Great Green Thinking. Jennifer Hauwehde

Great Green Thinking - Jennifer Hauwehde


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Milena Zwerenz

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      Die Tomaten in der Gemüseabteilung lächeln mich an. Leider ist es ein trauriges Lächeln, denn sie liegen eingeschweißt in einer Plastikverpackung. »Regional« lese ich auf dem Schild darüber – und verspüre eine gewisse Erleichterung. Das ist doch eigentlich nicht schlecht, oder? Aber wie regional heißt regional? Und ist gerade überhaupt Tomatensaison, oder kommen die aus dem Gewächshaus? Wie sah das da noch mal mit der Ökobilanz aus? Hilfe!

      So oder so ähnlich läuft wahrscheinlich bei vielen, die sich bereits mit nachhaltigem Konsum auseinandergesetzt haben, der ständige Abwägungsprozess ab (ja, ich gucke auch in deine Richtung, Hafermilch im Tetrapack). Ist die eingeschweißte regionale Tomate denn nun ökologisch vertretbarer als die unverpackte aus den Niederlanden, wo und unter welchen Bedingungen wurden meine Sneaker produziert, und nicht zuletzt: Brauche ich dieses Produkt wirklich? Das sind nur ein paar wenige Beispiele von vielen, doch solche oder ähnliche Überlegungen treiben uns und alle, die nachhaltig leben wollen, immer wieder um. Kleidung kaufen wir bereits secondhand, aber darf es dann trotzdem auch Fast Fashion sein? Wir wollen die Welt sehen, aber inwiefern helfen Flugkompensationen beim umweltfreundlichen Reisen wirklich? Sollten wir dieses Buch hier überhaupt drucken lassen, oder dürfte es nur digital verfügbar sein?

      Ein bisschen fühlt es sich an, als könnten wir es gar nicht richtig machen, denn obwohl wir bereits möglichst viel Plastik vermeiden, weitestgehend auf tierische Produkte verzichten und, so oft es geht, den Zug nehmen, weisen wir uns innerlich ständig darauf hin, was wir nicht schaffen, was noch besser laufen könnte, wo wir an unsere Grenzen stoßen. Selbst-Whataboutism vom Feinsten. Fest steht nur: Nachhaltig leben zu wollen ist eine Herausforderung – und stark an die persönlichen Umstände gekoppelt, an soziale genauso wie an ökonomische. Dass ihr und wir, die Autorinnen, uns über das ganze Thema überhaupt Gedanken machen können – und das sollten wir an keiner Stelle vergessen –, ist ein Privileg.

      Warum ich das alles erzähle? Weil auch Jenni und ich uns immer wieder fragen, wie wir möglichst ökologisch und sozialverträglich handeln können. Ständig (!) stoßen wir dabei an unsere ganz persönlichen Grenzen. Aber warum ist das eigentlich so? Offensichtlich liegt es nicht allein am Bewusstsein für Umweltthemen, wie ökologisch wir letztlich wirklich handeln – oder etwa doch?

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      Wenn mich jemand gefragt hat, worum es in diesem Buch gehen soll, antwortete ich als Erstes meist ganz platt: »Um Nachhaltigkeit.« Doch noch während ich das Wort aussprach, merkte ich bereits, was für einen allumfassenden und gleichzeitig leeren Begriff ich da in den Raum geworfen hatte. Hello, Buzzword! Schließlich durchzieht dieses grün schillernde Wort mittlerweile all unsere Lebensbereiche. Der Kaffeeladen um die Ecke wirbt genauso mit »Green Coffee« (was auch immer das sein soll) wie Autohersteller:innen mit grüner Technik. Dementsprechend schob ich immer noch eine Erklärung hinterher, die in dem Moment galt und genauso jetzt noch zutrifft: Uns geht es mit diesem Buch weder darum, einen Ratgeber zur Plastikvermeidung, noch, hochwissenschaftliche Analysen von Klimadaten zu liefern. Uns interessiert im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit vor allem das Spannungsfeld zwischen individueller und politischer Verantwortung. Wo stehen wir selbst auf diesem Planeten? Wie viel können wir als Einzelpersonen nachhaltig beeinflussen, und wo kommen wir an unsere Grenzen? Welche Rolle spielen wir innerhalb eines größeren Systems und welche Rolle das System? Wollen wir wirklich die Umwelt schützen oder nicht vielmehr uns selbst? Oder ist das am Ende sowieso dasselbe? Da wir das nicht allein beantworten können, wollen wir uns dem Fragenkomplex auf unterschiedlichen Ebenen und aus verschiedenen Perspektiven nähern.

      Wir wissen, dass wir mit diesem Buch keine simplen Antworten oder Handlungsanleitungen für die perfekte Transformation hin zu einer idealen Weltgemeinschaft liefern können – wenn es so einfach wäre, dann hätte das wohl schon jemand vor uns übernommen. Was wir aber versuchen, ist Nachhaltigkeit gesamtgesellschaftlicher zu betrachten, als es unserer Meinung nach oft geschieht. Wenn wir mit diesem Buch dazu beitragen, dass sich der Diskurs über Nachhaltigkeit verändert – im Kleinen wie im Großen –, dann ist aus unserer Sicht schon viel erreicht.

      Die Zukunft können wir am besten voraussagen, indem wir sie selbst gestalten, heißt es. Auch wenn das etwas pathetisch klingen mag, stimmt es wohl: Die Gegenwart bedingt unausweichlich unsere Zukunft. Wir wollen herausfinden, was das für jede:n Einzelne:n von uns bedeutet.

      IMMER WIEDER DAS INDIVIDUUM

      Für viele mag der Winter 2018/2019 als der Winter von Fridays for Future in Erinnerung bleiben. Für mich war die Zeit vor allem von der Geburt meines Sohnes geprägt. Ganz in unsere eigene kleine Welt versunken, beobachtete ich aus den Augenwinkeln, wie sich draußen auf den Straßen eine neue Bewegung formierte. »Na endlich!«, dachte ich. Endlich bekommt die Frage, wie wir mit dem Planeten umgehen, auf dem wir leben, mehr Aufmerksamkeit. Endlich reflektieren mehr Leute, wie sie nachhaltiger leben können. Endlich passiert etwas! Egal, wie diese Bewegung nun, mit etwas zeitlichem Abstand, inhaltlich und personell zu bewerten ist – Stichworte: elitär, urban, zerstreut, unkonkret –, so versprühte sie eine Hoffnung auf Veränderung. Mich beeindruckte, mit welcher Beharrlichkeit sich die Demos etablierten, mit welcher Wucht sie wuchsen. Beim globalen Streik im September 2019 nahmen laut Organisator:innen mehr als vier Million Menschen weltweit teil.1 Plötzlich kam niemand mehr so leicht um das Thema Nachhaltigkeit herum, die Proteste dominierten die mediale Berichterstattung. Auch Umfragen des Umweltbundesamtes zeigen, dass 2019 mehr Menschen in Deutschland den Umwelt- und Klimaschutz als wichtige, sogar die wichtigste gesellschaftliche Herausforderung ansahen (fast 70 Prozent der Befragten) als noch in den Jahren zuvor.2

      Gleichzeitig änderte sich wenig an der Art, wie über Nachhaltigkeit gesprochen wurde. Diverse Ratgeber – die durchaus ihre Berechtigung haben, I know, ich habe selbst genügend von ihnen geschrieben – fluteten die Online-Blogs, Magazine und Zeitungen. So kannst du Plastik sparen, so machst du dir dein Shampoo selbst, kauf dir hier noch eine Bambuszahnbürste. Zum einen störte mich, dass viele dieser Artikel jetzt erst kamen – als ob es ein Gespräch darüber vorher nicht gebraucht hätte. Ein ähnliches Verhalten war auch bei der Black-Lives-Matter-Bewegung zu beobachten, als von heute auf morgen alle Medien ihre antirassistische und superdiverse Haltung betonten. So unfassbar wichtig diese Aufmerksamkeit war und ist, im Hintergrund schwang immer die Frage mit: Geht es hier wirklich darum, nachhaltig den Diskurs zu verändern, oder nur um Clicktivism und Imageerhalt?

      Zum anderen hatte ich das Gefühl, dass sich alles immer wieder um die gleichen Inhalte drehte, mit dem:der gebildeten, gut situierten Konsument:in im Mittelpunkt. Selbst das wohl bekannteste Gesicht der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung Luisa Neubauer beschwert sich in ihrem Buch Vom Ende der Klimakrise darüber, in Interviews oder Talkshows am Ende immer das gleiche gefragt zu werden, nämlich, was jede:r Einzelne im Alltag tun könne: »Da sitzen wir fast zwei Stunden und besprechen die größte und wohl komplexeste Krise der Menschheitsgeschichte. Wir betonen, wie wichtig es ist, an den großen Stellschrauben zu drehen, systemische Fragen zu stellen, einen strukturellen Wandel einzuleiten, weil wir nur noch so wenig Zeit haben, den ganzen Laden zu dekarbonisieren. Womit die Menschen aber aus Diskussionen wie dieser entlassen werden, ist die völlig erwartbare Antwort auf die Klimaschutz-im-Alltag-Frage.«3

      Als ob sich mit der richtigen Einkaufstaktik alles lösen ließe. Als ob mit all diesen Produkten rund ums vermeintlich nachhaltige Leben nicht wieder alte Konsummuster reproduziert würden. Vielleicht frustrierte mich auch einfach nur, wie schwer ich es selbst fand, die richtige Taktik zu finden. Woran das liegt, nämlich an den – wie ich mittlerweile besser weiß – nötigen strukturellen Veränderungen, ließen die meisten Artikel unerwähnt. Auch die Komplexität des Lebens, wie das Privileg, sich überhaupt mit Nachhaltigkeitsfragen beschäftigen zu können, blendeten sie aus. Was würde es bringen, wenn sich plötzlich alle fürs gute Gewissen Haarseifen kauften, aber Flugreisen trotzdem so wenig kosteten? Was nützte das Wissen über die schlechten Produktionsbedingungen von Kleidung, wenn sie weiter billig in den Läden hing? Und


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