Catra Corbett: Wiedergeburt. Catra Corbett

Catra Corbett: Wiedergeburt - Catra Corbett


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zurück an das Schild, das die Besucher des Parks vor Alligatoren warnt. In dieser rabenschwarzen, nächtlichen Finsternis musste ich unweigerlich bei jedem Geräusch aus dem Unterholz an ein mit spitzen Zähnen besetztes, schnappendes Maul denken – egal, ob es ein knackender Zweig oder ein Rascheln im Gebüsch war.

      Diese Nervosität beschäftigte mich einige Zeit lang, während ich den dunklen Pfad entlanglief, und sie reichte aus, um mich von dem lose aus meinen Laufschuhen wehenden Klebeband abzulenken.

      Aber leider nicht für den Rest des Rennens. Mist.

      Ich war überzeugt davon gewesen, dass das Klebeband halten würde – wenn man Rohre damit reparieren konnte, dann musste es doch auch meine Füße zusammenhalten können –, doch nach 75 Meilen ertranken meine Füße dank der feuchten texanischen Luft wieder im Schweiß. Es fühlte sich an, als würde ich barfuß über Nadeln laufen, bei jedem Schritt spürte ich den Schmerz, den mir die Blasen verursachten. Es war einer der schrecklichsten Schmerzen, die ich je erlebt habe.

      Und ich hatte noch immer einen ganzen Marathon vor mir.

      Als ich nach 80 Meilen wieder an der Versorgungsstation war, brach ich vor dem gleichen Sanitäter wie zuvor nieder. Er sah nicht gerade erfreut aus, mich wiederzusehen.

      „Sehen wir es uns einmal an“, sagte er und versuchte, meinem Blick auszuweichen, während ich meine Schuhe auszog. Es fühlte sich so unglaublich gut an, aus den Schuhen draußen zu sein.

      Da ich mich nicht mit der Behandlung von Blasen auskannte, lehnte ich mich zurück und machte ein schmerzverzerrtes Gesicht, als er das restliche Klebeband von meinen Fersen entfernte. Dabei kam auch ein guter Teil Haut mit.

      „FUUUUUUUUUUUUUCCKKKKKKKK“, schrie ich wie am Spieß.

      Ich machte mich bereit, als er das Band auf der anderen Ferse ergriff. Dann zog er erneut daran, und die Haut kam genauso leicht mit, als würde er eine überreife Banane schälen. Diesmal schrie ich sogar noch lauter. Die wunden Flecken brannten höllisch, und die warme Mitternachtsluft war keine Erleichterung für meine aufgescheuerte Haut.

      „Ich denke, du solltest aussteigen“, sagte der Sanitäter und sah mir dabei tief in die Augen.

      Auch wenn ich bis zu diesem Zeitpunkt nur ein paar Rennen beendet hatte, so wusste ich bereits, dass es bei Ultramarathons mindestens genauso viel ums Durchhalten geht wie ums Laufen. Um mich herum waren andere, die sich erbrachen, an Krämpfen litten und Schmerzen hatten oder sich in einem was weiß ich für erbärmlichen Zustand befanden. Mir also zu sagen, dass es besser wäre, aufzugeben, war deshalb nicht nur entmutigend, sondern machte mir Angst.

      Doch Angst hin oder her, ich musste dieses verdammte Rennen zu Ende bringen. In meinem Kopf wäre ich keine Ultraläuferin, bevor ich nicht einen 100-Meilen-Lauf beendet hatte. Endlich hatte ich etwas gefunden, was mir, in meinen Augen, dabei helfen konnte, zu einem neuen Menschen zu werden. Zum ersten Mal seit Jahren war da etwas, das diese Leere füllte. Der Rat des Sanitäters schreckte mich, doch wie schon zuvor bei Kevin war ich auch darüber verärgert.

      Ich erwiderte seinen Blick.

      „Willst du mich verarschen?“, antwortete ich. „Ich bin hier, um beschissene 100 Meilen zu laufen. Ich gebe doch jetzt nicht auf.“

      Der Sanitäter seufzte verzweifelt auf und begann damit, meine Füße mit frischem Klebeband zu umwickeln. Noch einmal zwängte ich meine armseligen, geschwollenen Füße in meine Schuhe, die nun bereits einer Folterkammer gleichkamen. Als ich aufstand, zitterten meine Beine wie die eines neugeborenen Rehkitzes. Ich ging einige Schritte, und es waren die schlimmsten Schmerzen, die ich jemals verspürt hatte.

      Nun fühlten sich meine Laufschuhe an, als wären sie mit heißer Kohle gefüllt. Tränen liefen mir über die Wangen. Ich ging noch ein paar Schritte und begann dann leicht zu joggen. Die Schmerzen würden mich noch die nächsten acht Stunden begleiten. Sie sollten mein Pacer sein.

      Es lagen noch 20 Meilen vor mir. Das waren mehr, als die meisten Läufer bei einem Trainingslauf absolvieren. 20 Meilen, das sind gut 32 Kilometer, und meine Füße waren so weich und empfindlich wie ein Babypopo, und das auf einem Weg, der mit Wurzeln übersät war und den ich nur im schwachen Schein meiner Taschenlampe sah. Dazu kamen natürlich noch die Alligatoren, vor denen ich mich in Acht nehmen musste.

      Inzwischen war es stockfinster. Die Schmerzen in meinen Füßen hatten ihren Höhepunkt erreicht, doch als ich plötzlich gähnen musste, dämmerte mir, dass meine Füße vielleicht nicht mein größtes Problem waren.

      Noch nie zuvor war ich die Nacht hindurch gelaufen, und nun musste ich in regelmäßigen Abständen gähnen. Mein plötzlicher Wunsch, mich im Laubwerk einzurollen und ein Nickerchen zu machen, drohte meinem Vorhaben, das Rennen zu beenden, ein jähes Ende zu bereiten.

      Ich durfte jetzt aber keinen Zwischenstopp einlegen, egal, wie sehr ich mich nach einer Pause sehnte, denn ich machte mir Sorgen, die Cutoff-Zeit nicht zu schaffen, das Zeitlimit, bei dem die Teilnehmer aus dem Rennen genommen werden, ungeachtet dessen, wie weit sie bereits gekommen sind. Selbst die schnellsten Läufer konnten sich nicht mehr als einen kurzen Powernap leisten, ohne Gefahr zu laufen, die Cutoff-Zeit zu verpassen, und ich gehörte zu den langsamsten. Ich musste weiter.

      Wie ein betrunkener Autofahrer torkelte ich in Schlangenlinien den breiten Weg entlang und gab mein Bestes, nicht mit anderen Teilnehmern zusammenzustoßen.

      „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte mich ein älterer Mann, der anscheinend nicht zum ersten Mal die 100 Meilen lief. Dieser Typ von Mann erinnerte mich irgendwie an meinen Vater. Er war verstorben, als ich 17 war, und so viele Jahre, nachdem sein Herz aufgehört hatte zu schlagen, dachte ich, dass mein Vater genau einer dieser Typen hätte sein können, wäre er nicht schon so früh von uns gegangen.

      „Ich bin nur so furchtbar müde“, murmelte ich.

      Er nickte mitfühlend. Ich war nicht die Einzige, die zu diesem Zeitpunkt wie ein Zombie dahinschlurfte.

      „Du brauchst Kaffee“, sagte er.

      Kaffee. Ja, natürlich, dachte ich halb benommen. Ja. Kaffee.

      „Viel Glück!“, rief er mir über seine Schulter zu, als er in der Dunkelheit vor mir verschwand.

      Bis zum nächsten Versorgungsposten waren es nur mehr ein paar Meilen. Ich wusste, wenn ich es bis dorthin schaffte, würde alles wieder gut sein.

      Kaffee. Kaffee. Kaffee. Es war wie ein Mantra, das ich bei jedem schmerzenden Schritt vor mich hersagte. Alles, was ich wollte, war, mich niederzulegen. Ich konnte kaum noch meine Taschenlampe hochhalten, und ihr Lichtkegel schwankte langsam über den Weg und verwirrte mich. Meine Augenlider schlossen sich, während ich weiter nach vorne stapfte. Plötzlich riss ich sie wieder weit auf, als ich mit einem dumpfen Geräusch am Boden aufschlug. Ich rappelte mich hoch und streifte mir den Dreck von den Händen.

      Es kann schon einmal passieren, dass Ultraläufer auf den Beinen einschlafen, weil sie so müde sind. Wir können sogar einnicken, während wir laufen. Ich hatte Glück, dass ich mich nicht verletzt hatte, doch ich war noch immer erschöpft, als ich weiterwankte. Ich war in ernsthaften Schwierigkeiten.

      An diesem Punkt spürte ich auch dieses Gemeinschaftsgefühl, das mich im Endeffekt zum Ultralaufsport gebracht hatte.

      Ultraläuferinnen und Ultraläufer sehen so wie alle Menschen aus, denen man auf der Straße begegnet, doch es gibt einen wichtigen Unterschied: Sie alle erbringen diese unglaublichen körperlichen Heldentaten. Während die anderen Läufer mich überholten und das Delirium sahen, in dem ich mich aufgrund der Schmerzen und Erschöpfung befand – etwas, das sie selbst bereits viele Male durchgemacht hatten oder sogar selbst gerade durchmachten –, lächelten sie mir zu und motivierten mich, oder sie fragten, ob dies mein erstes 100-Meilen-Rennen sei (ich hatte gehofft, dass es nicht gar so offensichtlich war, doch ich denke, das war es).

      Das war die Art von Unterstützung, die mir bis dahin in meinem Leben immer gefehlt hatte, seit ich mich von meinen Freunden trennen musste. Damals war meine Mutter die Einzige, die auf meiner Seite zu stehen schien. Selbst Kevin zweifelte


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