Der Televisionär. Группа авторов
macht sich ein paar Stullen. Es klingelt an der Tür, ist ein Mädchen da und fragt nach seinem Nachbarn auf der Etage, ein schicker Herr. Er sagt, kommen Sie doch einen Moment rein. Sie kommt rein, und in der [Theater-] Pause [zwischen den beiden Akten] bumst er die, und dann geht nachher das Gespräch ein bisschen weiter und dann kommt der andere und holt sie ab. Das war’s. Das Ding hieß Zeitvertreib und war für damalige Verhältnisse ein Schocker.«39
Die zeitgenössische Kritik war teils empört, teils hingerissen. Walther Karsch klagte im Tagesspiegel: »Ein unerquickliches Stück; doch leider ein Stück unserer Wirklichkeit.«40 Entsetzt reagierte auch Eva Stolz in der BZ: »Wolfgang Menge hat die Liebe beschrieben – so, wie sie heute in jeder Großstadt, in hunderten von kleinen, öden Junggesellenwohnungen Abend für Abend hundertfach betrieben wird: Stumm, lieblos, unmenschlich – ein grausiger Zeitvertreib.«41 Die FAZ verriss die Inszenierung bei gleichzeitigem Halblob für das Stück:
»Zeitvertreib ist eine Paraphrase über das Thema Langeweile, über das Thema Beziehungslosigkeit unter den Menschen, über das Thema der lustlosen Lust, nicht ›Liebe samt ihrer Langeweile‹, wie Marguerite Duras es einmal formuliert hat, wird vorgeführt, sondern Langeweile samt ihrer Liebe.”42
Friedrich Luft aber, Berlins bedeutendster Theaterkritiker, lobte im RIAS das »realistische Stück« uneingeschränkt:
»Ein Dialog zwischen zwei jungen Menschen, der immer aneinander vorbeigeht. [...] Dieser Autor hat den jungen Leuten von heute aufs Maul gesehen. Er kennt ihre Sprache. Und er kann sie so wiedergeben, ohne sie falsch zu steigern oder zu verzerren, daß man wirklich aufhorcht. Hier ist einer, der realistische Dialoge bezeichnend machen kann und das Geschwafel der Hilfslosigkeit stilbildend. Ich sage nicht, daß damit uns ein Genie geboren wäre. Aber ich finde, man soll anerkennen, daß hier jemand ohne Überheblichkeit und stilistische Tolldreistigkeiten einen Zustand, eine Redeweise, eine Verhaltensweise seiner Generation genau und zielsicher trifft. Wann hatten wir das zuletzt?”43
Der Berliner Uraufführung folgten weitere Inszenierungen, unter anderem in Hamburg und Nürnberg. Vor allem aber verschickte der Theaterverlag Felix Bloch Erben das Stück an mehrere Fernsehredaktionen. Die Reaktionen fielen aus, wie Menge sie erwartet hatte:
»Es wurde natürlich überall abgelehnt, auch im SDR. Aber der Leiter der Fernsehspielabteilung nahm sich zwei Bücher von den abgelehnten mit nach Hause und fand das fabelhaft. Und das wurde dann mein erstes Fernsehspiel. Das war der Müller-Freienfels.«44 [Abb. 8.]
In einer leicht entschärften Fassung wurde Zeitvertreib 1964 vom Süddeutschen Rundfunk produziert und in der ARD gesendet.45 Die Kombination der populären Stahlnetz-Erfolge mit seinem Debüt als Fernsehspielautor führte schließlich zu dem Anruf, der über Wolfgang Menges Karriere für die nächsten Jahrzehnte entscheiden sollte: Günter Rohrbach, gerade zum Fernsehspielchef des WDR ernannt, bat Wolfgang Menge zum Besuch nach Köln.
»Wir hatten damals noch gar keine richtigen Büros. Der WDR hatte alles schnell angemietet, das waren eigentlich Wohnungen, absolut spießige Wohnungen, schrecklich, abscheulich. Da stand also ein Sofa. Wolfgang Menge saß in der Mitte, ich ihm gegenüber. Auch Gunther Witte saß dabei. Und da gewann ich diesen Eindruck: Dieser Mensch, der da in unsere Kölner Provinz hinein kam, besaß eine Ausstrahlung!«46 – »Er sah, wie ich fand, verdammt gut aus und verströmte eine weltmännische, mein Vorurteil über den Habitus von Drehbuchautoren lebhaft dementierende Lässigkeit. [...] Er imponierte mir gewaltig. Das hatte zunächst weniger mit seinen schriftstellerischen Fähigkeiten zu tun, die ich ohnehin kaum kannte, sondern mit der Art, wie er sich bewegte, wie er sprach, wie er blitzschnell reagierte mit jenem angelsächsischen Witz, den er sich auf weiten Reise antrainiert hatte. Da saß er in unserem spießigen Anstaltsbüro, in dieser rheinischen Provinz, der Mann von Welt, das Hemd aus New York, der Pullover aus Schottland, die Pfeife aus London, ein bisschen Hamburg, ein bisschen Berlin und ganz viel Übersee.«47
Künstlerisch stellte sich bei diesem Gespräch heraus, dass Wolfgang Menge beim WDR der richtige Mann zur richtigen Zeit war. Denn seine Interessen deckten sich mit denen der Fernsehspielredaktion:
»Es war eine Pionierzeit, und wir sahen auf der anderen Seite das Kino, das zu dieser Zeit in Deutschland gerade auf seinem Tiefpunkt angelangt war. Damit wollten wir nichts zu tun haben. Wir wollten etwas ganz Anderes machen mit diesem neuen Medium, und dafür war Menge der ideale Autor. Das war wie ein Geschenk, dass wir plötzlich jemanden gefunden hatten, der das selber auch so sah und wollte und der das dann auch in Geschichten und Drehbücher umsetzen konnte.«48
Wolfgang Menge schätzte die Begegnung im Rückblick nicht anders ein:
»Beim WDR waren Günter Rohrbach, Peter Märthesheimer, Gunther Witte. Das waren Leute, die mich bestärkt haben. [...] Wir waren einfach ein fabelhaftes Team, [...] das war unglaublich anregend und intelligent. [...] Da konnte ich ganz anders arbeiten als beim Film. Und mehr Zuschauer hatten wir auch.«49
Zur Passgenauigkeit der Partner trug wesentlich bei, dass Wolfgang Menge zu diesem Zeitpunkt einen neuen thematischen Schwerpunkt entwickelte. Seit Ende der fünfziger Jahre hatte das Thema Verbrechen seine Arbeiten für Film und Fernsehen bestimmt. Komplementär dazu fokussierte er sich nun auf Fragen der Politik, heruntergebrochen auf die Konsequenzen, die aus ihr für das Leben Einzelner entstehen. Die Reflexion auf den Zusammenhang beider Bereiche stand – mit historischer Zwangsläufigkeit – immer wieder neu im Zentrum der bundesdeutschen Nachkriegs-Diskurse; nicht nur, wenn es direkt um die nationalsozialistischen Verbrechen ging. Um die Zeit, in der Wolfgang Menge für die Fernsehspielredaktion des WDR zu arbeiten begann, veröffentlichte Hans Magnus Enzensberger eine vielbeachtete Essay-Sammlung. Unter dem sprechenden Titel Politik und Verbrechen50 untersuchte er gerade nicht die jüngere deutsche Vergangenheit, sondern so diverse historische Ereignisse wie den russischen Anarchismus und die Ermordung der Zarenfamilie durch die Bolschewiken, den Aufstieg Al Capones in Chicago und den der Camorra in Süditalien, die Diktatur Rafael Trujillos in der Dominikanischen Republik und die einzige Hinrichtung eines amerikanischen Deserteurs während des Zweiten Weltkriegs. Gemeinsam sei diesen Essays, lobte Jürgen Habermas in einer Rezension des Bandes, die gelungene Darstellung »der Symmetrie legaler und illegaler Handlungen, der Inversion von Verbrechen und bürgerlich reputierlichem Erfolg«.51
Ob Wolfgang Menge diese Aufsätze gelesen hat oder auch nur die Habermas’sche Rezension, ist unbekannt. Die Behauptung einer Inversion von Verbrechen und bürgerlicher Existenz sollte jedoch ein zentrales Thema seiner frühen Fernsehspiele werden. Die noch recht konventionelle Handlung von Verhör am Nachmittag52, Menges erstem Drehbuch für den WDR, kreist um den scheinbar ›natürlichen‹ Todesfall eines älteren Herrn, der sich plötzlich als Mord entpuppt. Mit dem Produzenten Wilhelm Semmelroth, der zuvor für den Halstuch-Krimi-Sechsteiler53 verantwortlich gewesen war, den erfolgreichsten ›Straßenfeger‹ der bundesdeutschen Fernsehgeschichte, und dem Stahlnetz-Drehbuchautor Wolfgang Menge brachte die WDR-Produktion zwei erfolgsgewohnte Routiniers des kriminalistischen Fernsehspiels zusammen. [Abb. 9] Das Resultat bot denn auch Qualitäts-Konfektion: einen gekonnten Handlungs- und Inszenierungs-Mix aller zeitüblichen Zutaten, der dem Publikum einmal mehr die Brüchigkeit der bürgerlichen Ordnung vor Augen führte.54
Bereits bei der zweiten Kollaboration von Menge, Rohrbach und Witte ging es jedoch um mehr, um einen höchst aktuellen Zusammenhang von Politik und Verbrechen: den Fall des ehemaligen DDR-Grenzsoldaten Fritz Hanke, dem 1963 in Stuttgart der Prozess für die Schüsse gemacht wurde, die er vor seiner eigenen Flucht auf einen anderen ›Republikflüchtling‹ abgefeuert hatte:
»Wochenlang rang im Sommer 1962 Peter Reisch, 19, mit dem Tod, ehe er in einem Krankenhaus an den Folgen seiner Schußverletzung starb. [...] Stabsgefreiter Fritz Hanke, zur Tatzeit 21, der Todesschütze, floh ein halbes Jahr später selbst in die Bundesrepublik. Das Schwurgericht