Der Televisionär. Группа авторов
und dann die Anfänge der Bundesrepublik dominierten, erlebte die Konkurrenz und Opposition der nachfolgenden Hitlerjungen-Generation. 1959 war in dieser Hinsicht das Annus mirabilis, das Jahr einer Wende, die nicht zuletzt zu einer kritischeren Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazi-Zeit führte. Literarisch zeigte sich das mit Heinrich Bölls Billard um halb zehn, dem ersten Band von Uwe Johnsons Jahrestage-Romanen und Günter Grass’ Die Blechtrommel.85
Ähnliche Veränderungen kündigten sich im deutschen Film an. Erfolg hatte seit den frühen 1950er Jahren gehabt, was die Realität der zerbombten Städte und zerstörten Leben radikal verleugnete: Heimat-, Arzt- und Schlagerfilme. Nun geriet dieses Unterhaltungskino in eine doppelte Krise, bedroht zum einen durch den Aufstieg des Fernsehens und zum anderen durch eine wachsende Unzufriedenheit gerade des jüngeren Publikums mit diesen deutschen Produktionen. Zwischen Mitte und Ende des Jahrzehnts fiel die Zahl der jährlichen Kinobesuche von 800 auf 600 Mio.86Ökonomisch unter Druck gesetzt, reagierte die Branche einerseits mit Rückzug auf Bewährtes. Andererseits boten sich auf der Suche nach Marktlücken künstlerische Chancen. Werke wie Wir Wunderkinder, Hunde, wollt ihr ewig leben oder Die Brücke, die allesamt 1959 ins Kino kamen,87 standen formal unter dem Einfluss des italienischen Neorealismus und der französischen Nouvelle Vague und stellten sich inhaltlich dem, was die Presse als ›jüngste Vergangenheit‹ zu umschreiben pflegte.
»Ich fand Die Brücke hervorragend«, erinnerte sich Wolfgang Menge einmal.88 Ende der fünfziger Jahre sah er zudem einen Film mit Sonja Ziemann: »Da wurde raffiniert gegengeschnitten. So etwas richtig Filmisches wollte ich unbedingt machen.«89 Die Gelegenheit, das erste Drehbuch für einen Kinofilm zu schreiben, ergab sich durch die Bekanntschaft mit dem Regisseur Harald Philipp. Es ging um die Adaptation des Konsalik-Beststellers Strafbataillon 999.90 »Ich habe die ersten zehn Seiten gelesen. Es war unerträglich! Dann habe ich einfach meinen eigenen Stoff gemacht.«91 Die Produktion war Teil einer Kriegsfilm-Welle, die mit der Wiederbewaffnung Deutschlands einsetzte, und sie war ziemlich schlecht.92 Doch der 1960 uraufgeführte Film zog weitere Aufträge nach sich, darunter die Adaptation eines anderen schlechten Romans: Der rote Kreis.93 »Der Wallace war auch furchtbar. Diese Romane – wenn du einen mal gelesen hattest, kanntest du sie alle ...«94 Menges Adaptation war nach einem Stummfilm aus dem Jahre 1929 die zweite Verfilmung der Roman-Vorlage und zugleich nach Der Frosch mit der Maske (1959) der zweite Edgar-Wallace-Film in einer langen Reihe der von Horst Wendlandt geleiteten Produktionsfirma Rialto-Film.95 Bis 1972 sollten über 30 weitere Adaptationen folgen. Das routinierte Genre-Stück, das Menge ablieferte, bewies, wie schnell er sich das branchenübliche Handwerk angeeignet hatte.
Schon mit dem nächsten Drehbuch, wiederum nach einem Wallace-Roman, demonstrierte er jedoch, wie gering sein Interesse war, Konfektionsware zu liefern. Bei Der grüne Bogenschütze96 passte nicht mehr der Autor sich dem Stoff und er den Stoff wiederum filmischen Konventionen an. Stattdessen verfuhr Wolfgang Menge nach eigenen Interessen und Vorlieben und dabei höchst selbstironisch. Das Drehbuch offenbarte ein deutliches Talent zum intelligenten Witz wie zu formaler Innovation. Die rasant geschriebene Handlung – inszeniert von Jürgen Roland mit Gert Fröbe, Karin Dor und Klausjürgen Wussow – spielte mit den Konventionen des Genres bis hin zur Zerstörung filmischer Illusion. Sie begann bereits bei der narrativen Klammer: Eddi Arent in der Rolle des Reporters durchbricht die vierte Wand, indem er sich ein- und ausleitend direkt ans Publikum wendet. Die Dekonstruktion filmischer Konventionen setzt sich in einer Reihe von Frotzeleien fort, die immer wieder den Spielcharakter der Handlung in Erinnerung rufen. So kommentiert Eddi Arent, als in einer Dialogszene im OFF unmotiviert Schüsse fallen, mit Blick aus dem Fenster: »Da wird nur der nächste Wallace-Film gedreht.«
Was heute postmodern wirkt, verstörte damals Teile des Publikums wie der Kritik. Auch dem deutschen Fernsehen der sechziger Jahre war derlei Unernst für massenhafte Abendunterhaltung zu gewagt: Lange Zeit wurde der Kinofilm nur stark geschnitten ausgestrahlt. Ivo Ritzer bezeichnet denn auch beide Wallace-Adaptationen, zu denen Wolfgang Menge das Drehbuch beisteuerte, als »paradigmatische Filme eines postklassischen Kinos«, die »ihr Publikum auf den Prüfstand stellen«, da sie »durch den Bruch mit Konventionen narrative Komplexität zum primären Telos des Erzählens« machen.97 Dies trifft um ein Vielfaches mehr als auf Der Rote Kreis auf Der grüne Bogenschütze zu.
Unter biografischer Perspektive fällt zudem Wolfgang Menges selbstironisches Spiel mit der eigenen Britishness ins Auge. Beide Adaptationen – gedreht in Kopenhagen beziehungsweise bei Hamburg – spielen in einem fiktiv-zeitlosen Großbritannien und unter Engländern, bei denen es sich um bekannte deutsche Schauspieler in sichtlich karikierenden Varianten britischer Garderobe handelt. Die einschlägigen und deutlich aus stock footage eingeschnittenen Erkennungszeichen typisch britischer Urbanität und Ruralität mischen sich mit deutschsprachiger Schrift an Läden und Türen. »Beide Filme scheinen situiert in einer Form von Paralleluniversum, das sich aus stilistischen Idiosynkrasien und generischen Versatzstücken konstituiert«, schreibt Ivo Ritzer.98 Was für die – von ihren Machern zugleich unter- und überzeichnete – Welt der beiden Filme gilt, betraf auch ihren Drehbuchautor und seine in jedem Sinne selbstbewusste Inszenierung der eigenen Person:
»An die Stelle einer ›authentischen‹ Signifikation von nationaler Identität tritt folglich eine Hybridisierung der sowohl deutschen wie britischen Referenten, durch die jegliche Stabilität der Zeichen desavouiert wird. [...] Die reziproke Durchdringung des ›Britischen‹ und des ›Deutschen‹ macht eine klare Separation von Fremdem und Eigenem unmöglich.«99
Der grüne Bogenschütze wie zeitgleich die Arbeit an den Adrian und Alexander-Hörfunksendungen gaben Wolfgang Menge Gelegenheit, seiner unerfüllten Liebe für das Kabarett zu frönen. Doch als Drehbuchautor strebte er inzwischen nach anderem, nach mehr. Die Skripte der Wallace-Adaptationen blieben ihm zu sehr der lebensfernen Künstlichkeit und den anspruchslosen Klischees des Genres verhaftet. Diese Sorte von ›Kassenschlagern‹ zu schreiben, langweilte ihn. Menge entschloss sich, mehr ›Leben‹ und neue Formen in die halbtote Traumwelt des deutschsprachigen Kommerzkinos zu bringen – tatsächliche Mordfälle, wirkliche Menschen und überraschende Erzählweisen. Von der satirischen Dekonstruktion des Unterhaltungskinos schritt er so fort zu dessen Innovation durch das, was er in anderthalb Jahrzehnten als journalistischer Autor gelernt hatte: Faktenrecherche und deren narrative Aufbereitung. Für sein nächstes Drehbuch verarbeitete er einen Mordfall, »der im Wien der 1940er Jahre als ›Badewannenmord‹ Furore gemacht hatte: Eine Fabrikantin wird ermordet, und sowohl ihr Geliebter als auch ein geheimnisvoller Geschäftsmann geraten in Verdacht.«100
Den Spielfilm Mann im Schatten101 schrieb Wolfgang Menge für seinen Freund Helmut Qualtinger. »Er galt bis dahin nur als Kabarettist. Und in Deutschland kannte ihn keine Sau.«102 Noch eine zweite schauspielerische Entdeckung gelang Menge für diesen Film:
»Ich habe in München damals einen jungen Schauspieler kennen gelernt, den wollten sie hier nicht. Der hat mir erzählt, wie er in Österreich einen Opernskandal gemacht hatte. Kurz vor der Premiere war seine große Liebe zerbrochen und er hat sich besoffen und während der Aufführung dann die Partien des Bassisten laut mitgesungen. Die sind immer hinter ihm hergelaufen und haben ihn nicht erwischt. Das fand ich eine so schöne Geschichte, dass ich ihn in dem Film haben wollte. Das war Helmut Lohner.«103
Der Film beeindruckt in der Tat durch Lohners und vor allem Qualtingers schauspielerische Leistungen. Von besonderer Qualität sind die geschliffenen, mal witzigen, mal bitteren Dialoge. So flucht eine unbegabte Hilfskraft recht hochdeutsch »Verdammte Scheiße!«, und der vorgesetzte Kommissar Qualtinger antwortet in breitem Wienerisch: »Mir ist bekannt, dass Sie den letzten Krieg bei der Wehrmacht verbracht haben. Aber deshalb brauchen Sie einen Menschen wie mich nicht daran zu erinnern.« Ebenso fragt der deutsche Kommissar aus Düsseldorf den ermittelnden Wiener Kollegen: »Haben Sie einen Anhaltspunkt? Eine Richtung, in die wir vorwärts marschieren können?« Qualtinger