Catra Corbett: Wiedergeburt. Catra Corbett

Catra Corbett: Wiedergeburt - Catra Corbett


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Pferdeschwanz hoch und lief los. Als ich die Tankstelle erreichte, drehte ich um und lief wieder nach Hause.

      Zu Hause angekommen, setzte ich mich auf die Treppe und lehnte mich zurück. Ich dachte: Wow. Ich bin gerade 15 Kilometer gelaufen. Ich fühle mich richtig gut. Das muss es sein, wenn die anderen immer von einem Runner’s High, also einem Läuferhoch, sprechen.

      Ich fühlte mich wie eine Superheldin.

      XXX

      Kurz darauf entschied ich mich kurzfristig dazu, einen weiteren 10-Kilometer-Lauf zu laufen, und suchte mir dafür einen Traillauf aus. Es war mein erster Traillauf und erst mein zweites Rennen überhaupt. Da ich noch immer nicht wusste, wie ich mir ein Rennen einzuteilen hatte, begann ich von Anfang an schnell.

      Etwa bei der Hälfte klebte mir ein junges Mädchen an den Fersen, und ein älterer Mann, der neben der Strecke herlief, rief ihr zu, weiter zu pushen. Er schrie und schrie, und als sie endlich an mir vorbei war, schrie er, dass sie mich nicht wieder vorbeilassen sollte. Dann begann die Kleine, sich zu übergeben, und der Typ schrie sie weiter an. Was für ein Arsch.

      Am Ende lag sie weniger als eine Minute vor mir.

      Als ich ins Ziel kam, schlug mir das Herz bis zum Hals, zumindest fühlte es sich so an, da ich es laut in meinen Ohren pochen hörte. Da kam plötzlich dieser Typ zu mir.

      „Mann, ich dachte schon, du holst uns ein“, sagte er. „Das Mädchen ist eine unsere Top 4 Highschool-Läuferinnen. Ich bin ihr Coach. Ich musste sie richtig antreiben. Du bist verdammt schnell. Wer bist du?“

      Obwohl ich halb tot war, fühlten sich seine Worte richtig gut an. Ich fühlte mich plötzlich wie eine Läuferin. Und nicht nur wie eine Läuferin, sondern wie eine verdammt gute Läuferin.

      Seine Worte waren Balsam für meine Seele. Ich war ein neuer Mensch. Vor ein paar Jahren hätte ich das nicht glauben können. Ich war clean. Ich war eine Sportlerin. Ich war eine Läuferin. Ich ähnelte meinem Vater mehr, als ich jemals gedacht hätte.

      Ich hatte noch immer keine Freunde. Wenn also Leute, die so aussahen, als wären sie Läufer, bei mir im Laden vorbeikamen, sprach ich mit ihnen übers Laufen.

      Sie gaben mir einen guten Tipp für eine Trainingsstrecke, nämlich einen nahegelegenen, asphaltierten Weg, der sich entlang eines Bachbetts erstreckt. Außerdem gab es Kilometermarkierungen entlang dieses Weges, die es mir ermöglichten, genau zu sehen, wie weit ich laufen musste. Jetzt musste ich auch die Distanz nicht mehr vorher mit dem Auto abfahren. Das war praktisch. Das Training während der nächsten beiden Wochen lief gut, und schon bald stand der magische 32-Kilometer-Lauf auf meinem Plan.

      Bei den meisten Trainingsplänen sind die 32 Kilometer die längste Distanz. Die Theorie besagt: Wenn du 32 Kilometer laufen kannst, schaffst du auch einen Marathon.

      An jenem Sonntag stand ich in der Früh auf. Ich verzichtete aufs Frühstück und trank auch nichts. Dann lief ich 16 Kilometer auf dem Weg neben dem Bachbett, drehte dann um und lief wieder zurück. Am Ende ging es mir richtig schlecht. Aufgrund des ganzen Trainings hatte ich auch stark abgenommen. Ich hatte einfach nicht genug Energie.

      XXX

      Zwei Tage vor dem San Francisco Marathon holte ich mir mein Päckchen ab. Meine Mutter begleitete mich. Sie war ganz aufgeregt, ob all dieser Gratisproben, die wir bekamen. Eine davon war ein Gel, das einzige auf der Rennexpo. Es war ein neues Produkt, und ich hatte absolut keine Ahnung, wofür es gut war.

      „Nimm es bei Kilometer 35, wenn du gegen die Wand läufst“, sagte jemand zu mir.

      Immer wieder hörte ich andere Läufer von dieser ominösen „Wand“ reden, doch was meinten sie damit? Als ich einen der Veranstalter fragte, erklärte er mir, dass das der Punkt sei, an dem du einfach aufhören willst und keinen Schritt mehr machen kannst.

      Autsch. Das hört sich furchtbar an.

      Auf der Rennexpo besorgte ich mir gleich ein neues Paar Shorts. Das waren diese neuen, bunten Shorts, in leuchtendem Pink, und dazu kaufte ich mir noch ein lilafarbenes Leibchen. Ich war ein neuer Mensch und brauchte deswegen auch einen neuen Look. Kein Schwarz mehr.

      Schließlich war ich keine Goth-Tänzerin mehr, die Drogen nahm, um sich gut zu fühlen. Ich war eine Läuferin. Am Tag vor dem Marathon war ich fest entschlossen, meine Beine ja nicht zu belasten, und versuchte, so wenig wie möglich zu gehen. Meine Mutter meinte, das wäre lächerlich.

      Dazu trank ich literweise Wasser. Fürs Abendessen bat ich meine Mutter, mir Kartoffelpüree zu machen, damit ich Kohlenhydrate zu mir nehmen konnte.

      Am Morgen des Rennens begab ich mich an den Start auf der Golden Gate Bridge. Die Strecke verlief entlang der Sehenswürdigkeiten in San Francisco. Ich erkannte einige der Gesichter von anderen Rennen wieder. Während ich mich anstellte, kam eine Frau zu mir. Ich sagte ihr, dass es mein erster Marathon sei.

      „Das hier ist mein 57.“, sagte sie und lächelte.

      Wow. Ich konnte es nicht glauben. Wie kann jemand so viele Rennen laufen, fragte ich mich.

      Ich zitterte vor Kälte in meinem dünnen Leibchen und den Shorts. Ein anderer Teilnehmer bot mir einen großen Müllsack an, den ich gerne annahm und mir sofort überzog. Erst in der letzten Minute vor dem Start zog ich ihn wieder aus und begann, mich auf die 42 Kilometer zu machen.

      Zwar hatte ich den Startschuss überhört, doch es war unübersehbar, wie sich das Feld in Bewegung setzte. Es ging los.

      XXX

      Mein Vater hatte oft vom Alameda Creek Trail gesprochen, als er für seine Rennen trainierte. Er liebte diese Strecke. Ich musste an ihn denken, als ich Kilometer um Kilometer abspulte. Es war der gleiche Weg, den ich nun entlanglief.

      XXX

      Nach der Hälfte des Marathons fühlte ich mich noch immer gut und dachte mir: Wow, ich werde ja noch zur Marathonläuferin.

      Ich werde zu etwas, das auch Paps gewollte hätte. Ich wurde zu einer dieser sonderlichen Personen im Fernsehen, über die mein Vater immer gesprochen hatte, und auf einmal schienen diese Menschen gar nicht mehr so sonderbar zu sein. Für mich waren sie normal. Ich war auf dem Weg, eine von ihnen zu werden, und dadurch fühlte ich mich meinem Vater näher, auch wenn er nicht mehr unter uns weilte. Es wäre so schön, wenn er noch am Leben gewesen wäre und ich das alles mit ihm hätte teilen können.

      Als ich mich der 32-Kilometer-Marke näherte, dem Punkt, an dem ich diese gefürchtete Wand kennenlernen sollte, lief ich an mehreren Nachtclubs vorbei, die ich noch aus meiner Drogenzeit kannte. Damals hatte ich unter einem Nebelschleier gelebt. Die Drogen machten Spaß und fühlten sich gut an, doch einer der Gründe, warum ich mich die ganze Zeit so euphorisch fühlte, war, dass ich von einem Schleier umgeben war, der mich von der harten Realität des Lebens abschirmte. Das Problem war nur, dass dieser Schleier auch viele andere Dinge, viele wundervolle Dinge, verdeckte.

      Er hielt mich davon ab, die schönen Seiten des Lebens zu sehen. Damals nahm ich weder Hügel, Berge noch sonst irgendwelche Sehenswürdigkeiten wie etwa die Golden Gate Bridge wahr. Ich konnte das Schöne, das San Francisco zu bieten hatte, nicht sehen.

      Natürlich hatte mein Drogenkonsum noch andere Konsequenzen. Ich hätte für lange Zeit im Gefängnis landen können. Ich hätte wie Jason enden können, daliegend mit Einstichen in den Armen, und möglicherweise tot. Es hätte mir wie Peggy ergehen können, die aufgrund ihrer Drogensucht überhaupt kein normales Leben mehr leben konnte. Und auch wenn ich noch einmal glimpflich davongekommen war, so hatte ich trotzdem einiges verloren. Ich hatte viel Zeit verloren, die ich mit meiner Familie hätte verbringen können, mit meiner Mutter, mit der ich mich wieder versöhnt hatte, und meinen Wagen, und viele andere materielle Dinge und Jahre meines Lebens. Alles nur wegen dieses Schleiers in meinem Kopf.

      Immer wenn ich an einem der Clubs, in denen ich früher Stammgast gewesen war, vorüberkam, bekam ich einen neuen Energieschub. Ich erinnerte mich daran, wie ich von Drogen berauscht war und mit meinen ehemaligen Freunden dort abhing und tanzte.

      Nun


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