Great Green Thinking. Jennifer Hauwehde
dem Jugendrat der Generationen Stiftung geschrieben wurde und »Zehn Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft« aufstellt. Darunter: das Klima retten, den neoliberalen Markt einschränken, soziale Gerechtigkeit schaffen und die Menschenrechte einhalten.
Für mich klingen die Thesen im Buch sehr anschlussfähig, aber ich glaube: Das geht nicht allen so. In meinem Kopf habe ich Bilder von alten Menschen, die keine Lust haben, sich das Steak vom Teller und den SUV unter dem Hintern wegnehmen, und erst recht nicht, sich von jungen Leuten erklären zu lassen, dass sie ihr ganzes Leben falsch gelebt haben. Das »How dare you?« von Greta Thunberg war aufrüttelnd und wichtig57 – in den letzten Monaten wurde daraus allerdings vor allem eines gemacht: ein Generationenkampf.
Geht es wirklich um Alt gegen Jung?
Moritz: Nein. Es gibt keinen Generationenkonflikt. Nicht in Deutschland, aber auch nicht in globaler Perspektive. Tatsächlich sehen wir einen Klassenkonflikt. Nicht mehr zwischen der Arbeiter:innen-Klasse und allen anderen Schichten, sondern zwischen privilegierten und weniger privilegierten Menschen – und auf globaler Ebene zwischen globalem Norden und globalem Süden. Hätten wir Generationenkonflikte, wäre politisches Handeln von vornherein zum Scheitern verurteilt: Wenn die Jungen sowieso dafür und die Alten hierfür wären, könnte man am System nichts ändern. Das führte zu politischem Stillstand. Die wirklichen Konfliktlinien verlaufen woanders. Zu sagen, wir hätten einen Generationenkonflikt, verkürzt politische Debatten, und das ist gefährlich.
Sophia: Für eine Schuldfragen-Debatte haben wir außerdem definitiv keine Zeit. Das würde die Lage ja nicht ändern. Es geht hauptsächlich darum, eine Zukunft zu gestalten. Dabei natürlich auch die Vergangenheit im Blick zu behalten, aber den Fokus darauf zu setzen: Was können wir hier und jetzt konkret verändern?
Moritz: 15 Prozent der Wahlberechtigten sind unter 30 Jahre alt. Selbst wenn in unserer Generation alle Menschen genauso denken würden wie wir, dann würden sie immer noch nur 15 Prozent der Wahlberechtigten stellen. Und das ist einfach nicht genug, um einen Wandel anzustoßen. Dem gegenüber stehen 36 Prozent Wahlberechtigte über 60 Jahre. Wenn man diese 36 Prozent bei ihrem Gewissen packen und zur Verantwortung ziehen könnte, um eine zukunftsfähige Politik zu gestalten – dann könnte man tatsächlich einen Richtungswechsel realisieren.
Was bedeutet »Generationengerechtigkeit«?
Sophia: Es gibt zwei Arten, den Generationenbegriff zu definieren. Einerseits die Einteilung in die junge, mittlere und alte Generation. Andererseits: Wir sind jetzt die eine Generation, die gemeinsam auf der Erde lebt – und es gibt die kommende Generation, die noch nicht geboren ist. Dann wären wir alle in einer Generation. In dieser Generation ist es wichtig, miteinander zu sprechen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen.
GENERATIONEN STIFTUNG/ JUGENDRAT
Die Generationen Stiftung hat in den Jahren 2013 und 2017 zu den Bundestagswahlen das Generationen Manifest60 verfasst und die Politik zu generationengerechten Lösungen für die multiplen Krisen unserer Zeit aufgefordert. Da trotz einer Viertelmillion Unterschriften keine Änderung auf politischer Ebene in Sicht war, wurde von der Unternehmerin Claudia Langer und einigen Mitstreiter:innen im Jahr 2017 die Generationen Stiftung gegründet, um konstanten Druck auf die Parteienlandschaft ausüben zu können. Teil der Stiftung ist der Jugendrat, der aus Menschen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren besteht und sich im Kontext der Stiftung aktivistisch für die Belange kommender Generationen einsetzt. Das Kuratorium besteht aus »den Alten«, die wissenschaftlich beraten und mit Kontakten, Rat und Ideen zur Seite stehen.
Moritz: Wir im 21. Jahrhundert im Vergleich zu den Menschen aus dem 25. Jahrhundert. Das ist aus unserer Sicht die viel spannendere, also die intergenerationelle Perspektive, die unserer Arbeit zugrunde liegt. Sie muss zum Maßstab in allen Politikfeldern werden. Gleichzeitig ist sie ein interessantes Framing: Denn egal, mit wem man spricht – fragt man: »Wollen Sie Generationengerechtigkeit?«, stehen alle dahinter. Daran kann man gut anknüpfen: Jede:r will, dass es Kindern, Enkel:innen und Urenkel:innen später gut geht. Wenn man Verständnis dafür schafft, was das für uns heute aber bedeuten muss und wie wir unser Leben umstellen müssen – dann ist es möglich, dafür Unterstützung zu mobilisieren.
Als ich vor ungefähr sechs Jahren angefangen habe, mich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen, ging das vor allem über meinen Konsum. Ich habe auch in meinem Umfeld beobachtet, dass man vor allem grün kauft, sich vegan ernährt und ein bisschen hier und da macht – dann ist aber auch gut. Der entscheidende Punkt, den beispielsweise Fridays for Future zum Aushängeschild der Bewegung gemacht haben, ist aus meiner Perspektive, dass sie den Diskurs auf die systemische Ebene gehoben haben: weg vom individuellen Konsum hin zum größeren Bild. Ich glaube, viele Menschen arbeiten sich daran ab, dass sie so spät angefangen haben, über systemische Fragen nachzudenken. Moritz: Das ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen neoliberalen Politik, die wir alle stark internalisiert haben. Wie kann ich das Klima schützen? Ich muss mich vegan ernähren! Viele Menschen kommen gar nicht darauf, dass man auch grundlegend das System ändern und allgemein verbindliche Regeln umschreiben könnte. In den letzten zwei Jahren erlebe ich eine leichte Diskursverschiebung, aber 2016 hat darüber noch kein Mensch diskutiert. Alle hatten das Narrativ, dass Politik gar nichts machen kann und machen soll und alle selbst verantwortlich seien, unhinterfragt übernommen. Das wird langsam aufgebrochen. Konsumkritik allein wird es nicht richten. Jede:r von uns versucht, nachhaltig zu leben – aber da draußen wird mit harten Bandagen gekämpft. Das Klima geht nicht zugrunde, weil zwei Leute Fleisch essen. Es ist toll, wenn sie kein Fleisch mehr oder wenigstens Biofleisch essen, aber das reicht nicht, das wird die Welt nicht retten.
Sophia: Die negativen Seiten des Neoliberalismus werden immer sichtbarer – und das zwingt uns zum Handeln. Diese Krise ist auch ein ständiges Hinterfragen: von Weißsein, von Mann- oder Frausein. Was heißt es denn heute, ein Mann oder eine Frau oder ein anderes Geschlecht zu sein? Es gibt sehr viele offene Fragen in einem System, in dem man unter einem starken Konkurrenzdruck steht und immer überall der:die Beste sein soll – mit der Illusion vom Wachstum, das nie aufhört.
In Deutschland und weltweit würde es den Menschen besser gehen, wenn eine globale sozioökologische Transformation vollzogen würde, meinen die beiden. Es gelte, die Mehrheit davon zu überzeugen, dass viel zu gewinnen sei. Das sieht auch Professorin Doris Fuchs, Inhaberin des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen und Nachhaltige Entwicklung an der Universität Münster, so: »Die Frage ist nicht: Wollen wir, oder wollen wir nicht? Die Frage ist: Schaffen wir es, den politischen Diskurs darauf zu fokussieren, wie wir das konkret angehen können?«
Doch wenn alles weitergeht wie bisher (und danach sieht es leider aus), wird kein Land der Erde die Klimaziele des Pariser Abkommens einhalten, weder für 2°C noch für 1,5°C Erderhitzung. »Keine Partei in Deutschland hat ein konkretes Konzept dafür ausgearbeitet, wie das 1,5°C-Ziel eingehalten werden soll!«, empören sich Sophia und Moritz. Gleichzeitig haben die wenigen – also die an den Schalthebeln mit dem vielen Geld und der vielen Macht – es geschafft, dass wir als Individuen uns untereinander die Köpfe einhauen im Wettbewerb um den nachhaltigsten Lebensstil und hämisch mit dem Finger auf die zeigen, die immer noch! nicht fair einkaufen.
Gerade haben wir also eine äußerst unbefriedigende Situation vorliegen: Einige wenige sorgen dafür, dass kein Staat der Welt bisher eine ernsthafte Klimapolitik zustande gebracht hat – gegen den Willen der vielen: Die Mehrheit der Bürger:innen hat erkannt, dass Umwelt und Klimaschutz essenziell sein werden, um die Zukunft zu meistern (69 Prozent), Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern (62 Prozent und 55 Prozent) und Arbeitsplätze zu erhalten (55 Prozent).58 Damit sind die Leute auf der Straße klüger als