Der Televisionär. Группа авторов
Arbeits- und Schreibweisen wie auch als Person so britisch, wie er es als geborener Berliner und in Hamburg Aufgewachsener nur konnte.
Ende 1956 geschah dann dreierlei. Zum Ersten intensivierte sich der Briefwechsel, den Wolfgang Menge mit einer jungen Frau aufgenommen hatte. Marlies Lüder, aus dem Osten Berlins stammend, betreute in Hamburg die Mitgliederzeitung der Ölfirma Esso, fühlte sich in der Stadt jedoch unwohl und suchte einen Au-Pair-Job bei einer britischen Familie, zur Not auch in Hongkong. Zwar hatte man sie gewarnt, dass Wolfgang Menge »nicht sonderlich sympathisch«66 sei, doch nachdem ihr die Einreise in die USA verweigert worden war – »wegen Kommunismusverdacht«, da ihre Familie erst kurz zuvor aus der DDR nach Westdeutschland gezogen war –, musste sie jede Chance nutzen. Bevor er ihr helfen könne, schrieb Wolfgang Menge an Marlies Lüder zurück, müsse er erst einmal wissen, wie sie aussehe: »Ob ich hübsch sei, was er für sich nicht hoffe, oder hässlich, was er für mich nicht hoffe, oder irgendwas dazwischen, was das Praktischste wäre.«67
Zum Zweiten bat ihn die Chefredaktion der Welt, in Asien Reaktionen auf zwei bedrohliche Zeitgeschehnisse zu sammeln: den Volksaufstand in Ungarn und die Suezkrise in Ägypten. »Das hatte ich ganz knapp gemacht. Nur Zitate von Politikern und aus Zeitungen. Ausschließlich Dokumente, nichts von mir.«68 Als er Wochen später die Zeitung erhält, ist er der einzige Korrespondent, dessen Beitrag nicht erschienen ist. Auf Nachfrage erhält er vom stellvertretenden Chefredakteur die Antwort: »Sehr geehrter Herr Menge, ich weiß nicht, warum Sie sich wundern. Sie hätten sich vorstellen können, dass das keinen Platz hatte, denn all die darin vertretenen Ansichten waren denen der Chefredaktion diametral entgegengesetzt.«69 Menge erkannte: Nun, ein paar Jahre, nachdem Springer die Welt übernommen hatte, fing das ›Einmischen‹ ein. Politische Tendenz, d.h. Meinung wurde wichtiger als Fakten.
Zum Dritten aber erhielt der Fernost-Korrespondent nach mehreren Anläufen und als erster westdeutscher Journalist die Genehmigung zu einer Fahrt mit der transsibirischen Eisenbahn von Peking nach Moskau. Im Frühjahr 1957 trat er die 13 000 Kilometer lange Reise an. [Abb. 9] In vierzehn Tagen reiner Fahrzeit – unterbrochen von einem mehrtägigen Aufenthalt in Peking – führte sie ihn von Hongkong beziehungsweise Kanton über Peking und Moskau nach (Ost-) Berlin und schließlich Hamburg. Seine Erlebnisse in Rotchina und der UDSSR schilderte Wolfgang Menge in einer Serie von Einzelberichten.70
Am umfangreichsten und vollständigsten scheint die überlieferte Hörfunk-Fassung, die unter dem Titel Land des müden Lächelns ab dem 7. Mai 1957 an vier Abenden vom NDR gesendet wurde.71 Sie beweist Wolfgang Menge am unmittelbaren Ende seiner Karriere als Auslandskorrespondent als nicht nur ironischen Beobachter, sondern auch – in der ebenso geschickten wie komplizierten Verschränkung der Zeitebenen – als meisterhaften Erzähler. Der Bericht beginnt mit der Rückkehr, der Ankunft in Ostberlin, die den Reisenden als unerhörten Einzelnen inmitten kommunistischer Kollektive einführt. Rückblickend wird dann Spannung aufgebaut, indem Menge schildert, wie schwierig es für westliche Journalisten ist, nach China zu gelangen, und wie unzulänglich die meisten bisherigen Reiseberichte sind. Als er dann überraschend eine Einreisegenehmigung erhält, mag er es kaum glauben:
»China, das meistumstrittene Land der Welt sollte nun von mir angesehen werden, ich sollte es wirklich wahrnehmen und endlich wahrhaft empfinden. Würde es anders sein, als ich es mir nach tausend Erzählungen, Gesprächen, Büchern und Berichten vorstellte?«72
Erst jetzt erfolgt die szenische Schilderung des Reisebeginns, nur um gleich wieder unterbrochen zu werden von einem – durch einen tatsächlichen Blick zurück eingeleiteten – längeren Rückblick auf das vorherige Korrespondenten-Dasein in Hongkong. Vor dem Hintergrund des ›westlichen‹ Alltags in der britischen Kronkolonie zeichnet sich umso deutlicher die Andersheit des Lebens im ›östlichen‹, d.h. kommunistischen China ab; eine Andersheit, die laut Menge zwar mit dem Verlassen Hongkongs beginnt, aber erst weit jenseits der Landesgrenzen Rotchinas wieder enden wird: in Marienborn, dem bei Wolfsburg gelegenen Grenzübergang von Ost- nach Westdeutschland, also mit dem Ende des so genannten Eisernen Vorhangs: »Von Peking bis Pankow hat eine unheimliche Macht die Landschaft uniformiert.«73
Die Vielzahl der teils kritischen, teils amüsanten Einzelbeobachtungen, die Menge auf der langen Reise durch die ebenso fremde wie 1957 noch recht neue Welt des Kommunismus gelingen, reicht von der in Rotchina verbreiteten Vorliebe für Schweizer Armbanduhren als Statussymbol und den Usancen des Umgangs der chinesischen Zensur mit westlichen Korrespondenten über das Verhältnis der Chinesen zu ihren russischen ›Beratern‹ und sein eigenes Verhältnis zu seinem Dolmetscher, der des Deutschen weitgehend unkundig ist, bis zu dem für die damalige China-Berichterstattung klassischen Topos des Schmutzes. Ihn nimmt er zum Anlass, um seine Rolle als Journalist gegenüber den Hörern eindeutig zu definieren.
»Ich hätte den Schmutz gar nicht erwähnt. Aber es scheint mir angebracht, weil so oft das Gegenteil behauptet wird und ich mich herausgefordert fühle, die Dinge so zu beschreiben, wie ich sie angetroffen habe und nicht, wie man sie denn so gern hätte.«74
In dieser Betonung, eben kein Meinungsjournalist, sondern ein Reporter des Tatsächlichen zu sein, schwingt deutlich der Bezug zu dem Konflikt mit, der ihn allererst wieder nach Hamburg geführt hatte. Denn ursprünglich sollte und wollte Menge von Moskau aus wieder nach Hongkong zurückreisen. In der russischen Hauptstadt angekommen entschied er sich jedoch anders: »Ich hatte das Gefühl: Du fährst besser nach Hamburg und haust dem Chefredakteur eine auf die Nuss. Da war schon zu viel Ärger aufgestaut.«75
Als Menge im Februar 1957 an der Alster eintraf, kündigte er als erstes bei der Welt. Danach arbeitete er als freier Journalist, primär für die Wochenzeitung Die Zeit und den NDR. Vor allem aber traf er sich mit seiner Brieffreundin. Die Hochzeit von Marlies Lüder und Wolfgang Menge fand am 7. Juni 1957 im Harvestehuder Standesamt statt. [Abb. 10] Für die Zeremonie lieh sich der Bräutigam den Trauring: »Weil – wie er sagte – er nie so ein Ding tragen würde«, erinnert sich Marlies Menge.76 Zur Hochzeitsfeier schickte der befreundete Kabarettist Wolfgang Neuss einhundert rote Rosen. »Der Idiot weiß doch, dass wir morgen früh abreisen!«, schimpfte Menge.77
Nach den Flitterwochen zog das Paar in die Heide, nach Bensdorf. Doch als sich herausstellte, dass ihr im Februar 1958 geborener erster Sohn Moritz schwerbehindert war und in Spandau eine besonders fortschrittliche Behandlung für spastisch kranke Kinder existierte, siedelte die Familie 1961, wenige Monate vor dem Mauerbau, nach Westberlin über; zunächst nach Groß-Glienicke, 1964 dann nach Zehlendorf.78
Um diese Zeit beendete Wolfgang Menge seine Karriere als Journalist, der seinen Lebensunterhalt mit Beiträgen für Tages- oder Wochenzeitungen bestritt. Bis in seine letzten Lebensjahre sollte er zwar weiterhin non-fiktionale Text verfassen, doch nurmehr als Intermezzo und nebenbei. So publizierte der begeisterte Koch – neben einer Vielzahl von Restaurantkritiken79 – als Spätfolge seiner asiatischen Erfahrungen in den sechziger Jahren chinesische Kochbücher, von denen vor allem das zweite ein Werk von literarischer Qualität war.80 1971 erschien nach einjähriger Recherche sein Sachbuch-Bestseller Der verkaufte Käufer, ein »Leitfaden durch die Tricks und Taktiken der Verkaufsstrategen«, der, wie der Spiegel schrieb, »aus dumpfen deutschen Verbrauchern kritische Konsumenten machen« sollte.81 Ebenso gab Menge in den achtziger und neunziger Jahren Sachbücher zu seinen historischen Fernsehspiele heraus.82 Der Schwerpunkt seines Schaffens jedoch verlagerte sich um 1960, nach seiner Rückkehr aus Ostasien und mit seinem Umzug nach Berlin, ins Fiktionale und in die audiovisuellen Medien. Denn wie er, der widerwillig erwachsen gewordene Familienvater, später immer wieder betonte: »Journalism is for boys.«83
5 Film I: Adaptationen, Ironisierungen, dokumentarische Perspektiven84
1959 wurde Wolfgang Menge 35 Jahre alt, während die Bundesrepublik, in der er nun wieder arbeitete, ihren zehnten Geburtstag feierte. Allmählich