Catra Corbett: Wiedergeburt. Catra Corbett

Catra Corbett: Wiedergeburt - Catra Corbett


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auf diesem Trail wusste, was der andere durchmachte, und deswegen verstanden sie mich auch, ohne meine Lebensgeschichte zu kennen. Da hörte ich plötzlich eine Stimme aus der Dunkelheit.

      „Möchtest du irgendwas?“

      Der Versorgungsposten! Ich hatte es verdammt nochmal geschafft.

      „Ich brauche Kaffee“, sagte ich.

      „Ist leider aus“, sagte die freiwillige Helferin mit mitfühlendem Gesichtsausdruck.

      Das waren schlechte Neuigkeiten. Ich war erledigt. Ich könnte zwar mit den Schmerzen weiterlaufen, aber ich konnte nicht länger wach bleiben.

      „Wir könnten vielleicht noch welchen machen. Denke ich zumindest“, meinte sie.

      „Wie lange würde das dauern?“, fragte ich.

      „Hmm … so etwa 20 Minuten?“

      Ich hatte keine 20 Minuten. In 20 Minuten wäre mein Körper ganz steif, und meine Füße würden sich wie Zementblöcke anfühlen, und ich würde wahrscheinlich einschlafen. Damit war das Rennen für mich zu Ende. Doch in diesem Moment hörte ich Kims Stimme hinter mir.

      „Ist das dein erster Hunderter? Ich habe dich nämlich noch nie zuvor gesehen. Übrigens, ich bin Kim“, sagte eine Läuferin hinter mir in einem warmen texanischen Akzent und mit leuchtend rot geschminkten Lippen.

      Sie hatte wohl schon öfters an diesem Rennen teilgenommen.

      „Wie geht’s dir?“

      „Ich brauche Kaffee“, antwortete ich.

      Kim schüttelte den Kopf. Sie trug Make-up, und das bei einem solchen Wettbewerb. Das fand ich unheimlich lustig.

      „Was du brauchst, ist NoDoz“, sagte sie. „Hier, meine Liebe. Ich hab welche.“

      Dann kramte sie in dem kleinen Rucksack, den sie trug, und holte ein paar rote Pillen hervor.

      Als sie mir die Tabletten hinhielt, durchzuckte es mich. Das Angebot war sehr verlockend, doch ich wusste, dass ich besser nicht zugreifen sollte. Schließlich brachte ich mich hier draußen gerade bei einem 100-Meilen-Rennen um, weil ich endgültig mit meiner Drogenabhängigkeit abschließen wollte.

      XXX

      Meine älteste Schwester Patty war immer gemein zu mir. Im Gegensatz dazu war Peggy immer nett zu mir, obwohl sie an einer bipolaren Störung litt und etwas reserviert wirkte. Ich bin das jüngste der drei Mädchen in unserer Familie. Patty ist neun Jahre älter als ich und Peggy sieben Jahre. Wir haben auch einen Bruder, Jay, der knapp zwei Jahre jünger ist als ich.

      Als Peggy 16 war, nahm sie – wahrscheinlich aufgrund ihrer Krankheit – regelmäßig Drogen und trank Alkohol. Im zarten Alter von neun Jahren war ich damals noch zu jung, um das zu verstehen, aber sie war bereits drogenabhängig.

      Peggy war bei allen meiner frühen Experimente mit Alkohol und Drogen dabei. Das erste Mal, als ich mich mit ihr betrank, war bei einem Konzert der Band Journey, als ich 13 war.

      Bevor ich das erste Mal Marihuana ausprobierte, warnte sie mich: „Wenn du Marihuana rauchen willst, dann muss ich dabei sein.“

      Es war ihre Art, auf mich aufzupassen.

      Am Ende wurde Peggy dann sogar heroinabhängig und landete, trotz aller verzweifelten Versuche meiner Mutter, sie zu retten, auf der Straße. Sie fand nie das, was ihr hätte helfen können, über die Drogen hinwegzukommen.

      Als meine Freunde mich dann dazu drängten, einmal Meth zu probieren, war Peggy nicht mehr da, um auf mich achtzugeben. Wie sich herausstellen sollte, fielen ohne sie alle Schranken bei mir.

      Als ich Mitte 20 war, arbeitete ich in einem Friseursalon und hatte neue Freunde gefunden. Wir gingen gerne in Goth-Clubs tanzen. Alle meine Freunde nahmen Meth (Speed), denn es gab ihnen die Energie zu tanzen. Obwohl ich auch ohne Drogen schon immer eine gewisse Ausdauer hatte – wie viel genau sollte ich erst später herausfinden –, überredeten mich meine Freunde, es trotzdem zu probieren. Als ich das Meth zum ersten Mal sah, ekelte mir davor, und ich traute mich nicht, es zu nehmen. Das reichte einmal eine Zeit lang, um mich davon fernzuhalten. Doch nach einigen Monaten ließ ich mich dann doch breitschlagen.

      Eines Nachts trafen wir uns im Haus eines Freundes, mit der Absicht, später einen Goth-Club zu besuchen. Ich war mit meinem damaligen Freund Jason, der in einer Band spielte, dort. Mit einem Musiker zusammen zu sein war für mich das Coolste überhaupt damals.

      In jener Nacht wollte ich bis Sonnenaufgang im Club bleiben. Zwar hatte ich Mühe, wach zu bleiben, aber ich liebte es zu tanzen, und ich liebte die Goth-Szene. Meine Freunde sprachen alle über diese Wahnsinnsenergie, die ihnen das Meth gab. Damit war auch für mich klar, dass ich mit etwas Meth bis zum Morgengrauen durchtanzen könnte.

      Jeder nahm eine Prise. Dann war ich an der Reihe.

      Jason reichte mir eine durchsichtige Kugelschreiberhülle, die er in zwei Teile gebrochen hatte, und zeigte damit auf die Straße mit dem weißen Pulver vor mir. Das Pulver war fahl, beinahe wie gelber Schnee. Meine Hände zitterten, als ich das Röhrchen nahm.

      Ich zog das Pulver durch die Nase auf, und es fühlte sich an, als hätte ich Schwarzpulver eingeatmet.

      Die Droge bahnte sich ihren Weg in meinen Rachen und begann weiter hinunterzurinnen, so als hätte ich eine üble Verkühlung. Es schmeckte nach Lackentferner. Ich griff mir Jasons Softdrink und nahm einen großen Schluck, um diesen scheußlichen Geschmack loszuwerden.

      Innerhalb weniger Minuten fühlte sich mein Kopf an, als wäre da diese warme, wuschelige, pulsierende Energie. Es fühlte sich an, als betrachtete ich die Welt vom Fenster einer fahrenden U-Bahn aus, nur dass ich die Energie hätte, mit der Geschwindigkeit mitzuhalten.

      Das Pulsieren empfand ich als unangenehm. Dadurch fühlte sich mein Kopf wie eine elektrische Insektenfalle an. Doch die Energie war unglaublich. Es war fantastisch, ich konnte die Nacht durchtanzen, ohne dabei müde zu werden. Ich fühlte mich, als könnte ich ewig weitermachen.

      Die nächsten sechs Monate verwendeten wir Meth nur als Aufputschmittel. Es war eine nette Gelegenheitsdroge. Sich Speed in die Nase ziehen war, als ob man fünf Tassen starken Kaffee hintereinander getrunken hätte. Wir nahmen das Zeug, wenn wir in das wenige Stunden entfernte L.A. fahren und dort durch die Clubs ziehen wollten. Es gab uns die Energie, die ganze Nacht über wach zu bleiben. Es war eine Wunderdroge, ehrlich.

      Allerdings zahlst du auch den Preis dafür. Von dem High wieder herunterzukommen, fühlte sich an wie eine Grippe. Es war eine Krankheit, die mich nicht schlafen ließ. Es fühlte sich an, als würde mein Gehirn permanent gegen einen elektrischen Draht laufen. Ich hatte unglaublichen Hunger, doch keinen Appetit.

      Meistens konnte ich diese Nebenwirkungen vermeiden, indem ich einfach schlief. Normalerweise war ich an diesem Punkt so müde, dass ich für gut zwölf Stunden und länger hätte schlafen können. Wenn ich dann aufwachte, fühlte ich mich wieder prächtig.

      Doch eines schönen Abends im Jahr 1991 kam ich gerade wieder von einem High runter, sollte aber bereits am nächsten Morgen zum ersten Lollapalooza-Festival fahren.

      Bei allen Süchtigen gibt es diesen entscheidenden Moment, und meiner kam an jenem Tag. Das Programm für das erste Lollapalooza war ein Traum, bestehend aus Punk, Alternative, Dance, Electronic und Metal. Es war toll und genau meins. Ich hatte mit einer guten Freundin ausgemacht, zum Festival zu fahren, und wollte es auf keinen Fall verpassen. Allerdings befand ich mich auch in diesem furchtbaren, beschissenen, grippeartigen Zustand, und so schlug mir meine Freundin vor, noch etwas von dem Zeug zu nehmen.

      „Wenn du dir jetzt etwas Speed reinziehst, fühlst du dich wieder besser“, sagte sie.

      Es hörte sich ekelhaft an, so wie ein Martini am Morgen nach einem Kater. Andererseits wollte ich die Show um nichts in der Welt verpassen. So nahm ich mehr Meth und verspürte wieder diesen Brechreiz aufgrund des metallenen Geschmacks, doch nach ein paar Minuten ging es mir wider Erwarten besser. Das war der Punkt, an dem ich feststellte, dass ich diesen scheußlichen


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