Catra Corbett: Wiedergeburt. Catra Corbett

Catra Corbett: Wiedergeburt - Catra Corbett


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den Drogen. Es war vielleicht das erste Mal in meinem Leben, dass ich ein High hatte, das nicht durch Drogen hervorgerufen worden war.

      Nach etwa 38 Kilometern spürte ich die Wand zum ersten Mal.

      Meine Beine fühlten sich taub an, beinahe tot. Doch als ich weiter an den Clubs vorbeilief, dachte ich daran, wo ich damals gewesen war und bis wohin ich es nun geschafft hatte. Ich dachte an meine alten Freunde und konnte nicht glauben, dass ich noch immer nicht rückfällig geworden war.

      Ich hoffte für sie, dass sie auch von den Drogen weggekommen waren.

      Da liefen mir ein paar Tränen über das Gesicht. Dadurch lernte ich diesen Moment noch mehr zu schätzen. Ich war dankbar dafür, dass es mir gelungen war, diesem finsteren Ort zu entkommen, und nun dort war, wo ich mich jetzt befand: bei einem Marathonrennen mit Tausenden anderen Menschen. Und ich war drauf und dran, etwas zu bewerkstelligen, was auch mein Vater gerne geschafft hätte.

      Laufen war ein Weg, mich meinem Vater näher zu fühlen, jene Verbindung wieder aufleben zu lassen, die vor Jahren verloren gegangen war. Ich konnte zwar nicht länger Vaters kleines Mädchen sein, doch ich konnte auf unsere gemeinsame Zeit zurückblicken und das würdigen, was er für mich getan hatte.

      Meine Beine waren schwer, taub, doch ich konnte bereits das Ziel sehen. Ich wusste, dass meine Mutter dort auf mich wartete, und ich wusste, dass Paps stolz auf mich wäre.

      So stolz.

      XXX

      Nachdem mein Vater gestorben war, zog ich von einer Party zur nächsten. Es war mein Weg, den Schmerz über den Verlust meines Vaters zu lindern. Meine Freunde wussten natürlich nicht, was sie zu mir sagen sollten. Was sagt man schon Freunden, die einen Elternteil verloren haben?

      Meine letzten Worte zu meinem Vater waren, dass ich ihn hasste. Als ich älter wurde, erkannte ich, dass er gewusst hatte, dass ich es nicht so gemeint hatte, ich war eben ein Teenager, doch diese Worte verfolgten mich lange Zeit.

      Ich trank viel und trank noch mehr und landete schließlich bei Drogen.

      All das ging mir durch den Kopf, als ich ins Stadion einlief. Ich überquerte die Ziellinie und heulte. Ich konnte nicht glauben, dass ich es geschafft hatte.

      Danke, Paps.

      Laufen war mein Freund geworden. Es half mir, viele Dinge zu überstehen. Es war zu einer Zeit für mich da, als ich absolut nichts anderes hatte. Doch wenn ich lief, war mein Vater bei mir, und er half mir dabei, ein neues Leben aufzubauen, eines ohne Drogen. Er wurde zu meinem inneren Coach. Ich stellte mir vor, er sei mein Schutzengel, der mich leitete und mich „Peanut“ nannte – das war der Kosename, den er mir gegeben hatte – und mich dazu motivierte, alles zu geben.

      Je mehr ich lief, desto enger fühlte ich mich ihm verbunden. Und ich wusste, dass, wäre er noch am Leben, er neben mir herlaufen würde.

      Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich selbst damit begann, hatte ich keine Ahnung, was ein Ultramarathon war. Es war schon interessant, dass mein Vater mir an jenem Tag auf der Couch gezeigt hatte, was ein Ultraläufer war.

      Doch noch war ich keine Ultraläuferin. Bis dahin lag noch ein langer Weg vor mir. Ich musste erst lernen, wie man im Gelände lief, und danach, wie man Marathons im Gelände lief. Dazu kamen noch zwei Probleme mit meiner Gesundheit.

      Doch ich war eine Läuferin.

      Und nun war ich sogar eine Marathonläuferin.

       KAPITEL 5

       DÜNNER MIT JEDEM BISSEN

      Ich war neun, als ich meine erste lebensverändernde Entscheidung traf.

      Mein Vater probierte die verschiedensten Dinge aus, um Geld zu verdienen. Meine Schwester und ich waren Mitglieder von 4H, einer internationalen Jugendorganisation, und inspiriert von den Kursen, die wir dort besuchten, kam er auf die Idee, bei einer Nutztierauktion neun junge Ochsen zu kaufen. Er wollte sie mästen und dann wiederverkaufen.

      Mein Liebling war ein weißer Ochse, so weiß wie die Wolken, die am blauen Himmel über unserem Haus standen. Die anderen acht jagten mir Angst ein, doch aus irgendeinem Grund beruhigte mich die Farbe dieses einen Ochsen. Ich fühlte ich mich sicher in seiner Nähe, denn er war auch sehr zahm. Er kam immer zu mir und ließ sich streicheln, tätscheln und umarmen. Ich nannte ihn Charlie, und wir hatten ihn für knapp ein Jahr. Er war der letzte Ochse, den wir bei uns hatten.

      Als ich eines Tages von der Schule nach Hause kam, führte mich mein Bruder zu der Gefriertruhe in der Garage, in der wir unsere Fleischvorräte aufbewahrten.

      „He, schau einmal in die Gefriertruhe hinein“, sagte er zu mir.

      Ich sah, dass sie bis zum Rand hin gefüllt war.

      „Was ist damit?“, fragte ich.

      „Das ist Charlie, da drinnen“, sagte er.

      Ich war am Boden zerstört.

      Danach wollte ich kein Fleisch mehr essen, das mir meine Eltern gaben, denn es würde sich um Charlie handeln. Ich wollte mein Haustier nicht essen. Charlie war so zahm und freundlich gewesen, ihn zu essen wäre nicht richtig gewesen. Es wäre grausam gewesen, dies einem so sanften Tier anzutun. Ich würde Charlie nicht essen. Ich würde überhaupt keine Tiere mehr essen.

      Meine Mutter, eine großartige Köchin, sollte sich schon bald über die sehr wählerische Ernährung ihrer Tochter Sorgen machen. Allerdings sollte es auch nicht das letzte Mal sein, dass sie sich darüber sorgen musste.

      XXX

      Meine beiden älteren Schwestern waren sehr hübsch. So ist es auch kein Wunder, dass ich bereits in sehr jungen Jahren auch so sein wollte wie sie und mich hübsch, glamourös und sexy herausputzte.

      Ich war ja immer nur das kleine Mädchen. Ich wollte älter sein. Schon damals, in den 1970er-Jahren, in denen ich aufwuchs, waren die meisten Schauspielerinnen rank und schlank und die Models sogar noch dünner. Das war der Look, wenn man glamourös und sexy sein wollte. Da ich die Kleider liebte, die sie trugen, schien die Botschaft, die vermittelt wurde, folgende zu sein: Wenn du die gleichen Kleider tragen willst, musst du auch so aussehen wie sie. Du musstest aussehen, als wärst du am Verhungern.

      Damals gab es nur Schwarz oder Weiß. Es gab keine Models für Übergrößen, so wie heute. Wenn du dünn warst, warst du hübsch, und wenn nicht, dann warst du hässlich, zumindest nahm ich es damals so wahr. Eines Tages brachte mir eine Freundin aus der Highschool einige Schokoladeprodukte mit, die den Appetit zügelten. Ich aß sie, denn ich wusste nicht, dass Schokolade diesen Effekt haben könnte, und ich mochte Schokolade. Doch ich aß sie auch, weil ich so aussehen wollte wie diese Models.

      Ich war überhaupt kein übergewichtiges Kind. Aber dünn zu sein war in Mode, und obwohl es leicht ist, die Schuld dafür der Gesellschaft zu geben, so war es doch genau diese Botschaft, die meine Essstörung verursachte. Ich weiß, dass viele Mädchen mit ihrem Aussehen kämpfen und deswegen Diät halten und nicht an einer Essstörung erkranken. Doch die Mädchen, mit denen ich mich herumtrieb, waren davon besessen, dünn zu sein. Diese Obsession blieb an mir hängen. Die Idee, dass ich einem bestimmten Typ Frau gleichen müsste, wurde mir eingepflanzt. Ich brauchte Jahre dafür, diese fixe Idee wieder aus dem Kopf zu bekommen und mich davon zu erholen.

      XXX

      Als ich begann, mit Jungs auszugehen, wurde alles noch viel schlimmer. Mein erster fester Freund Jim und ich betranken uns immer, wenn wir zusammen waren. Wir waren 19 und gingen jedes Wochenende in die Clubs und tranken. Als wir dann nach Hause fuhren, begannen wir meist lautstark zu streiten. Jedes Mal trennten wir uns, nur um uns gleich danach wieder zu versöhnen. Es grenzte schon an Quälerei, doch damals fanden wir das ungeheuer romantisch.

      Während unserer Streitereien beleidigte Jim mich immer wieder. Er nannte mich fett und sagte, ich würde furchtbar aussehen. Um also weiter Gewicht zu verlieren, griff ich rasch zu Abführmitteln.

      Schließlich


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