GEWALT, GIER UND GNADE. Jakob Sass
zu unterbreiten. Ausserdem soll die Linde (Ecke Leipziger Strasse/Dehlinger Weg) die Bezeichnung Adolf-Hitler-Linde erhalten und durch eine Steinfassung verschönert werden. Ferner soll der bisherige Judenfriedhofsweg in Dehlinger Weg umgewandelt werden.“104
Auch die historische Judengasse wurde umbenannt und hieß fortan Alte Poststraße. Haas und die NSDAP versuchten damit schon früh, alles aus dem Stadtbild zu tilgen, was an das traditionsreiche jüdische Leben in Hachenburg erinnerte. Am 8. Juni übermittelte Hitler „seinen verbindlichsten Dank“.105 Als der Bürgermeister ein Jahr später die Schilder für die neuen Straßennamen bestellte, war die „Adolf-Hitler-Straße“ allerdings nicht dabei und wurde auch nie nachgeliefert.106
Doch nicht wegen seiner politischen Aktivität schreibt der Hachenburger Stadtchronist Stefan Grathoff über Haas, der „überzeugte Nazi-Scherge“ sei „der wohl niederträchtigste Nationalsozialist in der Stadt“ gewesen.107 Mit der Umbenennung der Straßen und der Neubesetzung politischer Schlüsselpositionen scheint sich sein Engagement als Stadtverordneter erschöpft zu haben. Mit dem neuen kommissarischen Bürgermeister und dem NSDAP-Ortsgruppenleiter Wilhelm Dressel übernahmen nun schnell andere, für den politischen Bereich geeignetere Personen die Verantwortung für die Gleichschaltung und Bekämpfung von „Reichsfeinden“.108 Womöglich vermittelte Adolf Haas noch einige Male zwischen der Partei und dem Besitzer des „Westend“, der ehemaligen Gastwirtschaft seines Vaters, wo sich die NSDAP des Öfteren zu Bier und Hassreden traf.109 Davon abgesehen diente er der nationalsozialistischen Bewegung im Westerwald nun mehr und mehr mit dem, was ihm mehr lag als die Politik – mit körperlicher Gewalt.
2.2 Der „Draufgänger“: Steile „Karriere“ in der Allgemeinen SS, 1933–1934
Ende 1930 wussten die meisten Deutschen kaum etwas mit der „Schutzstaffel“ anzufangen. Spätestens seit Januar 1933 war sie „in aller Munde“ und von etwa 4000 auf 52.000 Mann angewachsen.110 Dass sie nun auch professioneller wurde, verdankte sie der besseren finanziellen Lage nach der „Machtübernahme“. Als immer mehr hauptamtliche SS-Führer staatliche Funktionen im Bereich der „inneren Sicherheit“ übernahmen, unterschied man bei den SS-Unterorganisationen zwischen dem Sicherheitsdienst (SD), den Totenkopfverbänden, die die Wachmannschaften für die neuen Konzentrationslager stellten, sowie der Verfügungstruppe, einer kasernierten Sondereinheit, die Hitler flexibel einsetzen konnte. All die Männer, die nach wie vor in ihrer Freizeit dem „normalen“ SS-Dienst nachgingen, fasste man damals unter dem Begriff „Allgemeine SS“. Es war ein bunter, aber repräsentativer Querschnitt durch die Bevölkerung. Auch etwa 2300 Bäcker waren dabei.111
Adolf Haas musste zu den Ersten gehört haben, die sowohl die NSDAP in Hachenburg aufbauten, aber auch „aufgefordert“ wurden, die Allgemeine SS „im Ober- und Unterwesterwaldkreis aufzuziehen“, wie er in einem späteren Lebenslauf schrieb.112 Sein rascher Aufstieg rührte demnach wohl vor allem vom günstigen Eintrittszeitpunkt her, das heißt, dass es zu der Zeit in seiner Region noch keine großen Alternativen in der Personalbesetzung gab.113 Ähnliches Glück war auch in seiner späteren Karriere im Spiel. Tatsächlich hatte man ihn bereits am 15. November 1932, kaum sieben Monate nach seinem Eintritt, zum SS-Scharführer befördert, was in den Dienstgraden der Wehrmacht einem Unterfeldwebel entsprach. In den Monaten und Jahren nach der „Machtübernahme“ ging es ähnlich rasant weiter. Kurz nachdem er Ende März 1933 Stadtverordneter der NSDAP wurde, überwachte SS-Truppführer Adolf Haas am 1. April 1933 in Hachenburg gemeinsam mit der Parteiortsgruppe die Durchführung des reichsweiten „Aprilboykotts“. Mit Parolen wie „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ richtete sich die Aktion gegen jüdische Geschäfte, Banken, Arztpraxen und Kanzleien. Die wenigen jüdischen Bewohner Hachenburgs waren bis zu diesem Zeitpunkt nach der rechtlichen Gleichstellung in allen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens der Stadt vertreten und hatten sich vor allem im Viehhandel ein Monopol erarbeitet.114 Mit dem Boykott begann für sie wie für alle deutschen Juden eine Zeit der wirtschaftlichen und sozialen Ausgrenzung, allerdings bis 1938 vielmehr mit Gesetzen, da die deutsche Bevölkerung auf den Boykott weniger enthusiastisch reagiert hatte, als vom Regime gehoffi.
Wenige Tage nach dem Aprilboykott führte Adolf Haas erstmals seinen eigenen SS-Sturm, quasi eine Kompanie von 70 bis 120 Mann.115 Hatte sich die Allgemeine SS vor der „Machtübernahme“ noch intensiv um den Wahlkampf kümmern müssen, konzentrierte sie sich nun immer mehr auf die Verfolgung von politischen Gegnern. In Hachenburg hatte die SS ihren Sitz in einem der heute verschwundenen Häuser gegenüber dem Gasthaus „Zur Sonne“, direkt vor dem Hachenburger Barockschloss.116 Von hier aus organisierten Haas und seine Männer Aktionen in der Stadt und in der Umgebung. „Gearbeitet“ wurde auch am Wochenende. So versammelten sich am Morgen des 28. Mai 1933, einem Sonntag, einige SS-Männer aus dem Unterwesterwaldkreis in Welschneudorf, etwa 37 Kilometer südlich von Hachenburg. Ihr Auftrag: „Kommunistische Wühlarbeit“117. Bei einer Razzia verhafteten und misshandelten sie mehrere Mitglieder der KPD und SPD. Anwesend war auch Adolf Haas, der nach späteren Aussagen „seine ehemaligen Gesinnungsgenossen in brutalster Weise bekämpft“ habe.118 So schritt er auch nicht ein, als ein Hachenburger SS-Kamerad einem Opfer mit den Stiefeln in den Rücken trat und ihm das Gesicht blutig schlug. Noch zwei Jahre später prahlte dieser während einer abendlichen Fahrt vor seinen Mitfahrern, wie er damals „gute Arbeit geleistet“ hätte. Was er nicht wusste: Unter den Zuhörern war ausgerechnet sein einstiges Opfer, das er im Dunkeln nicht erkannte und ihn so nach dem Krieg anklagen konnte.119
Welche genaue Rolle Adolf Haas bei den „Beurlaubungen“, Verfolgungen, der Zerschlagung von unerwünschten Parteien und der Auflösung konfessioneller Vereinigungen spielte, ob er selbst mit der Faust ausholte oder eher die Aktionen überwachte, ist kaum im Einzelnen überliefert. Ein Hachenburger Polizeibeamter schrieb allerdings nach dem Krieg in einem Bericht:
„Adolf Haas war ein fanatischer Nazi. Als solcher war er in Hachenburg gefürchtet. Dieses dürfte aber nach den getroffenen Ermittlungen zum großen Teil auf seine beschränkte Intelligenz zurückzuführen sein. Er hat alle Befehle und Anordnung der Nazis gewissenhaft und rabiat durchgeführt.“120
SS-Führer Adolf Haas führt SS- und SA-Männer an (ca. 1933-1935). Ihr Marsch geht durch die „Adolf-Hitler-Straße", für deren Benennung sich Haas selbst als NSDAP-Abgeordneter eingesetzt hat.
Seine Vorgesetzten waren offenbar zufrieden, wie Haas seine „Arbeit“ machte. Sie beförderten ihn am 30. Oktober 1933 zum SS-Obertruppführer und in den folgenden Jahren meist, wie in der SS üblich, symbolisch zu den Gedenktagen der NS-Bewegung. So folgte die nächste Beförderung zum SS-Sturmführer am 30. Januar 1934, zum Jahrestag der „Machtübernahme“.121 Das Prüfungszeugnis von 1934 bescheinigte Haas ein „streng-soldatisch-vorbildliches Verhalten im Auftreten“, gute bis sehr gute Noten im Bereich „Allgemeine Ausbildung und Kenntnisse“ sowie auch einen „allgemein gut[en]“ Umgang im Schriftverkehr.122 Erst drei Jahre später sollte ein hoher SS-Führer erkennen, dass Haas‘ Person und Können überschätzt wurden. Die übertrieben positiven Beurteilungen waren für den Aufbau der Allgemeinen SS damals jedoch üblich. Ohne sie gab es keine Beförderungen und ohne Beförderungen keine ranghöheren SS-Führer, die neue Männer ausbilden konnten.
Vom 26. Mai bis zum 7. Juli 1934 besuchte Haas einen Lehrgang in der „SS-Sportschule Fürth“ bei Nürnberg.123 Im Gegensatz zu SS-Männern, die sich beruflich keine fünf Wochen Urlaub leisten konnten, setzte der Hachenburger Bäcker seine Selbstständigkeit offenbar bereitwillig aufs Spiel. Sport im engeren Sinne trieben Haas und die anderen Teilnehmer jedoch nur am Rande. Nach den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrags war die Reichswehr nach dem Ersten Weltkrieg offiziell zu einem 100.000-Mann-Heer geschrumpft. Inoffiziell hatten Regierungen und die Militärführung seitdem paramilitärische Verbände geduldet oder sogar gefördert. Die „Sportschulen“ der SA und SS in Fürth und anderen Orten dienten Hitler und seinen Generälen seit 1933 im Rahmen des geheimen Rüstungsprogramms als Tarnbezeichnung für Lehrgänge, bei denen die Teilnehmer „wehrhaft“