Der Televisionär. Группа авторов
– zumal in einem Film, dessen routinierter Regisseur Arthur Maria Rabenalt einst für Leni Riefenstahl gearbeitet und Nazi-Propagandafilme wie Achtung! Feind hört mit inszeniert hatte.104
Dafür aber, dass Mann im Schatten bis heute fesselt, sorgt noch zweierlei. Zum Ersten seine genau recherchierte Milieuschilderung. Bei aller Exotik der Details vermittelt sie ein Bild zeitgenössischen Wiener Lebens. Und zum Zweiten die fantasiereiche, zugleich dokumentarisch-exakte Erzählweise. Auf den ersten Blick operiert Menge zwar mit einer für das Film-Noir-Genre typischen Konstruktion, indem er mit dem Schluss beginnt und die Handlung als fait accompli schildert: Ein Mann hetzt durch die nächtliche Stadt und gesteht schließlich einem Arbeitskollegen, dass er einen Mord begangen habe. Was geschehen sei, wird nun in Rückblende erzählt – bis man am Ende wieder bei der Hetzjagd anlangt und erkennt, dass die Bilder des Anfangs etwas ganz anderes bedeuten. So radikal dieser narrative Rahmen konstruiert ist, so sehr zielt die Haupthandlung auf Realismus. Tag für Tag, Stunde für Stunde wird das Verbrechen nachgezeichnet, wobei eingeblendete Zeitungsschlagzeilen, die zum Beispiel Gagarins ersten Raumflug am 12. April 1961 verkünden, den Fortgang strukturieren und Authentizität wie Aktualität der dokumentarisch inszenierten Haupthandlung verbürgen.
Diese charakteristische Doppelbegabung Wolfgang Menges, als Autor sowohl ein genauer Rechercheur wie auch ein fantasiereicher und spannender Erzähler zu sein, führte schließlich zu dem Kinodrehbuch, das er für sein bestes hielt: Polizeirevier Davidswache.105
»Im Hinterkopf hatte ich eine wirkliche Geschichte eines Polizisten, der ermordet wird. Und dann habe ich sechs Wochen in der Davidswache herumgehangen. Und in allen Kneipen um die Ecke. Jede Nacht. Es liegt ja alles auf der Hand, wenn du dich mit den Leuten unterhältst.«106
Bis zu seinem Tode besaß er noch das Notizbuch, in dem er damals Dialogfetzen, Szenen, Anekdoten, Schicksale aufgeschrieben hatte. »Und aus all dem Kleinkram, den vielen kleinen Geschichten, habe ich dann die Handlung gewebt.« Mit Polizeirevier Davidswache realisierte Menge im ihm vertrauten Hamburger Milieu das, wonach er all die Jahre gestrebt hatte: ein authentisches Kinodrehbuch, tatsachengetreu, wirklichkeitsnah und narrativ abgestützt durch eine spannende, formal originelle Aufarbeitung des recherchierten Materials. »Der mit Berufsschauspielern und Reeperbahn-Professionellen besetzte Film hat, was deutschen Lichtspielen meistens fehlt: Tempo und echtes Milieu«, lobte Der Spiegel.107
6 Film II: Autorschaft im Film, Abschied
Der künstlerische wie kommerzielle Erfolg von Polizeirevier Davidswache bedeutete den Höhepunkt von Wolfgang Menges Karriere im deutschen Film – und zugleich den Anfang von ihrem Ende. Vier Faktoren trugen dazu bei: künstlerische, produktionelle, ökonomische und ästhetische.
Zum Ersten hielt Menge selbst das Genre kriminalistischer Tatsachenberichte für künstlerisch erschöpft. Die Anstrengung, den penibel recherchierten Inhalten innovativen Ausdruck zu geben, sollte ihn daher bald das Korsett des Erzählfilms zumindest vorübergehend abstreifen lassen, um die – inhaltlich nun auch komplexeren Geschichten – mosaikhaft in experimentell-simulativen Formen wie TV-Magazin oder TV-Show zu erzählen.108
Zum Zweiten kam es über Polizeirevier Davidswache zum Zerwürfnis mit Regisseur Jürgen Roland, Menges langjährigem ›partner in crime‹. Anlass war der filmtypische Streit um die Frage, wer Haupturheber des kollaborativ hergestellten Werks sei.
»Jürgen sagte: ›Das ist doch blöd mit diesen vielen Namensnennungen im Vorspann. Wir machen mal einen Anfang ohne Titel.‹ Ich habe zugestimmt. Dann wurde der Film präsentiert, und gleich am Anfang stand: ›Ein Film von Jürgen Roland.‹ Das fand ich unglaublich.«109
Dieser Missachtung, die Drehbuchautoren beim kommerziellen Film erfuhren und mehr oder weniger bis heute erfahren, kontrastierte damals deutlich ihre Hochschätzung beim aufstrebenden neuen Medium Fernsehen.
Dass aber nach Drehbüchern zu sieben erfolgreichen Spielfilmen, die Menge binnen fünf Jahren geschrieben hatte, im folgenden Vierteljahrhundert lediglich noch drei weitere Kinofilme nach seinen Vorlagen entstehen sollten,110 lag zum dritten an der eskalierenden ökonomischen Krise. Der Verkauf von Kinokarten war von über 600 Millionen im Jahre 1959 auf unter 300 Millionen im Jahre 1965 geschrumpft; 1975 sollten es nur noch knapp über 100 Millionen sein.111 »Diese Filmproduzenten, wenn du die Jungs gesehen hast, denen glaubtest du nicht, dass sie die Mark in der Tasche hatten – und haben sie ja auch nicht immer gehabt.«112
Zum Vierten entsprach dem ökonomischen Niedergang des deutschen Kinos ein künstlerischer. Die deutsche Filmproduktion dominierten Mitte der sechziger Jahre neben Edgar-Wallace- vor allem Karl-May- und Sexfilme. Wer wie Wolfgang Menge als audiovisueller Erzähler zugleich künstlerisch und kommerziell erfolgreich arbeiten wollte, dem kam in den sechziger Jahren gewissermaßen das Medium Film abhanden.
Hoffnung versprach für kurze Zeit eine Revolte der deutschen Jungfilmer. »Wir erklären unseren Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen«, hieß es 1962 im Oberhausener Manifest.113 Im Kontext der gesellschaftlichen und kulturellen Umwälzungen der sechziger Jahre schien dem so genannten Neuen Deutschen Film, da er sich im Gegensatz zum etablierten Kino der Altproduzenten der Themen der Gegenwart annehmen wollte, die Zukunft zu gehören. Den Versuch, sich mit ihm anzufreunden, unternahm Wolfgang Menge, indem er das Drehbuch für Peter Zadeks Ich bin ein Elefant, Madame114 schrieb, ein experimentelles Werk über die Genese und das Milieu der Jugendrevolte, inszeniert mit einer Bremer Abiturklasse.
»Zadek benutzte meine Dialoge zu 100 Prozent. Aber mit anderen Leuten. Was für eine Lehrerin gewesen war, mussten Männer hersagen. Das war ihm ganz egal. Er hat sich nicht für die Figuren interessiert [...] Aber es war lustig.«115
Der Film, »ein komödiantischer Pop-Essay und ein wahrhaft anarchistisches Feuerwerk über das verkrustete deutsche Schulsystem«,116 wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Silbernen Bären der Berlinale und dem Bundesfilmpreis.
Doch dem Drehbuchautor, im Schnitt ein Jahrzehnt älter als die nun tonangebenden jungen Filmemacher, blieb deren Welt prinzipiell fremd. Weder lag ihm ihre elitäre Publikumsferne noch ihre Regie-Zentrierung, die sie unter dem Banner des Autorenfilms propagierten. Ende der sechziger Jahre nahm er vom Kinofilm Abschied – nach einer Reihe von Kassenschlagern und Kinoexperimenten, mit denen er das bundesdeutsche Kino ein Jahrzehnt lang mitgeprägt hatte: »Der Film war nicht mehr interessant. Es war jedenfalls nichts mehr dabei, das mich interessiert hätte.«117
Erheblich verlockender war das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Es erlaubte, was im Kino nicht mehr möglich war: populäres Geschichtenerzählen, die typische Menge-Mischung aus Fakten und Fiktionen, Kritik und Witz, Erkenntnis und Spannung, Realismus und Satire, Authentizität und Aufklärung. Menges ebenso steile wie kurze Kinokarriere – von den Anfängen um 1960 bis zur Abkehr vom Film um 1970 – dokumentiert so auch eine medienhistorische Wende: den Niedergang des bundesdeutschen Nachkriegskinos. Der Verlust des Films war dabei des Fernsehens Gewinn.
1 Vgl. Webb, Richard C.: Tele-Visionaries: The People Behind the Invention of Television, Hoboken, N.J.: Wiley-Interscience 2005, S. 1-46.
2 Constantin Perskyi verwendete den Ausdruck in einem Forschungspapier, das er bei einem Kongress zur Elektrizität in Paris präsentierte. Vgl. dazu auch: »Before it became known as television, it was called telephotography, telescopy or teleautography.« Winston, Brian: Media Technology and Society: A History From the Telegraph to the Internet, London; New York: Routledge 1998, S. 94.
3 Magoun, Alexander B.: Television: The Life Story of a Technology, Baltimore: Johns Hopkins University