Eine andere Realität oder Die Zerstörung der Welt. Frank Westermann

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      Dschempetro stürzte den Rest des Alkohols in einem Zug hinunter. Es beunruhigte ihn, dass die Absichten der Magier eine so unkalkulierbare Größe darstellten. Er war es gewohnt, ein Netz von Spitzeln zu dirigieren, doch bei den Magiern ließ sich niemand einschleusen. Andererseits war er sich nicht sicher, ob sie nicht schon Spione bei ihm untergebracht hatten. Das war zwar unwahrscheinlich, weil den Magiern die Lebensbedingungen in den Techno-Gebieten nicht zusagten, aber zuzutrauen war es ihnen. Außerdem machten ihn Freunde und Feinde nervös, die nicht zu kaufen waren, und den Magiern hatte er nichts anzubieten, was diese interessiert hätte.

      Plötzlich war er davon überzeugt, dass sie mit gezinkten Karten spielten. Es war einfach nicht zu übersehen, dass sich alles genau nach ihren Vorstellungen entwickelt hatte. Er wusste nicht, wie sie es angestellt hatten, die heutige Abstimmung zu manipulieren, aber genau das war geschehen. Wahrscheinlich würde es ihnen nicht nachzuweisen sein, sie waren sehr subtil in diesen Dingen.

      Er musste eine Gegenoffensive starten, das Votum musste korrigiert werden. Wenn er sich mit seinen Verbündeten einig werden konnten, stellten sie einen Block im Bündnis dar, der nicht übergangen werden konnte. Die übrigen Techno-Herrscher, die kleinen, die immer um ihre Position fürchteten, würden sich ihnen anschließen, wenn es ihnen gelang, die Magier-Fraktion zu überrumpeln.

      Noch heute Abend würde er sich mit Rütig in Woltan in Verbindung setzen, und über General Ritmaister den Gegenschlag einleiten. Er hatte nicht mehr viel Zeit, um bei der alles entscheidenden Sitzung die Trümpfe wieder in die Hand zu bekommen.

      Seine Stimmung besserte sich. Er war Spezialist dafür, das Ruder in ausweglos scheinenden Situationen noch herumzureißen.

       5. Kapitel: Die Kämpfer (I)

      Steve Halloran hatte Angst. Furchtbare Angst. Wieder war er schweißgebadet aufgewacht, der Alptraum schwebte noch vor seinen geschlossenen Augen. Die Dunkelheit erschreckte ihn, trotzdem wagte er nicht, die Augen zu öffnen. Die Angst, sich in einer Umgebung wiederzufinden, die sich von der unterschied, die er, als er eingeschlafen war, noch als sein Zuhause betrachtet hatte, war noch größer.

      Natürlich hatte das keinen Sinn. Er würde die Augen öffnen müssen oder wieder einschlafen. Doch daran hinderte ihn der gerade überstandene Alptraum. Es half nichts, und so versuchte er, sich zumindest auf den eventuell bevorstehenden Schock so gut es ging vorzubereiten.

      Sein Zimmer hatte sich nicht verändert, soweit er dies auf den ersten Blick feststellen konnte. Da waren sein Schreibtisch, das Bücherregal, die wuchernde, exotische Topfpflanze, die Kommode, über der der Spiegel mit der abgebrochenen Ecke hing, seine Bongos.

      Steve stieß einen erleichterten Seufzer aus und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Jeden Morgen die gleiche Quälerei. Manchmal hatte er schon Angst, abends überhaupt zu Bett zu gehen. Nächtelang hatte er wachgelegen, bis ihn dann irgendwann tagsüber die Müdigkeit überwältigt hatte und er eingenickt war, auch wenn es sich nur um Minuten handelte. Die Umgebungswechsel waren immer während des Schlafes erfolgt, mal in längeren, mal in kürzeren Abständen, mal tagsüber, mal des Nachts. Und sie hatten immer einen Schock ausgelöst, der ihn in ständiger Anspannung hielt. Er war abgemagert und sah aus wie eine lebende Leiche. Es handelte sich um ein Phänomen, an das man sich nicht gewöhnen konnte.

      Aber was hieß hier »man« ? Er war es, der darunter litt. Er, Steve Halloran, 25 Jahre, Gelegenheitsarbeiter, politischer Aktivist, notorischer Weltverbesserer. Und soweit ihm bekannt war, war er der einzige Mensch in Goldentor, der diese Schrecken durchleben musste - vielleicht sogar der einzige auf der ganzen verdammten Welt.

      Wahrscheinlich war er sowieso verrückt. Welche andere Schlussfolgerung konnte es geben? Das, was er erlebte, konnte unmöglich real sein. Er kannte sich nicht besonders gut aus mit psychologischen Definitionen von Verrücktheit. Es gab schließlich unzählige Arten, und sein Wahn mochte eine Art Schizophrenie oder eine andere psychische Krankheit sein, das war ihm letztlich ziemlich egal.

      Aber konnte ein Verrückter oder psychisch Kranker, wie es so schön hieß, der seine Verrücktheit erkannt hatte und die Symptome als solch identifizierte, nicht etwas gegen seine Krankheit tun? Er war vorerst nicht bereit, zu einem Psychiater zu gehen. Er hielt nichts von Seelendoktoren und Psychotherapien, obwohl sein Freund Per, mit dem er immer so hervorragend streiten konnte, ihm einige Vorurteile in dieser Hinsicht genommen hatte. Per hatte sogar vorgeschlagen, ihn zu begleiten, aber Steve hatte diese Möglichkeit weit von sich gewiesen. Doch wenn das Phänomen andauerte, würde ihm dieser Gang nicht erspart bleiben, wollte er nicht wirklich den Verstand verlieren. Und dieser Zeitpunkt lag nicht mehr allzu weit entfernt.

      Seine Gedanken schlugen einmal mehr Kapriolen und das kurz nach dem Aufwachen. Seit Wochen ging das nun so, und er bekam immer häufiger Kopfschmerzen davon. Aber wie sollte er die bohrenden Überlegungen abschalten können, wenn er nicht einmal den Hauch einer Erklärung für seine Symptome finden konnte, geschweige denn einen Ansatzpunkt für eine Lösung? Er schwang die Beine aus dem Bett, war froh, den Boden unter seinen nackten Füßen zu spüren, den er oft genug zu verlieren glaubte. Er war es nicht gewohnt, dass ihm Erklärungen fehlten. Seiner Ansicht und Erfahrung nach gab es Methoden und Theorien, wonach alles erklärt werden konnte, es war nur eine Frage der Zeit, diese Erklärungen zu finden. Mit Hilfe einer wissenschaftlich-dialektischen Analyse der sichtbaren Phänomene musste es möglich sein, die Wirklichkeit hinter dem Schein zu entdecken, sowohl die soziale, gesellschaftliche Wirklichkeit wie auch den Hintergrund für das eigene, persönliche Verhalten. Diese Herangehensweise hatte bisher immer zu Resultaten geführt, die das Fundament für seine persönliche Aktivität und Entfaltung lieferten. Natürlich stellten diese Resultate kein endgültiges Produkt dar. Die gesellschaftlichen Strukturen waren in dauernder Veränderung begriffen, und alle Theorien mussten diesen Veränderungen angepasst werden.

      Per griff diese Auffassung jedes Mal stark an und behauptete, dass sein Verhalten von Faktoren bestimmt wurde, auf die er gar keinen Einfluss hatte, weil er sich nicht mit den unbewussten und verborgenen Seiten seiner Person auseinandersetzen wollte. Steve wies diese Ansicht als mystisch verklärt und damit reaktionär zurück, und so befanden sie sich mitten im heftigsten Streit, in dem keine Seite jemals einen Sieg davontrug.

      Kein Wunder, dass ihm dauernd Per in den Sinn kam, denn was im Moment mit ihm geschah, entzog sich jeder Analyse und Theorie. Selbst Vermutungen und Hypothesen fielen ihm nicht ein. Das einzig Vernünftige schien das Akzeptieren einer psychischen Krankheit zu sein.

      Dennoch mochte sich Steve damit nicht zufrieden geben, es widersprach einfach all seinen Vorstellungen und Überzeugungen. Es mussten doch Hinweise darauf existieren, welche Faktoren zu solch extremen Ausfallerscheinungen führen konnten.

      Er war keinen besonders anstrengenden Stresssituationen ausgesetzt, politisch hatte er sich im letzten Jahr eher zurückgehalten, er pflegte normale Kontakte zu Freunden, hatte einige kürzere Liebesbeziehungen hinter sich, die ihn emotional nicht sehr aufgewühlt hatten, seine Jobs brachten ihm genug Geld ein, um davon bescheiden leben zu können ... Er kam einfach nicht hinter die Ursachen für seine Krankheit.

      Dazu kam, dass alles so plötzlich begonnen hatte, von einem Tag auf den anderen, ohne Vorwarnung, ohne jegliche beunruhigende Anzeichen - fast wie eine Naturkatastrophe.

      Und das machte ihn stutzig und ließ immer wieder den Verdacht aufblitzen, es handelte sich doch um ein reales Geschehen, das aufgrund unerklärlicher Umstände nur er allein in der Lage war wahrzunehmen.

      Die Schlussfolgerungen aus dieser Überlegung waren allerdings fast noch erschreckender als die Annahme einer psychischen Erkrankung. Die Konsequenzen waren geradezu undenkbar ...

      Mit zitternden Händen bereitete er sich sein Frühstück in der kleinen Küche, die nur durch einen Vorhang von seinem Wohn- und Schlafräum getrennt war. Wenn er so weiter machte, war er bald nicht nur ein psychisches Wrack.

      Während er den Tisch deckte und die Kaffeemaschine in Gang setzte, fiel ihm die Wohngemeinschaft ein, in der er - nach seiner Erinnerung - noch vor zwei Wochen gelebt hatte. Eines Tages war er aufgewacht und hatte sich in dieser engen 1-Zimmer-Wohnung


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