Catra Corbett: Wiedergeburt. Catra Corbett

Catra Corbett: Wiedergeburt - Catra Corbett


Скачать книгу
und fanden zusammen den Weg zurück auf die Strecke. Er war das erste Beispiel für die Freundlichkeit und die Kameraderie, das mir in der Ultrarunning-Community untergekommen war.

      Wir hätten den Rocky Raccoon zusammen laufen sollen, doch er hatte sich kurz davor verletzt.

      „Ich hab’s geschafft“, rief ich enthusiastisch ins Telefon.

      „Fantastisch! Toll gemacht, Catra!“, antwortete er, und seine warmherzige Stimme erfüllte mich voll Stolz. „Wie sieht es jetzt mit dem 24-Stunden-Lauf aus, von dem ich gesprochen habe?“

      Jim hatte mir eine Woche zuvor von diesem Rennen erzählt. Die Idee dahinter war, innerhalb von 24 Stunden eine möglichst weite Strecke zurückzulegen. Auf einer Laufbahn und mit Schuhen, die eine halbe Nummer größer waren, könnte ich vielleicht 100 Meilen in 24 Stunden schaffen.

      Dann blickte ich auf meine wundgescheuerten, blutigen Füße. Mein Körper tat mir mehr weh als jemals zuvor. Ganz ehrlich, ich wusste nicht einmal, wie lange es dauern würde, überhaupt wieder normal gehen zu können. Alles, was ich jetzt wollte, war schlafen, doch der Gedanke daran, wie ich die Ziellinie überquert hatte, hielt mich wach.

      Ich lächelte. Warum nicht?

      Wenn du versuchst, von Dingen wie Drogen, die dich eisern im Griff haben, loszukommen, dann musst du etwas finden, das du mit großer Leidenschaft betreiben kannst. Du musst etwas finden, das dir dabei hilft, dich gut zu fühlen. Die Süchtigen bei den NA-Treffen leisteten oft ehrenamtliche Arbeit, halfen anderen oder fanden einen guten Job. Ich hatte während jener Zeit nichts gefunden, was mir helfen konnte, aufzuhören.

      Doch nun hatte ich endlich das gefunden, was mich von Drogen fernhalten würde. Zugegeben, es war eine recht schmerzhafte Leidenschaft, doch der Drogenentzug war auch schmerzvoll.

      Nun war ich eine Ultraläuferin.

       KAPITEL 2

       EINE NACHT IM GEFÄNGNIS HINTERLÄSST IHRE SPUREN

      Bevor ich zum Ultralauf kam, war ich drogenabhängig. Ich arbeitete als Haarstylistin und an den Wochenenden als Go-go-Tänzerin, war Tochter, Partnerin und Freundin, aber vor allem war ich drogenabhängig. Und damit meine ich, dass alles, was ich tat, dazu diente, high zu werden.

      Damals arbeitete ich in einem Friseursalon. Es war ein großartiger Job, und ich verdiente wirklich gut. Zwölf Stunden durcharbeiten war kein Problem für mich, denn in den kurzen Pausen verschwand ich einfach aufs Klo und schnupfte etwas Meth.

      Mir gefiel es, als Friseurin zu arbeiten. Der Beruf war kreativ und passte wunderbar zu meinem Faible für Kleider und ausgefallene Frisuren. Und ich konnte high sein. Ich war immer high.

      Das Meth gab mir die Energie, auch andere Dinge zu tun.

      An den Wochenenden ging ich unheimlich gerne tanzen. Tanzen war auch der einzige Sport, den ich damals machte, denn zu jener Zeit hasste ich es, zu laufen, und machte einen großen Bogen um jedes Fitnesscenter. Somit war Tanzen auch ein Weg, um fit zu bleiben. Ich liebte es, in Nachtclubs zu gehen und dort abzutanzen, und so verband ich das Angenehme mit dem Nützlichen und verdiente mir an den Wochenenden etwas als Go-go-Tänzerin dazu. Zwar trug ich bei diesem Job nur BH und G-String, doch das war mir egal, denn ich war sowieso high. Ich habe nie verstanden, was das Tolle für die Typen daran war, die einfach nur dastanden und mich und die anderen Tänzerinnen anstarrten und uns Geld dafür gaben. Ganz ehrlich, es war schon irgendwie ein unheimlicher, ja beinahe ekelhafter Ort, um Geld zu verdienen. Doch ich verdiente gut, und eigentlich war es mir egal. Schließlich war ich ja high.

      Der Grund, warum ich das tat, war, einen Haufen Kohle zu machen, mit dem wir dann mehr Drogen kauften, um wiederum mehr verkaufen zu können, nur damit wir selbst wieder mehr Drogen nehmen konnten. Jason, mein damaliger Freund, verkaufte das Zeug, und ich half ihm dabei, noch mehr davon zu verkaufen.

      Also arbeitete ich und tanzte. Ich konnte den ganzen Tag lang arbeiten und die ganze Nacht tanzen. So viel Energie hatte ich. Ich fühlte mich großartig. Euphorisch. High. Wenn ich auf Drogen war, konnte ich alles tun.

      Bis die Wirkung nachließ.

      Wenn du auf Drogen bist, dann lebst du unter einem Schleier, in einer Art Blase, und nimmst eigentlich nur mehr dich selbst und ein paar wenige Leute um dich herum wahr. Es gab einen stetigen Nachschub an Drogen, denn Jason und ich waren Kleindealer, also war immer etwas da. Doch wenn mir das Meth doch einmal ausging und die Wirkung nachzulassen begann, dann war da kein Schleier mehr. Dann war alles verschwommen, und ich war ein Wrack.

      Das war der Punkt, an dem mich mein Leben einholte. Jene Dinge, die mich müde machten, wie etwa drei Tage am Stück aufzubleiben, zwölf Stunden pro Tag zu arbeiten oder die Nacht durchzutanzen, laugten mich plötzlich vollkommen aus. Dieses großartige, intensive Gefühl wich einem dünnen grauen Nebel. Das Wunder des Lebens war wie weggeblasen.

      Wenn ich keine Drogen hatte, schlief ich oft zwei Tage durch.

      Ich hasste dieses Gefühl.

      Also kam es auch nur selten vor, dass ich nicht auf Drogen war.

      Die meiste Zeit fühlte ich mich großartig, da ich high war.

      Doch die Drogen begannen mich langsam, aber sicher aufzufressen.

      Zu jener Zeit lebte ich zusammen mit Jason im Haus seiner Eltern. Es war schön, in einer Familiengemeinschaft zu leben. Seine Eltern waren wirklich nett und kümmerten sich um mich.

      Doch wie in vielen Familien lief nicht alles so glatt, wie es den Anschein hatte. So kam Jasons Bruder beinahe jeden Abend betrunken nach Hause, und am Wochenende saßen seine Eltern auf der Couch, betranken sich und begannen zu streiten.

      Damals sah ich meine eigene Familie nur selten. Einmal im Monat machte ich Mutters Haare, und sie schlug dann immer vor, gemeinsam essen zu gehen. Ich sagte meist zu, doch dann vergaß ich es oder, was öfters vorkam, ging einfach nicht hin. Ich wollte nicht, dass sie mir Fragen zu meinem Leben stellte. Ich wollte nicht, dass sie irgendetwas über mich erfuhr, darüber, wer ich geworden war. Ich schämte mich für das, was ich war, auch wenn ich Spaß dabei hatte.

      Wie die meisten Drogenabhängigen verlor ich einfach Dinge, wenn ich high war. So wurde mein Auto eingezogen. Nicht weil ich kein Geld hatte, nein, ich vergaß einfach, die Rechnungen zu zahlen. Ich begann, immer mehr Dinge zu vergessen, Dinge, die man in einer normalen, funktionierenden Gesellschaft einfach tun muss. Meine Freunde und ich hatten unsere eigene Gesellschaft. Wir nahmen Drogen, um high zu werden, und tanzten.

      Wir hatten zwar Geld, doch abgesehen davon, dass wir damit Drogen kauften, um den Schmerz zu lindern, wenn sie aufhörten zu wirken, konnten wir uns an dem hart verdienten Geld nicht erfreuen. Wir hatten eigentlich kein Leben. Wir hatten keine eigene Wohnung, fuhren abgewrackte Autos ohne Heizung – und auch die Nächte in Kalifornien können verdammt kalt sein. Ich war immer recht spärlich bekleidet, wenn ich in den Club fuhr und musste mich in Decken einwickeln. Nun nahm ich das Zeug auch schon mehrere Male am Tag und erreichte den Punkt, an dem ich nicht einmal mehr mitbekam, wie viel Meth ich überhaupt nahm. Ich war außer Kontrolle.

      Ich begann, Dinge zu verlieren.

      Ich begann, Freunde und Familie zu verlieren.

      Ich begann, mich selbst zu verlieren. Es war richtig schlimm.

      Dieser letzte Satz war in zweifacher Hinsicht wahr, denn ich aß auch kaum etwas, und wenn ich einmal aß, dann schienen die Drogen mein Gewicht dahinschmelzen zu lassen. Ich war schon immer schlank gewesen, doch meine Freundinnen und ich waren fasziniert davon, wie viel Gewicht wir verloren. Wir wogen uns manchmal mehrere Male pro Tag und waren überrascht, wenn wir das Resultat sahen: „Wow! Sieh doch! 45 Kilo!“

      Ich war wie besessen. Die Folge dieses Verhaltens war eine Essstörung, die mich noch jahrelang verfolgen sollte, sogar noch, als ich mit Ultrarunning anfing.

      Doch ich verlor aufgrund der Suchtmittel nicht nur an Gewicht. Auch meine geistige Gesundheit litt immer mehr darunter. Mit


Скачать книгу