Der Televisionär. Группа авторов
Anforderungen einer Kriminalhandlung durchaus angepasst hatte:
»[ ... ] dokumentarisch war es dennoch nicht ganz, weil ich oft was verändern mußte. Schon weil die Polizei unvermeidlich oft und das weiß sie hinterher dann auch besser, Fehler macht. Und wenn ich die komplett zeigen würde, würden sich die Leute totlachen. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, aber es hätte dem Sinn der Sendung nicht unbedingt entsprochen.«16
Im Vergleich mit durchschnittlichen Kinofilmen, wie sie dem TV-Publikum vertraut waren, fielen die billigen NDR-Fernsehproduktionen zwar ästhetisch eher bescheiden aus; zumal in den ersten Jahren. Um aber die behauptete faktische Authentizität auch als ästhetische Anmutung herzustellen, experimentierten Menge und Roland mit zwei sehr unterschiedlichen und in der Kombination ungewöhnlichen Stilmitteln: einerseits mit einer Verwendung dokumentarischer Aufnahmen inmitten inszenierten Materials, andererseits mit einer an die Kriminalwelten des Film Noir gemahnenden Mise en Scène.17 [Abb. 3] Die Spielszenen prägte Menges spezifische Lakonik. Sein Stahlnetz-Stil, schrieb ein Kritiker 1962, zeichnete
»sich durch dokumentarische Nüchternheit, durch genau nuancierte Alltäglichkeit, durch einen trockenen Realismus aus, der seine Wirkung tat dank weitgehendem Verzicht auf Pathos. Menge rekonstruierte Fälle aus der Arbeit der Kriminalpolizei für den Bildschirm, ohne je sich der Gefahr auszusetzen, ein Kriminalstück zu schreiben; seine Menschen waren beiläufig, aber treffend charakterisiert, was sie sagten, war ein sehr umsichtiger Wortwechsel mit der Wirklichkeit.«18
Gerade in der Rohheit und Aggressivität seiner Stilmischung wirkte Stahlnetz im Fernsehen der frühen Jahre spektakulär.19 Bei nicht wenigen Folgen waren denn auch um die 90 Prozent aller bundesdeutschen TV-Apparate angeschaltet.20 Dennoch kam die ebenso fruchtbare wie erfolgreiche Kollaboration von Wolfgang Menge und Jürgen Roland, die neben den Stahlnetz-Folgen ja auch mehrere Spielfilme produziert hatte, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zu ihrem Ende.21
Als Nachfolgeprojekt entwickelte und schrieb Menge zwischen 1969 und 1972 für den WDR – parallel zu mehreren, heute klassischen Fernsehspielen22 – eine neue Krimireihe. Ihr Held sollte ein Zollfahnder namens Kressin werden. Gleichzeitig schlug – als Reaktion auf die vom ZDF erfolgreich etablierte Krimiserie Der Kommissar (1968-1975) – der WDR-Redakteur Gunther Witte der ARD vor, eine föderal strukturierte Krimi-Reihe zu entwickeln. In dieses neue Tatort-Format wurde Menges Zollfahnder dann integriert. Der erste Fall Kressin und der tote Mann im Fleet23 lief im Januar 1971 als zweite Tatort-Folge.24 Zu diesem Zeitpunkt stand jedoch bereits fest, dass Menge die Kressin-Reihe auf Grund eines Konflikts um den Hauptdarsteller nicht fortführen würde:
»Wir fragten uns, wer ihn spielen könnte. Wir einigten uns dann beim WDR auf Heinz Bennent: Für mich war das so eine Art deutscher Steve McQueen-Typ. Ich habe daraufhin vier Bücher geschrieben, für die vier Regisseure ausgesucht worden sind. Das waren Peter Beauvais, Tom Toelle usw. Das waren alles Leute, mit denen ich gerne gearbeitet habe. Einer von den vieren hat aber gesagt: ›Nein, mit Bennent auf keinen Fall!‹ Da ging dann die Suche los. Man einigte sich dann aber auf einen Schauspieler, der für mich wirklich das Gegenteil von Heinz Bennent war. Da habe ich dann gesagt: ›Ne, dafür mag ich nicht arbeiten.‹ Ich weiß, dass ich noch ein fünftes Drehbuch geschrieben habe, aber dann war Schluss, weil ich zu dieser Figur einfach nichts mehr schreiben wollte: Das ging nicht.«25
In der Folge verfasste Menge noch zwei weitere Tatort-Drehbücher für den SDR und um dessen Kriminalhauptkommissar Eugen Lutz.26 Gefährliche Wanzen, ein Fall von Wirtschaftskriminalität, ausgestrahlt im September 1974, sollte dann die letzte Folge eines TV-Krimis werden, die nach einem Drehbuch von Wolfgang Menge entstand. [Abb. 4] Nach anderthalb Jahrzehnten hatte der Autor das Interesse an dem Thema und der Form verloren, die ihn einst zu Fernsehen wie Film gebracht hatten.
Im Rückblick lässt sich deutlich erkennen, wie um 1965 – nach Menges Kinospielfilm Polizeirevier Davidswache und im Kontext der Politisierung des bundesdeutschen Diskurses, von der Studentenrevolte über die große Koalition bis zur ersten bundesdeutschen SPD-Regierung und ihrer neuen Ostpolitik – (unpolitische) Verbrechen und ihre Aufklärung ihm als Gegenstand seiner Drehbucharbeiten immer weniger genügten. Zudem äußerte sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ein immer deutlicherer Wille zur auch formalen Innovation. Menge selbst erklärte ihn einmal mit Langeweile. Auf die Frage, was ihn gereizt habe, unentwegt neue Erzählformen und auch TV-Formate auszuprobieren, antwortete er:
»Ich glaube nicht, dass das die richtige Frage ist. Ich glaube eher, dass es umgekehrt ist: Warum machen Sie die alten Sachen nicht mehr? Also, wenn man irgend etwas gemacht hat, das langt einem dann bald. Die Variationsmöglichkeiten sind gering. Andererseits möchte ich im Fernsehen ungern etwas machen, was ich mir nicht selbst ansehen würde, wenn es ein anderer gemacht hätte.«27
Als Menge 1973/74 seinen letzten Tatort schrieb, war er denn auch bereits mit anderen Themen und Formen zu nationaler Berühmtheit gelangt: zum Ersten als Autor preisgekrönter politischer Szenarios,28 zum Zweiten als Autor einer ungemein erfolgreichen Polit-Sitcom,29 zum dritten als Talkshow-Moderator.30
Einmal jedoch sollte er noch einen Kriminalstoff bearbeiten, allerdings nicht innerhalb der Kriminalserien-Form, sondern als Fernsehkomödie mit deutlichen politischen Implikationen. Vier gegen die Bank,31 eine Adaptation von Ralph Maloneys Roman The Nixon Recession Caper,32 erzählte – als »punktgenaue Satire auf Wohlstand und Übersättigung der 70er Jahre«33 – die Geschichte vier einst erfolgreicher Männer aus der München-Starnbergschen High Society. [Abb. 5] Von der wirtschaftlichen Rezession der frühen siebziger Jahre hart getroffen, können sie den Lebensstandard ihrer Familien nur aufrechterhalten, indem sie eine Bank überfallen. Diese von Wolfgang Petersen mit hervorragenden Schauspielern glänzend inszenierte Kriminalkomödie, in der die Täter selbstredend ungeschoren davonkommen, hatte jedoch bereits mehr als mit den an Verbrechen und ihrer Aufklärung interessierten Stahlnetz- oder Tatort-Folgen mit den Sitcoms und Kabarett-Texten zu tun, die ihr Autor zur gleichen Zeit verfasste.
3 Spiel mit verbrecherischer Politik:
Von Begründung eines Urteils zu Fragestunde
Ein zweiter und gänzlich anderer Einstieg ins Fernsehen ergab sich für Wolfgang Menge wenige Jahre nach Beginn der Stahlnetz-Reihe über den Umweg des Theaters (und bei einem anderen Sender). Menge war mit Klaus Kammer befreundet: »Das war wahrscheinlich der begnadetste Schauspieler nach dem Kriege.«34 [Abb. 6] Als Menge 1954 von Berlin aus nach Ost-Asien ging, erhielt Kammer gerade ein Engagement von Boleslaw Barlog, dem Generalintendanten der Staatlichen Schauspielbühnen Berlins, und war froh, Menges Wohnung übernehmen zu können. Ende der fünfziger Jahre sah Kammer dann im Fernsehen die ersten Stahlnetz-Folgen:
»Der Klaus sagte, ›Du musst ein Theaterstück schreiben für mich‹, und hat solange auf mich eingeredet, bis ich es wirklich gemacht habe.«35 – »Er kam auch jeden Tag zu mir rausgefahren und las mir vor, was ich geschrieben hatte – und da habe ich gemerkt, dass man immer viel zu viel schreibt. Also manchmal ist von einer Seite ein Satz übriggeblieben, weil ich merkte, das können die so. Ein Schauspieler – da muss man nicht alles aufschreiben.«36
Anfang November 1962 wurde Menges Stück, der an Arthur Schnitzlers Frühwerk gemahnende Zweiakter Zeitvertreib, an der Berliner Tribüne uraufgeführt [Abb. 7]. Die Hauptrollen spielten Brigitte Grothum und Michael Degen.37 Menge schrieb damals: »Das allein Ungewöhnliche an meinem Stück scheint mir die Gewöhnlichkeit des Themas zu sein. In diesem Sinne ist es exzentrisch.«38 Die Handlung skizzierte er später so:
»Das war für