Und das ist noch nicht alles. Ansgar Röhrbein

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können. Getreu dem berühmten Zitat von Martin Buber: »Der Mensch wird am Du zum Ich«.

      Nach den Psychologinnen und Psychotherapeutinnen Friederike Potreck-Rose und Gitta Jacob (2003, S. 70 ff.) ruht der Selbstwert auf den vier Säulen Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen, soziale Kompetenz und soziales Netz (Abb. 2). Den Autorinnen zufolge beschreibt Selbstakzeptanz die positive Einstellung zu sich selbst: sich selbst anzunehmen, wie man ist, mit allen Stärken und Schwächen, mit seinem Aussehen, seinen Bedürfnissen und Grenzen. Das Selbstvertrauen gründet sich in einer positiven Einstellung gegenüber den eigenen Fähigkeiten und Leistungen sowie dem eigenen Können und den damit erzielten Ergebnissen. Soziale Kompetenz beschreiben die Autorinnen als »das Erleben von Kontaktfähigkeit« (ebd., S. 77 f.). Sozial kompetent ist jemand, der flexibel reagieren und sich an Menschen und Situationen in angemessener Form anpassen kann. Das soziale Netz steht schließlich für die Eingebundenheit in unterschiedliche soziale Systeme und eine stabile wechselseitige Qualität der Beziehungen im Hinblick auf Verlässlichkeit und Wichtigkeit (ebd., S. 78 f.).

      Im Hinblick auf die notwendigen Voraussetzungen innerhalb der Familie ist es aus Sicht der US-amerikanischen Psychotherapeutin und Familientherapeutin Virginia Satir (1994, S. 48) zur Entwicklung eines stabilen Selbstwertgefühls notwendig, dass Kinder in einer Atmosphäre aufwachsen,

      »in der individuelle Unterschiede gewürdigt werden, Liebe offen zum Ausdruck gebracht wird, wo die Möglichkeit besteht, aus Fehlern zu lernen, wo offen kommuniziert wird, Regeln flexibel gehandhabt werden, Verantwortlichkeit (Übereinstimmen von Versprechungen und deren Umsetzung in der Realität) vorgelebt wird und Ehrlichkeit praktiziert wird.«

      Die Pädagogin Christina Krause und der Gesundheitswissenschaftler und Psychotherapeut Rüdiger-Felix Lorenz definieren in ihrem ausgesprochen gelungenen Buch »Was Kindern Halt gibt – Salutogenese in der Erziehung« das Selbstwertgefühl als »die gefühlsmäßig verankerte Beziehung eines Menschen zu sich selbst … [welche] die Akzeptanz der eigenen Person sowie Zuversicht in die eigenen Möglichkeiten ein[schließt]« (Krause u. Lorenz 2009, S. 51). Analog zu Potreck-Rose und Jacob beschreiben sie ähnliche Bedingungen, die zu einem günstigen Wachstumsprozess führen (ebd.): »Das Selbstwertgefühl entsteht aus dem Erleben von Angenommenwerden, von Kompetenz, von Partizipation und von Anerkennung.« Hier wird deutlich, wie stark der Mensch mit seiner Binnenstruktur in Interaktion mit seiner Umgebung steht und wie beide Dimensionen, die intra- und die interpersonelle, sich wechselseitig bedingen und stärken.

       2.5Autonomie

      Ein weiterer für die Biografiearbeit wichtiger Begriff ist Autonomie. Der Duden definiert sie als

      1. (bildungssprachlich) [verwaltungsmäßige] Unabhängigkeit, Selbstständigkeit

      Der argentinische Autor, Psychiater und Gestalttherapeut Jorge Bucay erläutert in seinem Werk »Drei Fragen – Wer bin ich? Wohin gehe ich? Und mit wem?« den Wortstamm wie folgt (Bucay 2017, S. 84):

      »Das Wort Autonomie klingt technisch und distanziert, aber gemäß seiner etymologischen Bedeutung (von auto, was »selbst« bedeutet, und nomos, was »Gesetz oder Norm« heißt) beinhaltet es ganz ohne Zweifel die Herausforderung, frei zu sein. Autonom ist jemand, der immer in der Lage ist, seine eigenen Regeln, Gesetze und Gewohnheiten festzulegen, zu handhaben und zu systematisieren.«

      Bieri versteht unter Autonomie »die Bestimmung über mich selbst« (Bieri 2016, S. 73), und er führt an anderer Stelle aus (ebd., S. 13):

      »Selbstbestimmt ist unser Leben, wenn es uns gelingt, es innen und außen in Einklang mit unserem Selbstbild zu leben – wenn es uns gelingt, im Handeln, im Denken, Fühlen und Wollen der zu sein, der wir sein wollen.«

       2.6Ressource

      1. natürlich vorhandener Bestand von etwas, was für einen bestimmten Zweck, besonders zur Ernährung der Menschen und zur wirtschaftlichen Produktion, [ständig] benötigt wird

      2. Bestand an Geldmitteln, Geldquelle, auf die jemand zurückgreifen kann

      Als Ressourcen werden laut dem Psychologen Hilarion Gottfried Petzold (1997, S. 451 f.) »alle Mittel gesehen, durch die Systeme sich als lebens- und funktionsfähig erhalten (operating), Probleme bewältigen (coping), ihre Kontexte gestalten (creating) und sich selbst im Kontextbezug entwickeln können (developing)«. Die Psychologen Thomas Möbius und Sibylle Friedrich betrachten personale, soziale und materielle Ressourcen als »diejenigen Mittel …, die zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben personaler und sozialer Systeme wesentlich beitragen« (Möbius u. Friedrich 2010, S. 15).

      Der Schweizer Entwicklungspsychologe Werner Wicki (1997, S. 49) unterscheidet Ressourcen in drei Kategorien (Tabelle 3).

Herkunft
Personale Ressourcen Familiale Ressourcen Außerfamiliale Ressourcen
Materiell/physisch Körperliche Gesundheit, Kleidung, persönliches Vermögen, Besitz Wohnraum, Nahrungsmittel, Einkommen Sozialleistungen, soziale Stützsysteme (im Sinne materieller Hilfe)
Psychisch/sozial Bildung, psychisches Wohlbefinden, Überzeugung, Persönlichkeit, Belastbarkeit Zusammenhalt, partnerschaftliche Unterstützung, Rituale, Werte, Kultur, Erziehung Soziale Unterstützung, soziale Stützsysteme (informationsbezogene Hilfe), gute Dritte

       Tabelle 3: Ressourcentypen mit Beispielen (aus Wicki 1997, S. 49)

      Der Soziologe Norbert Herriger stellt eine umfassende Definition vor, die besonders auf die funktionale Bedeutung und die Gestaltung im Alltagsleben fokussiert (Herriger 2006, S. 3):

      »Unter Ressourcen wollen wir somit jene positiven Personenpotenziale (»personale Ressourcen«) und Umweltpotenziale (»soziale Ressourcen«) verstehen, die von der Person

      1) zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse,

      2) zur Bewältigung altersspezifischer Entwicklungsaufgaben,

      3) zur gelingenden Bearbeitung von belastenden Alltagsanforderungen,

      4) zur Realisierung von langfristigen Identitätszielen genutzt werden können und damit zur Sicherung ihrer psychischen Integrität, zur Kontrolle von Selbst und Umwelt sowie zu einem umfassenden biopsychosozialen Wohlbefinden beitragen.«

       2.7Autobiografisches Gedächtnis

      Kommen wir nun am Ende dieses Kapitels zur Erläuterung dessen, was uns überhaupt in die Lage versetzt, frühere Erfahrungen und Erlebnisse erinnern zu können. Sich in der Zeit erinnern zu können ist eine Fähigkeit, die Menschen erst mit den Jahren erlernen. Die erste Stufe


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