen Jüngern ist nicht – wie etwa bei Rut und Noomi – durch die gleichzeitige Treue zu Gott bzw. zum Bund Gottes gekennzeichnet, sondern direkt mit dem inkarnierten λόγος selbst möglich. Gleichzeitig ist die Freundschaft zwischen Jesus und seinen Jüngern durchaus vergleichbar mit Beziehungen im Alten Testament, in denen jemand seinen Nächsten/Freund liebt wie sein eigenes Leben.3 Auf diese Weise verbindet Johannes zugleich die Vorstellung einer Freundschaft als zwischenmenschliche Beziehung mit dem Topos der Gottesfreundschaft. Während Gottesfreundschaft im Alten Testament auf Abraham und Mose beschränkt bleibt, wird diese über das Kreuz universalisiert und auf alle in der Nachfolge Jesu übertragen.

      Das Motiv der Freundschaft liefert hier in jedem Fall im Vergleich zu den Paulusbriefen oder den Synoptikern ein Alternativmodell zur Deutung des Kreuzes. Dabei wird ein in der Enzyklopädie der frühen Christen verbreiteter Topos auf die Jesus-Christus-Geschichte bezogen und zudem noch mit alttestamentlichen Vorstellungen verschränkt. Im Johannesevangelium geht es dabei weniger um eine Freundschaftsethik als um Theologie, Christologie und auch Ekklesiologie: Die Gemeinde ist in dieser johanneischen Perspektive weniger eine ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ oder eine ‚Gemeinschaft der Sünder‘ als eine ‚Gemeinschaft der Freunde‘.

      2.2.2 Jesus und die Liebe zu den Freunden im Matthäusevangelium

      Während die johanneische und lukanische Literatur aufgrund des


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