Great Green Thinking. Jennifer Hauwehde
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DIE IDEE IST JA GANZ NETT, ABER …
Wenn wir heute über Nachhaltigkeit sprechen, dann geht es gefühlt nur um den Gegensatz Konsum versus Verzicht (generell und auf bestimmte Produkte), um nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen, um Müllvermeidung, CO2-Einsparung. Jede:r fängt erst mal bei sich selbst an. Klar, das ist auf den ersten Blick auch greifbarer und leichter umsetzbar, als über große politische Veränderungen nachzudenken. Auf den Klappentexten von Ökoratgebern heißt es schließlich auch gern: »Wie sich Nachhaltigkeit mit spielerischer Leichtigkeit in den Alltag integrieren lässt«.4 Als wäre ein nachhaltiges Leben pipieinfach. Und ja, anfangs fühlt sich nachhaltiger zu leben auch leicht an. Einweg-Coffee-to-go-Becher durch wie-derverwendbare zu ersetzen, angebrochene Lebensmittel in Bienenwachspapier zu hüllen oder den Urlaub nach Brandenburg statt an die Costa Brava zu planen stärkt erst mal das ökologische Selbstbewusstsein. Wenn sich andere Menschen davon mitreißen lassen, noch besser. In meiner Mittagspause habe ich mir Essen zum Mitnehmen immer in eine Brotdose packen lassen, um den Verpackungsmüll zu sparen. Mittlerweile stehe ich längst nicht mehr allein mit Tupperdose in der Schlange vorm Suppenladen. So ein Effekt lässt sich nicht ausblenden. Doch nach einiger Zeit hat auch mich die Realität eingeholt. Leider steht im Supermarkt nicht nur Unverpacktes, leider habe ich nicht immer die Zeit, erst nach der absolut fairsten Variante für neue Schuhe zu suchen, leider weiß ich bei vielem nicht mehr, was nun tatsächlich die bessere Lösung ist. Ein Beispiel: Während wir dieses Buch schreiben, hat Oatly, eine der weltweit führenden Haferdrink-Marken, einen Deal mit Blackstone abgeschlossen. Ein Investor, der durch andere Geschäfte unter anderem dafür verantwortlich ist, dass Regenwald abgeholzt wird, und deren CEO zudem den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump unterstützt. Für die einen ist das Anlass, die schwedische Marke zu boykottieren. Schließlich steht der Deal in einem krassen Widerspruch zu dem, was das Unternehmen eigentlich verkauft, nämlich Gesundheit und Nachhaltigkeit.5 Andere wiederum – auch die Marke selbst – argumentieren, dass eben leider so das kapitalistische System funktioniere. Und wenn auf diese Weise Investor:innen dazu gebracht würden, nachhaltige Unternehmen zu unterstützen, sei das doch ein Erfolg. So die verkürzte Version. Die ganze Debatte spiegelt aber ein grundsätzliches Problem wider: Insbesondere wenn es um Nachhaltigkeit geht, gibt es nicht nur Schwarz und Weiß, Grün kann in mehreren Abstufungen daherkommen. Häufig werden verschiedene Faktoren gegeneinander aufgewogen oder ausgespielt. Wiegt der ökologische Vorteil von Hafermilch mehr als die moralischen Bedenken? Oder sollten derart wirtschaftende Unternehmen systematisch boykottiert werden? Letztlich muss das jede:r für sich selbst entscheiden. Diese Undurchsichtigkeit verlangt uns Konsument:innen ganz schön viel ab. Dann zu sehen, wie in derselben Welt mehr als offensichtlich umweltschädliche SUVs an mir vorbeifahren, macht die ganzen mühevollen Abwägungen aber gefühlt zunichte.
DAS SCHLECHTE GEWISSEN KAUFT MIT EIN
Je mehr wir über bestimmte Branchen und Produkte wissen, desto schwieriger wird es, sich »richtig« zu entscheiden. Vor ein paar Jahren habe ich (why not?) ein Buch über Zucker gelesen, das mich erst mal ziemlich ratlos zurückgelassen hat. Plötzlich erschien mir jedes Produkt im Supermarkt wie ein Produkt aus der Hölle, alles nur Verarsche, überall steckte deutlich mehr Süßzeug drin als vermutet. Zunächst wusste ich nicht so richtig damit umzugehen, lief frustriert durch die Gänge und genoss selbst das Essen im Restaurant kaum noch. Eine Freundin, der ich davon erzählte, schien sich nicht so sehr an den Fakten zu stören oder konnte sie ausblenden. Der Anspruch an mich selbst lag hier offensichtlich deutlich höher, obwohl wir uns beide in derselben Welt bewegten. Dabei konnte ich ihr Verhalten gut nachvollziehen: Sich in einer nicht zuckerfreien Welt zuckerfrei ernähren zu wollen ist nahezu utopisch. Warum sich also damit stressen? (An dieser Stelle: Respekt an alle, die es trotzdem schaffen!) Ein Bewusstsein für das Zucker-Problem ist gut, aber Askese auch nicht die Lösung. Ganz ausblenden kann ich die Tatsache im Alltag trotzdem nicht, das Bewusstsein verschwindet schließlich nicht. Eben dieses Gefühl lässt sich auf Konsumentscheidungen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit übertragen – wobei es sich hier nicht nur so anfühlt, als würde ich mir selbst schaden, wenn ich das Falsche kaufe, sondern gleich der ganzen Welt.
Umso beunruhigender, dass es anderen auch so schwerfällt, stets die nachhaltigste Entscheidung zu treffen. In einer Studie zum Umweltbewusstsein der Deutschen, die das Umweltbundesamt alle zwei Jahre durchführt, gaben 2018 zwar 64 Prozent an, Umwelt- und Klimaschutz als eine der wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen anzusehen, und schätzten ihren Umweltaffekt und ihre Umweltkognition, also die emotionale Betroffenheit und die rationale Einschätzung, recht hoch ein (7,2 und 7,9 von zehn möglichen Punkten). Beim umweltbewussten Verhalten lag der Wert jedoch bei gerade einmal 4,6 Punkten.6
Wenn wir dann letztlich doch etwas kaufen, von dem wir definitiv wissen, dass es nicht die richtige Entscheidung ist (von manchen Medien verspielt »Öko-Fails« genannt7), meldet sich schnell das schlechte Gewissen. Mittlerweile ist dieses Gefühl offensichtlich so weitverbreitet, dass es gar einen eigenen Begriff wert ist: Eco Guilt oder Green Guilt, grüne Schuld. Sie spüren wir, wenn der Versuch, alles richtig machen zu wollen, scheitert – also eigentlich ständig. Selbst wenn wir uns aus unserer Sicht schon wirklich viel Mühe geben. Wenn wir wieder einmal merken, dass es einfach unfassbar schwer ist, als Einzelperson tatsächlich etwas zu bewirken, weil die konsumfreundliche Realität eben komplexer als unsere ökologischen Absichten ist. Wir verspüren dieses Gefühl, obwohl wir wissen, dass wahrscheinlich niemand alles richtig macht. Wie oft bin ich in Gesprächen über ethischen Konsum bei »Um wirklich nachhaltig zu leben, müssten wir irgendwo in einer Hütte im Wald leben und uns selbst versorgen« gelandet.8
Warum aber schaffen wir es trotz starker Absicht nicht, uns auch entsprechend dieser zu verhalten? In dem Zusammenhang sprechen unter anderem auch David Scholz und Leonie Kott von Psychologists for Future, angelehnt an die Arbeiten der beiden Psychologen Paschal Sheerans und Thomas L. Webbs9, von der sogenannten Intentions-Verhaltens-Lücke. Sie geht oft mit Rechtfertigungen einher, mit denen die getroffenen Entscheidungen schöngeredet werden. Etwa, wenn man einen Flug bucht und sich einredet, dass es ja nur das eine Mal sei. Oder wenn man sich neue Kleidung kauft, die unnötig, aber angesagt ist, weil man sich ausnahmsweise auch mal etwas gönnen will. Ähnliches Verhalten kennen auch viele Menschen, wenn die Neujahrsvorsätze schon nach wenigen Tagen gescheitert sind: Sorry, es fehlt mir einfach die Zeit für Sport.
Weshalb Menschen entgegen ihrer Überzeugungen handeln, hängt von mehreren Faktoren ab. Zunächst ist die Qualität der Intention entscheidend. Ist das Ziel klar definiert und tatsächlich erreichbar? Ist der Wunsch nach Veränderung intrinsisch, also kommt er von der Person selbst, oder basiert er auf den Erwartungen anderer? Hinzukommen selbstregulatorische Schwierigkeiten, also Hürden bei der Umsetzung, entweder weil man nie anfängt, nicht dranbleibt (etwa weil kein Fortschritt beobachtet wird) oder weil man nicht zum Ende kommt. Die Psychologists for Future empfehlen deshalb auch, kleine Ziele zu stecken und Kompromisse einzugehen, also etwa erst mal nur unverpacktes Obst und Gemüse zu kaufen, statt direkt Zero Waste als Megaziel zu verfolgen, sowie die eigene tatsächliche Motivation zu hinterfragen.10
Aber genau in diesen (durchaus auch hilfreichen) Tipps versteckt sich das Grundproblem, mit dem wir alle kämpfen: Wie sollen wir in einer nicht nachhaltigen Welt nachhaltige Entscheidungen treffen? Hinzu kommt, wie das Oatly-Beispiel zeigt, dass manchmal gar nicht ersichtlich ist, wie nun die sinnvollste Lösung aussähe.
WER DIE WAHL HAT, HAT DIE WAHL, HAT DIE WAHL
Während meiner Elternzeit habe ich mir fast gar keine neuen Kleidungsstücke gekauft. Fürs Büro musste ich mich nicht herrichten, das Kind hat sich sowieso nur für meine Brüste interessiert, und mir blieb generell nicht viel Zeit, über mein Aussehen nachzudenken. Nach einiger Zeit merkte ich aber, dass mir meine Hosen nicht mehr