Inseln der Macht. Frank Westermann

Inseln der Macht - Frank Westermann


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dass der Transport ohne Zwischenfälle auf die Reise geht. Sie haben das ja schon öfter gemacht. Alle weitere Verantwortung liegt dann bei Süd.«

      Er nickte Christer und Lerc zu.

      »Unterschreiben Sie die ordnungsgemäße Übergabe und folgen Sie den Leutnants. Und noch was: Seien Sie vorsichtig, die drei sind gefährlich. Wir haben sie zwar ordentlich rangenommen, aber man weiß nie, was noch in ihnen steckt.«

      Christer beeilte sich, die Formulare zu unterschreiben. Je eher sie hier rauskamen, desto besser.

      Dann führten die Soldaten sie zu den drei Einzelzellen. Der entscheidende Augenblick rückte näher. Wenn die drei Christer und Lerc trotz Verkleidung erkannten, konnte sie jede Bewegung verraten. Die Soldaten schlossen die Zellentüren nacheinander auf, wobei immer einer den anderen mit der Waffe deckte.

      »Los, kommt raus, ihr Aasgeier!« schrie der eine. »Ihr werdet nach Süd gebracht. Dort ist Endstation für euch.«

      Die drei traten aus ihren Zellen. Lerc erschrak bei ihrem Anblick. Sie waren total abgemagert und ausgezehrt und glichen eher Skeletten als menschlichen Wesen. Ihre Augen sahen durch alles hindurch und ihre Hände zitterten.

      »Was soll das?« brachte Pantar, der kleine, hervor. »Habt ihr nicht genug mit uns angestellt.«

      Sein Blick streifte Lerc und Christer. Er kniff die Augen zusammen. Das war alles. Lerc war sicher, dass er sie erkannt hatte und wusste, was auf dem Spiel stand. Es hing nicht zuletzt von ihrem Verhalten ab, wie alles ausging. Christer setzte ein höhnisches Lächeln auf, bereit nach Kräften mitzuspielen.

      »Die Herren sehen entschieden zu gut aus. Sie sind ein Luxusleben gewohnt. Ich fürchte, das wird sich für Sie ändern.«

      Die Soldaten trieben die drei vor sich her. Lerc drückte die Daumen. Bis jetzt lief alles nach Plan. Er hatte es nicht geglaubt. Wenn es so weiterging, brauchten sie keine Gewalt anzuwenden und die Verantwortlichen würden erst viel später merken, dass sie genarrt worden waren. Hauptsache, sie kamen heil aus Bergotos raus, denn Waffen hatten sie nur im Wagen. Hier drin hätten sofort die Alarmanlagen angesprochen.

      Die Situation änderte sich jedoch schlagartig, als sie schon am Ende des Korridors kurz vor dem letzten Sperrgitter standen. Eine Zellentür wurde geöffnet und ein Arzt trat mit einem Gefangenen heraus. Lerc und Christer tauschten einen erstaunten Blick: Der Gefangene war ein Weißer. Der Arzt sah die Gruppe auf sich zukommen und versperrte ihr den Weg.

      »Halt! Wohin wollen Sie mit den Terroristen?« herrschte er die Soldaten an.

      »Auftrag von Süd, Dr.Jorantes«, erwiderte der eine. »Sie sollen abtransportiert werden.«

      »Was?« Der Arzt riss die Augen auf. »Das ist ja noch schöner! Eine Unverschämtheit! Das alles, ohne mich zu informieren? Ich war mit ihnen noch lange nicht fertig.«

      »Aber, wir dachten«, stammelte der zweite Soldat.

      Lerc sah in diesem Moment das Unglück voraus, als er den ungläubigen Blick auf dem schwarzen Gesicht des Arztes bemerkte. Handeln! schoss es ihm durch den Kopf. Mit einem Satz war er bei einem der Bewaffneten und entriss ihm die MP.

      »Los, raus hier. «brüllte er mit sich überschlagender Stimme.

      Christer reagierte jetzt ebenfalls. Er sprang den Arzt an, bevor sich dieser von seiner Überraschung erholt hatte.

      »Die Waffe weg.« befahl er dem zweiten Soldaten.

      Dieser sah sich durch Lerc bedroht und seinen obersten Vorgesetzten in der Gewalt von Christer. Ruhig schmiss er die MP zu Boden.

      »Ihr werdet nicht weit kommen«, prophezeite er.

      »Halt's Maul!« fuhr ihn Pantar an.

      Das Leben war in die drei Gefangenen zurückgekehrt. Pantar griff nach der MP.

      »Mach das Gitter auf!« befahl er dem Soldaten.

      Der Uniformierte gehorchte. Sein Schlüssel öffnete das vorerst letzte Hindernis. Lerc passte auf, dass er nicht wie zufällig einen Alarmknopf betätigte. Dann musste der Soldat die Handfesseln der drei lösen. Bis jetzt war weit und breit niemand anderes auf dem Gang zu sehen.

      Da unterbrach eine Stimme das hektische Geschehen. Lerc drehte sich um. Der Gefangene, den der Arzt aus der Zelle geholt hatte, machte sich bemerkbar. Lerc verstand ihn zuerst nicht, dann schaltete er. Der Weiße sprach Neu-Ing! Lerc hatte es zu lange nicht gehört, geschweige denn gesprochen, als dass er den Typ gleich verstanden hätte. Aber kein Zweifel: Er bat darum, mitgenommen zu werden.

      »Was ist?« zischte Christer. »Wir haben keine Zeit. Was will der Typ.«

      »Wir sollen ihn mitnehmen«, übersetzte Lerc unsicher.

      »Ist er verrückt? Ein Weißer, noch dazu ohne Marke! Los, lass uns gehen.«

      Das Gitter stand jetzt offen, aber Lerc zögerte.

      »Nehmt mich mit!« beschwor ihn der Weiße erneut. »Sie wollen mich umbringen. Es ist meine letzte Chance.«

      »Okay«, rang sich Lerc zu einer Entscheidung durch. »Aber sei ruhig und behindere uns nicht.«

      Der Gefangene schloss sich ihnen an. Lerc nahm die Tränen in seinen Augen wahr.

      »Sag mal, spinnst du?« fuhr Christer ihn an. »Das wird Konsequenzen haben.«

      Lerc zuckte die Achseln. Er verzog keine Miene. Es war seine Entscheidung. Sie konnten sich jetzt keinen Streit leisten. Christer musste unter dem Druck der Situation nachgeben.

      Sie trieben den Arzt und die zwei Soldaten vor sich her. Als sie den Hof erreichten, schrillte der Alarm. Der Pförtner hatte sie entdeckt. Sie hätten es nicht verhindern können.

      »Verpisst euch!« rief Lerc den drei Geiseln zu.

      Es hatte keinen Zweck, sie weiter mitzunehmen. Sie wären nur ein Hindernis auf der Flucht gewesen. Selbst der Arzt hatte keinen Wert. In so einer Situation wurde selbst auf hochgestellte Persönlichkeiten keine Rücksicht genommen. Das hatten ähnliche Fälle zur Genüge bewiesen.

      Draußen heulte der Motor des Kombis auf. Veila hatte schnell begriffen und wendete den Wagen. Der Soldat, der als Wache am Portal stand, sprang aus seinem Häuschen. Seine Verwirrung - er wusste nicht, ob er den Wagen oder die anstürmende Gruppe unter Feuer nehmen sollte — kam ihnen zugute. Als sich der Soldat für die Gruppe entschied, schoss Christer aus seiner MP.

      Der Uniformierte brach zusammen. Christer erreichte die Seitentür des Transporters und riss sie auf. Die Befreiten keuchten vor Anstrengung und ließen sich erschöpft ins Wageninnere fallen - zum Schluss der Weiße. Lerc sah die ersten Soldaten im Hof auftauchen. Der Alarm zeigte seine Wirkung. Er feuerte panikartig auf alles, was sich bewegte. Das erste Mal, dass er eine Waffe benutzte. Keine Zeit zum Überlegen. Christer saß schon im Wagen und hielt ihm die Tür auf. Lerc stieg als letzter ein. Veila war bereits angefahren.

      »Vollgas!« keuchte Christer.

      Lerc atmete ein paarmal tief ein und aus. Er versuchte vergeblich, sich zu beruhigen. Dann hieb er mit dem Schaft der MP auf die Seitenscheibe ein. Das Plexiglas splitterte, und Lerc beugte sich vorsichtig mit der Waffe hinaus. Dabei riss er sich eine lange Wunde in den rechten Oberarm. Ein paar Salven aus den Fenstern der Anstalt verfehlten den Kombi knapp.

      »Fahr zu, sie machen sich startklar!« schrie 1ère, als er sah, dass sich die Soldaten in die bereitstehenden Wagen schwangen.

      Er zog den Kopf zurück.

      »Scheiße! Sie werden schneller sein als wir.«

      »Hauptsache, wir erreichen die Stadt«, sagte Christer. »Dass uns auch dieser Arzt dazwischenkommen musste! Sonst wäre alles glatt gelaufen.«

      »Wer ist der Weiße?« unterbrach Veila sie.

      »Lerc hat ihn aufgegabelt«, erklärte Christer.

      Lerc wich Veilas


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