Jüdische Altertümer. Flavius Josephus
und floh mit ihrer Schwester, ihren beiderseitigen Kindern, den Dienerinnen nebst ihren Kindern und der gesamten Habe. Jakob aber trieb die Hälfte des Viehes weg, ohne dass Laban dies merkte. Die Götzenbilder aber nahm Rachel mit, obgleich Jakob sie gelehrt hatte, ihre Verehrung zu verschmähen; sie wollte nämlich, wenn ihr Vater ihnen nachsetzte und sie ergriffe, zu ihnen wenigstens ihre Zuflucht nehmen, um seine Verzeihung zu erlangen.
9. Laban, der die Flucht Jakobs und seiner Töchter erst am dritten Tage nachher erfuhr, setzte ihnen voll Zorn mit einer starken Schar nach und erreichte sie am siebenten Tage, als sie sich auf einem Hügel zur Ruhe gelegt hatten; doch enthielt er sich wegen des baldigen Anbruches der Nacht des Angriffes. Gott aber erschien ihm im Schlafe und ermahnte ihn, dem Schwiegersohn und den Töchtern versöhnlich entgegenzutreten und nicht im Zorne gegen sie hart zu verfahren; vielmehr solle er mit Jakob ein Bündnis schließen, denn er (Gott) werde mit Jakob streiten, wenn Laban sich mit ihm in Geringschätzung seiner kleinen Streitmacht in einen Kampf einlassen wolle. Auf diese Vorstellungen Gottes lud Laban am folgenden Tage den Jakob zu einer Unterredung, indem er ihm Kunde von seinem Traume gab. Und da Jakob vertrauensvoll zu ihm kam, machte er ihm Vorwürfe und schalt ihn: arm und hilfsbedürftig habe er ihn aufgenommen und ihm von seinem Überfluss reichlich gespendet. »Meine Töchter«, sagte er, »gab ich dir zur Ehe und hoffte, durch diese Verbindung deine Freundschaft mit mir zu befestigen. Du aber nahmst weder auf deine Mutter noch auf unsere Verwandtschaft, noch auf deine Weiber und Kinder Rücksicht und behandeltest mich nicht anders denn als Feind. Mein Eigentum hast du mir geraubt, meine Töchter zur Flucht aus der Heimat beschwätzt, die Heiligtümer, die meine Vorfahren und ich hoch verehrten, mitgenommen und, was der Feind dem Feinde kaum anzutun wagt, das hast du als mein Neffe, als der Gatte meiner Töchter und noch dazu als mein Gastfreund und Hausgenosse mir angetan.« Darauf entgegnete Jakob, nicht ihm allein, sondern auch allen anderen habe Gott die Liebe zum Vaterlande eingepflanzt, und es sei billig, dass er nach so langer Zeit sich dorthin zurückbegebe. »Was aber den Vorwurf der Beraubung betrifft«, sagte er, »so würdest du von einem anderen Richter wohl selbst wegen Ungerechtigkeit verurteilt werden. Denn du schuldest mir vielmehr Dank dafür, dass ich dein Vermögen bewahrte und vermehrte; wie willst du es also ungerecht finden, dass ich mir einen kleinen Teil davon mitnahm? Und was deine Töchter anlangt, so wisse, dass sie nicht auf bösen Rat von mir hin mich begleitet haben, sondern aus Anhänglichkeit an den Gatten, wie es Eheweibern geziemt. Sie folgen also nicht so sehr mir als ihren Kindern.« So sprach Jakob, um zu beweisen, dass er ihm kein Unrecht getan. Dann aber beschuldigte er den Laban selbst, dass er, der Bruder seiner Mutter und Vater seiner Weiber, ihn zwanzig Jahre lang durch harte Maßnahmen gequält habe. Den Betrug bei der Hochzeit, obgleich er an sich schlimm gewesen, wolle er dennoch nicht so hoch anschlagen; viel schlimmer seien die Vorgänge nach der Hochzeit, von denen man kaum glauben sollte, dass er sie einem Freunde zugemutet hätte. Laban hatte allerdings den Jakob sehr unbillig behandelt; denn da er sah, dass Gott dessen Wünsche sämtlich begünstigte, versprach er ihm bald von den weißen, bald von den schwarzen Schafen. Und als die dem Jakob zukommenden Schafe sehr an Zahl zugenommen hatten, hielt er jedes Mal nicht Wort, sondern versprach sie ihm immer wieder für das nächste Jahr aus Neid über das Wachstum seines Vermögens. Immer tröstete er ihn mit Versprechungen, weil er hoffte, der Nachwuchs werde nicht so groß sein; war dies dennoch der Fall, so betrog er ihn.
10. Wegen der mitgenommenen Heiligtümer aber stellte Jakob ihm eine Untersuchung anheim. Als nun Laban eine solche vornehmen wollte, verbarg Rachel, die davon gehört hatte, dieselben unter der Decke des Kamels, auf dem sie selbst ritt, und setzte sich darauf unter dem Vorgeben, dass sie ihre monatliche Reinigung habe. Darauf stand Laban von der weiteren Durchforschung ab, denn er glaubte, dass seine Tochter sich in diesem Zustande den Götzenbildern nicht nahen würde. Dann schwor Laban dem Jakob, er werde des vorgekommenen Unrechtes ferner nicht gedenken, und dieser hingegen, er werde seine Töchter stets liebevoll behandeln. Dieses Bündnis schlossen sie auf einem Berge, wo sie eine Säule in Gestalt eines Altars errichteten. Davon hat der Berg den Namen Galad und das Land den Namen Galadena erhalten. Alsdann hielten sie ein feierliches Mahl, und Laban kehrte nach Hause zurück.
ZWANZIGSTES KAPITEL
Jakobs und Esaus Zusammentreffen.
1. Auf seinem Marsche nach Chananaea hatte Jakob Erscheinungen, die ihm für die Zukunft gute Hoffnung einflößten; den Ort der Erscheinungen aber nannte er deshalb »Lager Gottes«. Und da er erst die Gesinnung seines Bruders kennen lernen wollte, sandte er Kundschafter voraus, denn er fürchtete ihn wegen des früheren Argwohnes. Diese beauftragte er, Folgendes dem Esau zu sagen: Jakob habe aus freien Stücken die Heimat verlassen, um mit dem erzürnten Bruder nicht zusammenwohnen zu müssen; und nun, da er glaube, nach so langer Zeit werde sich eine Versöhnung bewerkstelligen lassen, mit Weib und Kind und mit einem durch Fleiß erworbenen Vermögen auf dem Heimweg begriffen, wolle er sich mit all seinen Kostbarkeiten ihm ergeben. Denn er halte es für sein höchstes Glück, mit dem Bruder teilen zu können, was Gott ihm beschert habe. Esau war hierüber erfreut und eilte dem Bruder mit vierhundert Bewaffneten entgegen. Als Jakob aber vernahm, dass er mit so vielen Bewaffneten ihm entgegenkomme, erschrak er sehr; doch setzte er seine Hoffnung auf Gott und traf Vorkehrungen für seine und der Seinen Sicherheit, wenn jene feindliche Absichten haben sollten. Zu diesem Zweck teilte er die Seinigen und ließ die einen voranziehen und die anderen nachfolgen, damit die vordersten, wenn sie durch Esaus Angriff bedrängt würden, sich auf die Nachhut zurückziehen konnten. Nachdem er seine Leute so geordnet hatte, sandte er einige mit Geschenken zu seinem Bruder. Diese bestanden in Rindvieh und allerlei Vierfüßern, die dem Empfänger wegen ihrer Seltenheit von großem Wert waren. Die Abgesandten hieß Jakob in Abständen marschieren, damit sie ununterbrochen ankämen und so eine große Zahl vortäuschten. Da es nun wahrscheinlich war, dass die Geschenke den Zorn Esaus besänftigen würden, wenn er überhaupt noch zürne, befahl er den Abgesandten, ihn recht freundlich anzureden.
2. Nachdem unter diesen Anordnungen der Tag verstrichen, setzte sich gegen die Nacht hin der Zug in Bewegung. Als aber die Leute den Gießbach Jabakchus überschritten hatten, blieb Jakob etwas zurück und stieß auf ein Gesicht, gegen welches er ankämpfte und Sieger blieb. Dieses redete ihn darauf an und ermahnte ihn, er solle nicht glauben, gegen etwas Kleines gekämpft zu haben, sondern er habe einen Engel Gottes besiegt. Das sei ihm ein Vorzeichen großen Glückes, und sein Geschlecht werde nicht erlöschen, noch ein Sterblicher es überwinden. Auch befahl ihm der Engel, er solle sich von jetzt an Israël nennen, das heißt in hebräischer Sprache »Bekämpfer des Engels Gottes.« Und er verkündete ihm dies auf sein Verlangen; denn als Jakob merkte, dass ein Engel Gottes ihm erschienen sei, bat er ihn, ihm sein zukünftiges Geschick zu enthüllen. Dann verschwand die Erscheinung. Jakob aber freute sich über das Gehörte und nannte den Ort Phanuel, das heißt »Gottes Angesicht.« Weil er aber beim Ringen einen Schmerz in seiner Hüftsehne empfunden hatte, enthielt er sich von da an der Verspeisung dieses Körperteiles, und auch uns ist seinetwegen nicht erlaubt, davon zu genießen.
3. Als nun Jakob erkannte, dass sein Bruder in der Nähe sei, hieß er die Weiber zur Seite treten und mit ihrem Gefolge von ferne dem Kampf der Männer zuschauen, wenn Esau denselben beginnen sollte. Er selbst aber flehte den nichts Böses denkenden Bruder, als er ihm nahe kam, um Gnade an. Dieser begrüßte ihn und fragte ihn nach seinen Weibern und Kindern, und da er alles vernommen, wollte er sie selbst zum Vater führen. Jakob aber schützte Ermüdung seines Viehes vor; deshalb kehrte Esau zurück nach Saïr, wo er wohnte. Dieser Ort wurde »Zottig« genannt von der rauen Behaarung Esaus.
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Die Schändung der Dina.
1. Jakob kam darauf nach Skenae, wie der Ort noch heute heißt, und von da nach Sikim* im Lande der Chananäer. Und da die Sikimiten diesen Tag festlich begingen, ging Dina, Jakobs einzige Tochter, zur Stadt, um sich den Schmuck der Frauen dieser Gegend anzusehen. Da erblickte sie Sychem, des Königs Emmor Sohn, raubte und schändete sie, und von Liebe zu ihr ergriffen, bat er seinen Vater, ihm das Mädchen zur Ehe zu geben. Dieser willfahrte ihm, ging zu Jakob und ersuchte ihn, seinem Sohne Sychem die Dina zur rechtmäßigen Ehe zu geben. Jakob aber, der weder nein sagen wollte wegen der hohen Würde