Der Televisionär. Группа авторов
einmal unerreichbar für mich und deswegen habe ich mich halt umgesehen, was es in diesem Metier sonst noch alles gibt.«26
Um 1946 setzte so der Prozess einer Selbstfindung und auch bewussten Selbstkonstruktion ein, in dessen Verlauf der 22-Jährige sich so nachhaltig verändern sollte, dass er sich im Rückblick selbst kaum mehr wiedererkannt:
»Ich habe mir einen Stoß meiner alten Briefe vorgeholt, die ich von meiner ersten Verlobten zurückbekommen habe, und auch ein Tagebuch und andere Briefe aus der Zeit. Die habe ich alle durchgelesen, und es ist mir nichts von mir klargeworden. Ich kann’s nicht rekonstruieren. Auch die Nachkriegszeit nicht. Was da drin steht, scheint mir etwas zu sein, was ich nicht gewesen bin. Wie eine total fremde Person.«27
3 Journalismus I: Lehrjahre, Zeitung, Radio
Unmittelbar nach dem Kriegsende begann unter Kontrolle der West-Alliierten die (Re-) Konstruktion demokratischer Medien. Ein Zentrum dieses Neu-Aufbaus lag in der britischen Besatzungszone, vor allem in Hannover und Hamburg. Im Bereich des Rundfunks wurde das öffentlich-rechtliche System nach dem Vorbild der britischen BBC etabliert. Als größte Rundfunkanstalt in den Westzonen entstand der NWDR, »Mitbegründerin der ARD, maßgeblich für den Wiederbeginn des Fernsehens 1952.«28 Für die Massenpresse wurden unter Auflagen Lizenzen an – vermeintlich oder tatsächlich – nicht-vorbelastete Personen vergeben. Zwischen 1946 und 1948 begannen so die Karrieren, die Westdeutschland auf Jahrzehnte bestimmen sollten, u.a. von Rudolf Augstein (Der Spiegel), Henri Nannen (Stern) und Axel Caesar Springer (Hamburger Abendblatt).
Wolfgang Menge war insofern zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Nur wenige Wochen nach seinem Entschluss, ein neues Leben als Journalist zu beginnen, bewarb er sich beim German News Service. Die von der britischen Besatzungsmacht in Hamburg betriebene Nachrichtenagentur residierte wie der NWDR an der Rothenbaumchaussee [s. Abb. 4]:
»Ich bin da zuerst mit Gedichten hin. Die haben mich natürlich rausgeschmissen, aber ich bin immer wieder hingegangen [...] Man kann sich das heute überhaupt nicht mehr vorstellen, aber es war wirklich so, dass man von diesem Beruf eigentlich so gut wie nichts wusste. [...] Es ist mir dann tatsächlich gelungen, ein Volontariat zu bekommen. Das hat mir nach einiger Zeit auch großen Spaß gemacht. [...] Ich habe da in der Innenpolitik gesessen.«29
Auf die Dauer allerdings lag ihm abhängige Bürotätigkeit nicht. In Hamburg waren Mediengründerzeiten. Mit seinem Freund Richard Gruner, Lehrling bei der Traditionsdruckerei Broschek, Sohn des Besitzers der Druckerei Gruner & Sohn in Itzehoe und später Mitbegründer des Großverlags Gruner + Jahr, versuchte Wolfgang Menge, nebenbei ein Jugendmagazin zu entwickeln, das sie lebensbejahend Ja nannten. Chefredakteur Menge – »Das war ich wohl ...«30 – füllte die Probenummer mit satirischen Artikeln. Doch die Behörden erteilten den beiden Anfängern keine Lizenz.31 Der Nachwuchsredakteur musste weiter seine Bürostunden absitzen.
Ändern sollte sich das, wie Wolfgang Menge gerne erzählte, im Frühjahr 1947. Im Dezember zuvor war Richard Gruner senior bei einem Verkehrsunfall gestorben. Als einziger Nachkomme erbte Richard Gruner junior nicht nur die Druckerei, sondern auch die luxuriöse Borgward-Limousine seines Vaters. An einem der ersten warmen Tage des Jahres 1947 fuhr er mit ihr bei Wolfgang Menge vor.
»Die Freunde saßen auf dem Balkon und genossen die Sonne. Doch das Vergnügen fand ein baldiges Ende, denn um drei Uhr begann Menges Schicht [beim German News Service].
›Ich fahr dich natürlich hin‹, sagte Richard Gruner.
Als sie am Rothenbaum ankamen, fragte Menge: ›Und was machst du jetzt?‹
›Ich lege mich in die Sonne, in meinen Garten.‹
›Warte mal ‘n Moment.‹
Menge verschwand in der Eingangstür seiner Arbeitsstätte.
Nach wenigen Minuten kehrte er zurück. Die beiden Freunde fuhren nach Lokstedt, Wolfgang Menge hatte gekündigt, er wollte sich auch in die Sonne legen.«32
Es war die erste in einer lebenslangen Reihe von Kündigungen und Aufkündigungen, abrupten Enden und Neuanfängen. Nur ein paar Monate später sollte sich Wolfgang Menges Leben ein weiteres Mal verändern: Der Nachwuchsjournalist erhielt ein dreimonatiges Stipendium zu einer Fortbildung beziehungsweise ›Umerziehung‹ in Wilton Park. [Abb. 5] Während des Zweiten Weltkriegs war der englische Landsitz als Gefangenenlager genutzt worden.33 Ab 1946 wurden dort – zurückgehend auf eine Initiative Winston Churchills – Re-Education-Kurse durchgeführt:
»Die Lagerschule stand unter der Leitung des deutsch-jüdischen Emigranten Dr. Heinz Köppler, der von Anfang an offene, freie Diskussionen förderte. [...] Das Lehrerkollegium bestand zum Teil aus meist sozialdemokratisch orientierten deutschen Emigranten, zum Teil aus Engländern.«34
Der Erfolg des Programms führte bald dazu, dass zusätzliche Gäste aus Deutschland und anderen Ländern nach Wilton Park eingeladen wurden, »where they were educated on the British way of life and democracy.«35 Im Lauf der Jahre nahmen über 4000 Deutsche teil.36 Während seines dreimonatigen Kurses – »Eine hervorragende Einrichtung ...«37 – begann Wolfgang Menge, sich für das Leben der deutschsprachigen Emigrantengemeinde zu interessieren, deren Mitglieder zu einem großen Teil im Londoner Bezirk Swiss Cottage wohnten. »[D]a bin ich immer hingegangen, wenn ich Zeit hatte. Und so habe ich die noch kennen gelernt.«38 Einer seiner Bekannten offerierte ihm einen Job:
»Ich war da so zweiter Mann bei einem Emigranten-Korrespondenten, etwas über ein Jahr. [...] Ich wollte eigentlich nie wieder nach Deutschland zurück, ich wollte raus aus Deutschland.39 [...] Weil wir ja nicht diesen Bruch gehabt haben, wie alle Welt immer vermutet, dass nach 45 sich alles geändert hat. Es ist ja alles gemütlich weitergegangen, nur dass die Juden nicht mehr umgebracht wurden.«40
Aus den Erfahrungen seiner Zeit in Großbritannien rührte eine nachhaltige Prägung, Wolfgang Menges ›Britishness‹. Sie reichte von literarischen Vorlieben über den spezifischen Menge-Humor bis zu der Art, sich zu kleiden. Barbara Naumann spricht von »einer gewissen Conan-Doylisierung des Mengeschen Stils«.41 Vor allem anderen betraf sie sein Verständnis des Journalismus: dass es dessen vornehmste Aufgabe sei, Fakten zu ermitteln und zu vermitteln. Meinungsjournalismus verachtete Wolfgang Menge Zeit seines Lebens. Einen am Faktischen orientierten Realismus, gepaart mit respektlosem Witz und einem gewissen Galgenhumor, präferierte er nicht minder in der Literatur und den anderen Künsten.
Dieses Verlangen nach Authentizität korrelierte mit dem Zeitgeist. Im Film, dem wichtigsten Massenmedium, traten nach dem Kriegsende mehr denn je Züge des Dokumentarischen hervor, im italienischen Neorealismus, im deutschen Trümmerfilm, in semi-dokumentarischen Werken Hollywoods wie The House on 92nd Street42, Boomerang43 und The Naked City44. Dem Wunsch der vom Krieg desillusionierten Zeitgenossen, Wirkliches möglichst aktuell und unverstellt zu erfahren, entsprach die rasante Durchsetzung des Fernsehens, die in Großbritannien und den USA mit der Aufnahme des regulären Sendebetriebs unmittelbar nach dem Kriegsende begann.45
In London – in der Arbeit mit britisch geprägten deutschen Exil-Journalisten und durch die Erfahrung angelsächsischer Massenkultur – lernte Wolfgang Menge so kennen und können, was über Jahrzehnte hinweg sein Werk und vor allem seine künstlerischen Arbeiten für Film und Fernsehen kennzeichnen sollte: das Handwerk des Recherchierens und die Kunst, Wissensvermittlung mit Unterhaltung zu verbinden. Zentral dafür war das literarische Genre des Tatsachenberichts. Viel später sollte er als Drehbuchautor daraus diverse audiovisuelle Spielarten entwickeln. Zunächst aber transportierte er es nach Deutschland, als er im Januar 1949 nach Hamburg zurückkehrte:
»Da war das Hamburger Abendblatt vier Wochen alt. Ich ging meine alten Kollegen vom News Service besuchen, die alle dort waren. Und da habe ich gesagt: ›Hier fange ich auch an.‹ Da haben die gesagt: ›Tut uns leid, wir haben alle Ressorts besetzt.‹ Nur bei Lokales war noch der Job eines