Der Televisionär. Группа авторов
oder wie TV-Shows oder Sitcoms eigens für die geplante Übertragung inszeniert wurde. Der Zeitpunkt dieser Versendung mittels modulierter elektromagnetischer Wellen für potentiell massenhaften Empfang (Rundfunk beziehungsweise broadcast) wurde rechtzeitig als Teil des ›Programms‹ annonciert, so dass sich die interessierten Teile des Massenpublikums vor den ebenfalls mit einer Kathodenröhre bestückten Empfangsgeräten einfinden konnten. Die Ankündigung geschah über populäre Printmedien, vor allem in der Tagespresse sowie über spezielle Rundfunk- und Fernsehzeitschriften. Die audiovisuellen Inhalte wurden dann im Augenblick ihres Geschehens beziehungsweise ihrer Aufnahme versendet und waren innerhalb des Sendegebiets – der Reichweite der Rundfunk-Übertragung – frei, d.h. technisch unverschlüsselt zu empfangen. Das Fernsehen der frühen Jahre erlaubte so Individuen, vom eigenen Wohnzimmer aus in Bild und Ton an Ereignissen in Echtzeit zu partizipieren, wie es zuvor nur über eine persönliche Präsenz kollektiv in öffentlichen Räumen wie Theatern, Kinos, Stadien möglich gewesen war. Eine direkte Aufzeichnung des Gesendeten war zunächst weder für Sender noch Empfänger möglich.3 Auch ein Rückkanal existierte nicht.4
Gesellschaftlich eingebunden war das Fernsehen von Anfang an in juristische und ökonomische Strukturen, die wesentlich auf denen basierten, die sich im Kontext des älteren Rundfunk-Mediums Radio entwickelt hatten. Dementsprechend differierte die gesellschaftliche Organisation und kulturelle Orientierung sehr stark zwischen den Nationen und politischen Systemen. Zu unterscheiden sind in den ersten Jahrzehnten der Television vor allem drei grundsätzliche Strukturierungen:
die Nutzung unter direkter staatlicher Kontrolle und Finanzierung primär zu Propaganda- und Unterhaltungszwecken in nicht-demokratisch verfassten Gesellschaften; insbesondere in den Ländern des kommunistischen Ostblocks;
die kommerzielle, gewinnorientierte Nutzung primär zu Unterhaltungszwecken innerhalb demokratisch legitimierter technischer wie kultureller Regulierung, finanziert über Werbung; insbesondere in den USA;
die öffentlich-rechtliche Nutzung (public service) primär zu Zwecken politisch und wirtschaftlich möglichst unabhängiger Information und Unterhaltung innerhalb demokratisch legitimierter technischer wie kultureller Regulierung, finanziert über Rundfunkgebühren; insbesondere in Großbritannien.
Als in der jungen, im Mai 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland die Organisation des neuen Mediums Fernsehen in Angriff genommen wurde, geschah das mit einer gewissen Zwangsläufigkeit innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems, wie es die westlichen Besatzungsmächte bereits für das Radio etabliert hatten, und im Rahmen der föderalen Strukturen, die 1950 mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ARD) entstanden waren. Nachdem am ersten Weihnachtstag 1952 der reguläre Sendebetrieb eingesetzt hatte – mit nur zwei Stunden Programm täglich zwischen 20 und 22 Uhr –, verlief der Aufstieg des Fernsehens schneller als der jedes anderen Mediums zuvor: Obwohl ein Fernsehgerät mit rund 1000 D-Mark zwei bis drei durchschnittliche Monatsgehälter verschlang, sollten bis zum Ende des Jahrzehnts 3,4 Millionen der grauen, zunächst nur 22 mal 22 Zentimeter großen Bildschirme zum Empfang angemeldet sein.5 Zuschauer jedoch gab es um ein Vielfaches mehr. Denn nicht nur schaute meist die ganze Familie, ein nicht geringer Teil dieser ersten Fernseher lief auch in Lokalen und anderen halb-öffentlichen Räumen.
Im Alltag des Wiederaufbaus wirkte der Fernsehschirm wie ein technisch eröffnetes zusätzliches Fenster auf neue Realitäten. Vorrangiges Ziel des öffentlich-rechtlichen Fernsehens war es, sowohl demokratische Werte als auch westeuropäische Positionen im Kalten Krieg zu vermitteln. Zweifelsfrei stiftete die Television bald mehr als jedes andere Medium bundesdeutsche Identität. Inhaltlich setzte sich das Fernsehprogramm – wie in den meisten Ländern – zu einem hohen Teil aus Darbietungen zusammen, die anderen Medien entstammten. Zum Ersten waren Live-Übertragungen von Theater- und Opernaufführungen, von Ballett- oder Kabarettabenden, von sportlichen oder politischen Ereignissen an der Tagesordnung.6 Zum Zweiten strahlten die Sender eine Vielzahl älterer Spielfilme aus. In den 1950er Jahren avancierte das Fernsehen weltweit so zum ersten Kinomuseum: Es ermöglichte ein Wiedersehen mit Tausenden filmischer Werke, die bis dahin in den Archiven der Studios unzugänglich lagerten. Zum Dritten wurde eine Reihe informativer und unterhaltender Radiosendungen – etwa Werner Höfers legendärer Internationaler Frühschoppen – relativ unverändert ins Fernsehen übernommen.
Fernsehspezifische Formen wie Krimi- und Familienserien, Fernsehspiele und Talkshows bildeten sich erst allmählich aus. Mit über 100 Drehbüchern für TV-Serien und Fernsehspiele wie auch als erratischer Talkshow-Moderator leistete Wolfgang Menge dafür Bahnbrechendes.
2 Spiel mit seriellem Verbrechen: Von Stahlnetz zu Tatort
Zum Fernsehen gelangte Wolfgang Menge, nachdem er 1957 aus Asien zurückgekehrt war, auf zwei voneinander recht unabhängigen Wegen, wie er im Rückblick selbst analysierte: einmal vom Journalismus und einmal von der Literatur herkommend.7 Der erste Einstieg begann im Funkhaus an der Hamburger Rothenbaumchaussee. In der Kantine traf er einen alten Bekannten, Jürgen Roland, ein Jahr jünger als Menge. Nach einer Schulung beim BBC arbeitete Roland seit 1950 als Radioreporter. Seit 1953 betreute er zusätzlich die journalistische Fernsehsendung Der Polizeibericht meldet ...8 Die Reihe lief jedoch nicht sonderlich gut. Roland bat Menge um Hilfe:
»Der sagte: Hör mal zu, du hast doch früher immer solche Tatsachenberichte geschrieben, über Morde und so. Ich habe hier eine Sendung, die wollen die mir abwürgen [...] Kannst du mir da nicht irgendwas [schreiben]?«9 – »Da hab ich gesagt ... weil ich schon als Reporter gelernt hatte ... mit Dialogen in Reportagen zu arbeiten [...]: Du musst nicht einfach so trocken erzählen, du musst das mit Dialogen machen, mit Schauspielern. Und dann haben wir das gemacht, das war, glaube ich, sieben oder acht Minuten lang, [...] um ihm zu zeigen, was ich meine.«10
Das Prinzip – die Ersetzung loser Folgen von Einzelmeldungen durch längere Tatsachenberichte mit eingefügten Spielszenen – hatte Erfolg. Die Sendung erhielt mehr Zeit und auch einen neuen Namen: Stahlnetz.11 Der Weg aus dem Journalismus in fiktionale bzw. faktionale Spielformen, der Wolfgang Menges gesamte Karriere in den audiovisuellen Medien prägen sollte, war zum ersten Mal vollzogen. Ein Jahrzehnt lang sollte er nun als alleiniger Autor die erste deutsche Fernsehkrimi-Serie schreiben: Die Auftakt-Folge wurde im März 1958 ausgestrahlt, die letzte im März 1968.12 »Und irgendwann habe ich mir auch einen Fernsehapparat gekauft und diese Dinge angesehen.«13
Neben Jürgen Rolands Hintergrund journalistischer Fernsehreportagen und Wolfgang Menges Erfahrungen mit angelsächsischen Print-Reportagen hatte Stahlnetz freilich noch eine dritte Quelle: die populäre amerikanische Kriminalserie Dragnet, die von 1949-1957 für das Radio und von 1951-1959 für das Fernsehen produziert wurde14 und von der Menge vermutlich einige Folgen in Hongkong gehört und gesehen hatte. Von Dragnet übernahmen er und Roland nicht nur den eingedeutschten Namen und die prägnante Titelmelodie, sondern auch das zentrale Stilmittel der Voice-Over-Erzählung, dessen Ursprung im Radio wie im Film Noir lag, sowie die ausdrückliche Betonung des Authentischen im Vorspann. Die Sätze »Ladies and gentlemen: the story you are about to see is true. Only the names have been changed to protect the innocent« des amerikanischen Originals verwandelten sich in der deutschen Version zur Schrifttafel: »Dieser Fall ist wahr. Er hat sich so zugetragen[,] wie wir es zeigen.« [Abb. 2]
Darüber hinaus hatte Stahlnetz mit Dragnet allerdings wenig gemeinsam. Die deutsche Serie zeigte die Verbrechensermittlung, nicht zuletzt ihrem dokumentarischen Ansatz folgend, als eine eher gemächliche und weitgehend unspektakuläre Tätigkeit ganz normaler Beamter. Dass die ermittelnden Kommissare in der Regel auch die Erzähler aus dem OFF waren, verstärkte die staatstragende Perspektive. Christiane Hartmann spricht gar von einer »erzieherische[n] Absicht der Reihe: Es galt, das während der noch nicht lange zurückliegenden NS-Zeit erschütterte Vertrauen in die Ordnungsmacht Polizei wieder herzustellen.«15 Indirekt bestätigte